Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

Hardware und Software



Das Jolla-Phone

Jolla TelefonWährend ich in Bad Ischl freiwillig ins Dampfbad gestiegen bin, ist Marc Dillon in Helsinki aus ganz anderen Gründen der Schweiß aus allen Poren geronnen:

Er hat am 20.5. im dafür denkbar ungeeigneten Klaus K. das lange erwartete Jolla Phone vorgestellt und die Bedeutung des Slogans „The Other Half“ erklärt. Was der „greatest moment of his life“ werden hätte sollen, endete in einer Serie technischer Pannen mit der Video- und Tonanlage des Hotels. Völlig fertig und glänzend vor Schweiß hat Marc die Sache aber dann doch locker und humorig überstanden. Er lud die anwesenden Blogger und Journalisten am Ende sogar ein, mit ihm einzeln aufs Zimmer im ersten Stock zu gehen: Share the love with Marc! [Lautes Kreischen im Publikum] Yeah … It’s gonna be a long line … Irgendwie find ich ihn nett. :)

Das Video der Präsentation gibts hier zu sehen. Ein schöneres Video mit der Demonstration des fertigen Geräts ist hier.

Was wissen wir nun wirklich vom Gerät? Immer noch nicht alles. Zunächst: Eine Vorausbestellung aus Österreich ist nicht möglich. Dabei wäre der Preis von € 400,- durchaus attraktiv.

Zweitens: Die Hardwareausstattung umschifft viele der lästigen Zeitgeist-Krankheiten, die andere Hersteller als Zugeständnis ans iPhone- und Emporia-Publikum eingeschleppt haben. Es gibt einen wechselbaren Akku, einen SD-Slot und einen USB-Stecker! Vom Rest weiß man:

  • 4,5" Bildschirm
  • LTE (Frequenzen unbekannt)
  • Dual Core Prozessor (Modell offen)
  • 8MP Kamera mit Autofokus
  • 3,5mm Kopfhöreranschluß
  • The Other Half

Bleibt das große Geheimnis der „Other Half“. Das war dann doch nicht ganz so trivial, wie ich befürchtet hatte (Software und Hardware als zwei sich ergänzende Hälften). Jolla erfindet das Nokia-Wechselcover neu und stattet es mit eigenständiger Elektronik aus, sodaß es mit dem Hauptgerät kommunizieren kann. Im allereinfachsten Fall veranlaßt das Aufstecken eines blauen Covers das Gerät dazu, die Hintergrundfarbe und das Design auf passende Blautöne umzustellen. Komplexer und interessanter wäre die Möglichkeit, zur Party am Abend ein Wechselcover mit extra starkem Blitz mitznehmen. Ziemlich sicher erwartet die Fachpresse mittlerweile auch ein Wechselcover mit aufschiebbarer Tastatur.

Wie Gerät und Cover wirklich miteinander kommunizieren, was sich dann also technisch realisieren läßt, ist noch nicht bekannt. Trotzdem - oder gerade deswegen - kursieren in den einschlägigen Foren gerade die wildesten Ideen:

  • extra Lautsprecher für satten Sound
  • Fotodrucker (für die Handy-Kamera als Polaroid-Ersatz)
  • optisches Linsensystem für die Kamera
  • das Auto als „other half“ - also eine Halterung, in die nur das Hauptgerät eingelassen wird
  • Solar-Ladefläche
  • ein Hub mit Steckern für Maus, Tastatur, Monitor, LAN-Kabel, Beamer, …
  • UKW-Sender
  • programmierbare Infrarot-Fernbedienung
  • Mini-Projektor
  • Fingerabruck-Scanner

Wenn Jolla die Idee gut ausspielt, haben sie damit drei Fliegen auf einen Schlag erledigt: Erstens kompensieren sie zu einem gewissen Grad den Nachteil, der ihnen durch die bei der herrschenden Marktsituation wahrscheinlich vergleichsweise niedrigen Absatzzahlen erwächst. Für interessante Zusatz-Cover würde ich schon extre Kohle springen lassen und somit mehrfach für ein Handy zahlen. Zweitens haben sie mit diesem Hardware-Gimmick den entscheidenden Unterschied zu anderen Herstellern, die ja ohne viele Einschränkungen auf das freie Sailfish-Betriebssystem Zugreifen könnten. Drittens können sie verschiedenste Sonderwünsche erfüllen, ohne wirklich mehrere Modelle produzieren zu müssen. (Allein die Sache mit der Hardware-Tastatur ist mittlerweile ja zur Glaubensfrage geworden. Mit dem Stecksystem geht beides in einem Gerät.)

Ich bin sehr gespannt auf die Details, die noch kommen müssen. Bisher war nichts dabei, was mich enttäuscht hat. Und die Sache mit der „Other Half“ kann nur spannend werden.


Jolla: I Am The Other Half

Jolla: I am the other half Es wird allgemein erwartet, daß Jolla sein erstes Smartphone mit dem Maemo/MeeGo-Nachfolger Sailfish nächste Woche vorstellt. (Zu kaufen wird es allerdings erst in der zweiten Jahreshälfte sein.)

Zeitlich passend gab es einen Auftritt von Marc Dillon in dieser chinesisch/englischen Diskussionsrunde anläßlich der GMIC in Peking. Auch neu und gewollt geheimnisvoll: Ein neuer Werbeclip von Jolla mit dem Titel I Am The Other Half. Was die wohl mit „the other half“ meinen? Einfachster Erklärungsversuch so far: Die erste Hälfte war die Präsentation des Betriebssystems, jetzt kommt die zweite Hälfte, die Hardware. :)

Gspannt bin ich, Kinder! Gspannt! :)


Vivaldi-Tablet mit innovativem Hardwaredesign

Vivaldi-Komponente Ich gebs ja ganz ehrlich zu: Nachdem ich schon wieder zwei Monate nichts gehört hatte vom Vivaldi-Tablet (der letzte Eintrag dazu ist vom Februar), hab ich mir ein kleines bißchen Sorgen gemacht. Wirds noch was?

Es wird. Es wird innovativer, als es nach den ersten - gescheiterten - Plänen geworden wäre. Vivaldi wird ein modulares Huckepack-Tablet. Die Kernkomponenten eines PCs (CPU, Speicher, USB, Grafikchip, …) sitzen in einem eigenen Modul, das der offenen EOMA-68-Spezifikation folgt. Dieses Modul wird auf ein zweites Board gesteckt, das die Tablet-spezifischen Teile enthält: WLAN-Chip, Touchscreen-Steuerung, SIM-Karte, Kamera usw. finden dort ihren Platz. Beide Teile werden vom Vivaldi-Team gemeinsam mit Rhombus-Tech entworfen.

Was ist der Vorteil dieser Konstruktion? Erstens kann die ins Kernmodul investierte Arbeit (Hardware-Layout plus Treiber) in allen möglichen Gerätetypen wiederverwendet werden. Ein Mediaplayer zum Beispiel braucht weder SIM-Karte noch Kamera, dafür aber viel Massenspeicher. Das fertige Kernmodul läßt sich unverändert auf eine neue Platine setzen, die nur mehr die Steuerung der Festplatten übernimmt.

Zweitens ist das Modul so ausgelegt, daß es sich auch von einem technisch unerfahrenen Enduser stecken läßt. Es handelt sich von der Bauweise her nämlich um die gute alte PCMCIA-Karte, die alte Menschen noch von ihren Laptops kennen und die heute in elektronisch abgewandelter Form als CI-Modul in Sat-TV-Boxen und TV-Geräten steckt. Im Idealfall bedeutet das: neues Modul mit schnellerem Prozessor und mehr Speicher kaufen, Tablet aufschrauben, Module umstecken, Tablet zuschrauben, fertig ist das Upgrade. In der Apple- und Android-Welt muß man dafür ein komplett neues Gerät kaufen. (Obs tatsächlich ganz so einfach wird oder ob dieser Schritt gefinkelten Bastlern vorbehalten bleibt, wird vom Design des Gehäuses abhängen.)

Drittens ist es damit sehr leicht möglich, trotz der wahrscheinlich kleinen Stückzahl auch ausgefallenere Sonderwünsche zu erfüllen. Die vom Vivaldi-Team momentan ins Auge gefaßte Hardware enthält zum Beispiel einen Chip, für den die freien Treiber noch nicht fertiggestellt sind. Einer wahrscheinlich kleine Kundengruppe wäre es wichtig, auf die Performancevorteile dieses Chips zu verzichten, wenn dafür wirklich ausschließlich freie Software zum Einsatz kommen kann. Kein Problem: Das Tablet bleibt, wie es ist. Nur das Kernmodul wird gegen eine „Variante B“ mit dem alternativen Chip ausgetauscht.

Aaron Seigo spricht in diesem Video 20 Minuten lang sehr detailliert über jeden Aspekt des Platinendesigns. Mich hats interessiert, vielleicht geht das nicht jedem so. ;) Was jedenfalls als „Moral von der Geschicht“ gelten kann: Hätte Vivaldi nicht mit dem ursprünglichen Hardware-Partner Schiffbruch erlitten, wäre das Projekt nicht insgesamt aufgrund der Nichtverfügbarkeit ausreichend freier Hardware ganz knapp vor dem Scheitern gestanden, Aaron und sein Team hätten nie zu dieser innovativen Lösung gefunden. Eine durchaus realistische Hoffnung ist nämlich, daß weitere interessante Hardware-Projekte entstehen, sobald das Kernmodul verfügbar und bestellbar ist.


Gentoo: package.keywords aufräumen

Zu den schönsten Dingen im Leben mit Gentoo GNU/Linux gehört der unkomplizierte Umgang mit Programmversionen, die aus irgendwelchen Gründen noch nicht als stabil angesehen werden. Man trägt sie einfach in die Datei

/etc/portage/package.keywords

ein und hat sie schon zur Verfügung. Wenn sie Probleme machen, löscht man sie raus. Ganz einfach.

Zu einfach für Faulpelze wie mich: Was ich mal in die package.keywords geschrieben hab, das wird kaum jemals wieder gelöscht. So ist die Datei bei mir mittlerweile auf über 600 Einträge angewachsen, und das wird hin und wieder zum Problem. Da sind Pakete doppelt drin, einfach in verschiedenen Versionen. Andere Pakete sind schon lang nicht mehr installiert, trotzdem aber noch in der package.keywords. Vor allem aber kommt es natürlich laufend vor, daß die von mir vor Jahren als instabil eingetragenen Testversionen längst im stabilen Zweig von Gentoo gelandet sind und der Eintrag in package.keywords überflüssig ist.

Was macht man, um ein bißchen aufzuräumen? Die Einträge Zeile für Zeile zu überprüfen ist keine gute Idee. Da sucht man sich zum Affen. Gottseidank gibt es das Programm eix bzw. das im gleichen Palet enthaltene Script eix-test-obsolete.

Zuerst führt man den Befehl eix-update aus. Er generiert bzw. aktualisiert eine Datenbank aus dem Portage-Tree. Danach gibt man eix-test-obsolete ein: Damit wird die soeben erzeugte Datenbank mit den am System installierten Paketen verglichen, auch die Dateien in /etc/portage werden mit einbezogen. Was dabei herauskommt sind gegebenenfalls Hinweise auf Pakete, die noch installiert sind, obwohl Gentoo sind nicht mehr unterstützt. Vor allem aber spuckt eix-test-obsolete alle verdächtigen Kandidaten aus package.keywords (und verwandten Dateien wie package.use) aus. Die kann man sich dann gezielt ansehen, eventuell ganz aus der Liste löschen oder gegen eine aktuellere Version austauschen.

Ich machs natürlich nicht regelmäßig, obwohl ichs mir vorgenommen hab. Allerdings muß eix-test-obsolete immer dann aushelfen, wenn beim update eigentümliche Blocks auftreten, die ich mir nicht erklären kann. Die betroffenen Pakete findet man sehr häufig auch in der von eix-test-obsolete generierten Liste … Und dann kommt der Frühjahrsputz. :)


Happy Birthday, Richard M. Stallman!

Richard M. Stallman: Happy Birthday! Hab ichs doch fast übersehen! Richard Matthew Stallman, kurz RMS genannt, feierte gestern seinen 60. Geburtstag. Alles Gute! Happy Birthday! Joyeux anniversaire! Feliz cumpleaños! Selamat ulang tahun!

RMS ist mein Idol und Held. Er war es, der in den 1980er-Jahren den Grundstein für alle Systeme gelegt hat, die heutzutage von den meisten Menschen unrichtigerweise unter dem Begriff „Linux“ zusammengefaßt werden. Ohne RMS hätte ich keinen Laptop mit Ubuntu, kein Nokia N9 (und davon kein N900, kein N810 etc.), keinen Netgear NAS-Server, keine A1 Media Box, … Nokia hätte keinen Browser für seine Symbian-Phones, Google weder sein Android noch ein Betriebssystem für seine großen Server, Blogger hätten kein Wordpress, File-Sharer kein BitTorrent und wir alle keinen Firefox Browser.

Hat Richard Stallman all diese Dinge erfunden bzw. programmiert? Kein bißchen, nein. Zwar ist er auch Programmierer und die von ihm entwickelten Programme sind nach wie vor Teil der meisten GNU/Linux-Distributionen. Das aber macht seine Bedeutung nicht aus.

Richard Stallman hat die Welt verändert, weil er 1983 das GNU-Projekt gegründet hat. GNU sollte oberflächlich gesehen ein Nachbau des Betriebssystems UNIX werden. Im Unterschied zu den damals existierenden kommerziellen UNIX-Varianten, die immer geschlossener wurden, sollte es aber ein freies Betriebssystem sein. „Frei“ war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz ausdefiniert. Stallman hatte nur die ungefähre Vorstellung, daß der Quelltext wieder für alle einsehbar und veränderbar sein sollte, so wie er aus der Frühzeit der Computertechnologie kannte.

Um dieses Ziel konkreter zu machen war es aber notwendig, genauer zu formulieren, was mit dem Begriff „frei“ gemeint war. Dazu schrieb er 1985 zunächst das GNU-Manifest als ideologische Grundsatzerklärung und 1989 dann seine wichtigste Arbeit, die GNU General Public License (GPL). Die GPL ist mit ihrer kleinen Schwester, der LGPL, die am meisten verbreitete Lizenz in der Welt freier Software. Zwei Drittel aller Projekte - darunter der Linux-Kernel - verwenden sie. (Zum Vergleich: Die zweitpopulärste Lizenz wird von 14% verwendet, die drittpopulärste von 8%.) 88% aller Projekte verwenden entweder die GPL oder eine mit ihr rechtlich kompatible Lizenz.

Warum ist die Lizenz so wichtig? Aus zwei Gründen:

Erstens ist die GPL auf Basis des GNU-Manifests so geschrieben, daß die wesentlichen Interessen freier Software gewahrt bleiben. Es ist zum Beispiel illegal, ein unter der GPL lizensiertes Programm zu verändern, zu verbessern und dann kommerziell zu vertreiben, ohne die eigenen Änderungen auch wieder unter den gleichen Bedingungen zugänglich zu machen. Das ist ein entscheidender Punkt, ohne den das System freier Software nie vom Fleck gekommen wäre. Ohne diese Klausel in der Lizenz wären die meisten IT-Firmen wohl der Versuchung erlegen, freie Software nur als billige Basis für proprietäre Eigenentwicklungen zu mißbrauchen … und freie Software wäre bereits kurz nach ihren Anfängen in den 1980ern wieder von der Bildfläche verschwunden.

Zweitens besteht jedes auf freier Software aufbauende Gesamtsystem aus einer Unzahl von Programmen, die völlig unabhängig voneinander entwickelt werden, aber aufeinander aufbauen. Wenn jedes dieser Projekte seine eigenen Lizenz- und Nutzungsbedingungen entwirft, kommt man schnell in die Lage, daß bestimmte Kombinationen davon nicht legal verwendet werden dürfen. Die frühe Dominanz der GPL, die von vielen Projekten übernommen wurde, hat zur notwendigen Rechtssicherheit geführt und die unkomplizierte Verbreitung freier Software erst ermöglicht.

Richard Stallman ist mein Held. Nicht wegen des GNU-Projekts an sich, das zwar nach wie vor wichtig ist, aber in vielen wesentlichen Punkten unvollständig geblieben oder von moderneren Programmen überholt wurde. Er ist mein Held, weil er das Konzept freier Software überhaupt erst erdacht, ausformuliert, in eine umfassende und taugliche Lizenz gegossen und schließlich sein Leben lang kompromißlos dafür gekämpft hat. Er hat wesentlich mehr zum gesamten System freier Software beigetragen als Linus Torvalds, der rückgratlose Pragmatiker, der dafür später die Lorbeeren eingeheimst hat (und bis heute nur voll Häme und Spott von RMS spricht). Man sollte dieses Gesamtbild vor Augen haben, wenn man vom aus Stallmans Ideen gewachsenen Betriebssystem spricht. Viele nennen es einfach „Linux“, weil Torvalds die Selbstvermarktung so gut beherrscht. Andere nennen es „GNU/Linux“, um den viel wichtigeren Beitrag Stallmans nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Dieser Artikel wurde auf einem freien GNU/Linux-System geschrieben. Danke dafür, Richard. Und mit einem Tag Verspätung alles Gute zum Geburtstag!


Vivaldi-Tablet mit eigener Hardware

I've been sitting on that news for two months now - just painful … grinst Aaron Seigo aus dem YouTube-Video, in dem er unter anderem über die Fortschritte beim Vivaldi-Tablet spricht.

Schon seit letztem Jahr ist ja bekannt, daß der ursprüngliche Plan nicht aufgegangen ist. Man wollte sich bei einem chinesischen OEM-Hersteller von Android-Tablets quasi „anhängen“ und ein (theoretisch) GNU/Linux-taugliches Gerät unter eigener Marke und mit Mer/"Plasma Active als Betriebssystem auf den Markt bringen. (Mein erster Bericht dazu ist hier zu finden; damals sollte das Gerät noch Spark heißen.) Der Teufel lag im Detail: Weder die chinesischen Hersteller noch Google als Android-Mutter scheren sich einen Dreck um die Lizenzbedingungen der GPL, denen der Linux-Kern des Systems eigentlich unterliegt. Egal welche Hardware das Vivaldi-Team ins Auge gefaß hat: Überall waren, trotz gegenteiliger Zusagen, proprietäre Komponenten notwendig.

Schlimmer noch: Aaron erzählt, daß die Unternehmen keinen erkennbaren Plan bei ihrer Produktentwicklung hatten. Es wurde offenbar so lange mit Chip A produziert, solange der auf Lager lag … und in die nächste Version ein inkompatibler Chip B eingebaut, ohne daß das irgendwann angekündigt worden wäre. Unter diesen Bedingungen stand das Projekt Vivaldi kurz vor dem Scheitern. Selbst wenn man irgendwann ein Tablet mit funktionierender Hardware ausliefern hätte können, wäre es unmöglich gewesen zu garantieren, ob die in der darauffolgenden Woche produzierten Geräte überhaupt noch booten würden.

Die überraschende Lösung: Eine eigene, speziell für Vivaldi gestrickte Hardware. Das Vivaldi-Team kauft nicht mehr Tablets, die ohnehin für andere auch produziert worden wären, sondern gibt eigenes Hardwaredesign in Auftrag. Ganz so schwer ist das gar nicht, erklärt Aaron, obwohl er offenbar selbst noch nicht ganz glauben kann, was er da tut: Im Grunde sind auch Tablet-Komponenten mittlerweile fast schon so standardisiert wie PC-Bestandteile. So wie ich meinen PC im online-Shop aus Standardkomponenten zusammenklicke, machen Aaron und seine Kumpels das jetzt mit dem Tablet. (OK, ein bißchen mehr externes Fachwissen haben sie wohl doch gebraucht … aber es war machbar.) Alles ist unter Kontrolle. Es gibt nur mehr Chips, für die auch Treiber verfügbar sind. Man weiß heute schon, wie das nächste Modell aussieht. Keine Überraschungen. Klingt gut. In ca. drei Monaten solls (wieder einmal *gg*) so weit sein, daß die ersten Geräte vom Band rollen.

Interessant finde ich das deswegen, weil es eine neue Qualität in diesem Markt bedeutet. Es gibt seit Jahren Bemühungen, vorhandene freie Betriebssysteme ohne Tricks und proprietäre Treiber auf Tablets zum Laufen zu bringen und somit das Tablet zum normalen PC zu machen. Bisher hatte niemand damit Erfolg, weil die Tablet-Hardware nicht offen genug war. (Zuletzt grandios gescheitert mit dieser Idee ist das Cordia Tab, das den von Nokia fürs N900 entwickelten Hildon Desktop auf einen 7"-Bildschirm bringen wollte.) Wenn es jetzt gelingt, ein Tablet aus Standardbausteinen zusammenzusetzen wie ein Ikea-Regalsystem, dann bedeutet das einen Durchbruch nicht nur für das Vivaldi-Projekt.


Nokias Erben II

Shuttleworth: Zu wenig Unterstützung? Vor etwa einem Monat habe ich versucht, die Betriebssysteme Sailfish (Jolla), Ubuntu for Phones (Canonical), Tizen (Samsung, Intel u.a.) und Firefox OS (Mozilla) nach meinen Kriterien zu vergleichen.

Tomi Ahonen macht jetzt das gleiche, allerdings aus einer anderen Perspektive. Er kümmert sich weniger um die inneren Werte der vier Systeme (und einiger anderer wie Windows Phone und Blackberry), sondern analysiert ihre Marktchancen. Weil sein Artikel wie üblich viel zu langatmig ist, hier eine kurze Zusammenfassung:

  • Tizen: Eine sichere Bank. Tizen hat als einziges System mehr als nur unverbindliche Unterstützungszusagen von Carriern und Hardware-Lieferanten. Industriegiganten wie NTT DoCoMo, Orange, Sprint, Vodafone, Samsung, Huawei, Intel und Panasonic haben eine aktive Führungsrolle in der Tizen Association. Diese Marktmacht ist beachtlich: 40% aller verkauften Telefone weltweit kommen von den bei Tizen vertretenen Hardware-Herstellern. Die Mobilfunker im Tizen-Board versorgen in Summe 11% aller Kunden auf diesem Planeten. Ahonen traut Tizen zu, bis Ende 2013 maximal 2%, Ende 2014 maximal 5% Marktanteil erreicht zu haben. Wem das übertrieben vorkommt, der sei daran erinnert: Samsung allein hat mit Bada das am schnellsten wachsende OS überhaupt am Markt. Bada ist in 2 Jahren schneller gewachsen als iOS in seinen ersten beiden Jahren.
  • Sailfish: Ahonen hält es für unwahrscheinlich, daß Jolla mit der Sailfish-Alliance die 1%‑Marke überspringen kann; nicht 2013 und auch nicht 2014. Andererseits zielt Jolla auf das Hochpreissegment. Wenn das Spiel aufgeht, müssen sie nicht viele Handys verkaufen, um bis 2014 zu überleben. Über Carrier- und Händlerdeals hört man noch wenig: Der finnische Carrier DNA ist fix, außerdem die chinesische Kette D.Phone. Beides wird auf Dauer nicht reichen. Aber es ist mehr, als andere haben.
  • Firefox OS: Zu wenige Informationen, zu viele Unbekannte. Tomi Ahonen traut sich nicht so recht, das System einzuschätzen, gibt ihm aber gute Außenseiterchancen. Die Carrier stehen Mozilla freundlich gegenüber und signalisieren Unterstützung. Konkrete Verträge fehlen aber bisher - was sich jederzeit ändern kann.
  • Ubuntu for Phones: Hier gibts ein vernichtendes Urteil von Tomi Ahonen, das mich doch etwas überrascht hat. Immerhin ist dieses System der Liebling der Journalisten und hat Sailfish an Medienaufmerksamkeit überholt. Zentrales Argument dabei: Die Integration von Desktop und Telefon ist das Killer-Feature für Ubuntu. Ahonen sieht das anders: Die Desktop-Integration hat Windows Phone (und seinem Vorgänger) nichts genützt und war bei Symbian nicht hilfreich. (Ja, Symbian: Es gab schon vor Elop einen Nokia-Microsoft-Vertrag, der dazu führte, daß auch mein C7 perfekt in die Microsoft-Umgebung im Büro eingebunden ist.) Was hingegen hilfreich wäre: konkrete Vereinbarungen mit Hardwareherstellern und Carriern, die aber fehlen. Aus diesem Grund vergleicht Ahonen Ubuntu mit einem Sportler, der sich noch nicht einmal für den Wettkampf qualifiziert hat.
  • Blackberry und Windows Phone: Der Vollständigkeit halber beleuchtet Tomi Ahonen auch noch Windows Phone und Blackberry. Beiden gibt er kaum noch Chancen. Blackberry, so meint er, wird in einem Nischenmarkt profitabel bleiben, aber nicht mehr weiter wachsen. Windows Phone hält er für tot, sobald Nokia aussteigt (wie es die meisten anderen Hardware-Partner bereits getan haben).

Wie relevant sind Ahonens Analysen? Er wird oft belächelt, weil er in seinem Blog sehr emotional und nicht unbedingt professionell formuliert. Andererseits: Die meisten seiner Vorhersagen in Sachen Marktentwicklung treffen zu. So war er derjenige, der schon 2011 die Entwicklung der Nokia-Verkaufszahlen bis Anfang 2012 am korrektesten vorhersagte. Firmen wie Gartner, IDC oder Morgan Stanley lagen um ein Vielfaches daneben. Ich hoffe nur, daß er sich bezüglich Sailfish nicht verschätzt und daß dieses Mer-Derivat neben Tizen nicht unter die Räder kommt. Mein Sympathien liegen definitiv nicht bei Samsung und Intel. ;)


A1 TV neu: Aua!

Facepalm Wie konnte das passieren? A1 TV, mein liebes A1 TV, wurde heute bei mir (gegen meinen Willen) auf die neue Benutzeroberfläche umgestellt. Das ist schon mal besonders reizvoll, wenn man Punkt 20:15 einschaltet, dann aber nicht fernsehen kann, sondern 45min mit Updates und Hotlines zubringen muß.

War das das Schlimmste? Nein. Erstes ernüchterndes Erlebnis: Alles ist schwarz/weiß. User Interface, TV-Programm, alles. Als geübter „Geräte via SCART an den Fernseher“-Anschließer weiß ich auch, woran das liegt: Fernseher und A1-Box können sich nicht drauf einigen, ob das Farbsignal via RGB oder via S-Video übertragen werden soll. Kein Problem, ich klicke ins Menü „Einstellungen“ und finde dort - nichts. Ja, HDMI könnt ich als Alternative zu SCART auswählen, aber das bringt mir grad recht wenig. Noch weniger bringt der Anruf bei der Serviceline. Dort wollte ich mich erkundigen, wo die bisher vorhandene Einstellungsmöglichkeit hin verschwunden ist. Der junge Mann hat mir freundlich angeboten, meine Leitung zu messen … und ich hab aufgelegt.

War das das Schlimmste? Nein. Ich konnte die Einstellung am Fernseher anpassen. Das wirklich schlimme am neuen System ist die Mini-Mini-Mini-Schrift, die (fast) überall verwendet wird. Die Buchstaben sind so klein, daß sie nicht mehr sauber getrennt am Bildschirm erscheinen. Buchstaben wie f, t, l oder i sind am 27"-Gerät nicht einmal einen Millimeter breit. Aus einem Sitzabstand von 4m läßt sich der Text einfach nicht lesen. Damit ist ab sofort ausnahmslos jede in A1 TV angebotene Funktion für mich unbenutzbar. Ich kann keine Zusatzinfos zur Sendung aufrufen, ich kann nicht durchs Programm blättern, ich kann nicht suchen …

Merke: Es hat einen guten Grund, warum seit Anbeginn des Fernsehens für jede Art von Textdarstellung die Faustregel gilt: 40 Zeichen pro Zeile.

Gibt es Positives? Ja. Grundsätzlich schon. Allerdings zeigt die konkrete Implementierung all dieser Funktionen wieder Schwächen, bei denen man sich denkt: Wie konnte das nur passieren?! Beispielsweise die bereits erwähnte Suche: Im Prinzip ist das eine tolle Sache. Ich gebe über die Fernbedienung „Enterprise“ ein und sehe schon Tage im Voraus, wann das Raumschiff Enterprise auf irgendeinem Sender auftaucht. Besser noch: Ich kann diese Suche dann abspeichern, damit ich nicht jedes Mal „Enterprise“ tippen muß. Das ist doch toll! Was um alles in der Welt könnt ich daran auszusetzen haben? Nun: Die Ergebnisse erscheinen nach Sender gereiht, nicht chronologisch. Wenn also heute zuerst eine Folge auf SyFy läuft und danach eine auf tele5, dann bekomme ich von der auf tele5 nichts mit. Es werden mir zuerst alle Enterprise-Folgen der kommenden Woche auf SyFy angezeigt (und das sind mehrere pro Tag!), dann alle auf ZDF neo, dann einige Filme aus der A1 Videothek und endlich - wenn ich so lange durchgehalten habe - die heutige Folge auf tele5. Facepalm.

Auch schön: Die Integration von einigen Internet-Features. Twitter und Facebook interessieren mich dabei wenig. Nett (wenn auch optisch unbrauchbar aufbereitet) ist die Möglichkeit, RSS-Feeds aufzurufen. Klingt gut? Ist es nicht. Es sind fix programmierte RSS-Feeds, die garantiert niemanden interessieren. Den Feed meines Lieblingsblogs kann ich nicht hinzufügen. (Was andererseits auch wieder wurscht ist: ich könnte ihn eh nicht lesen, der kleinen Schrift wegen.) Ebenfalls eine hübsche Idee ist der Zugriff auf Flickr. Urlaubsfotos am Fernseher, ja, das lasse ich mir einreden. Was ich nicht verstehe ist, warum die Fotos nur ca. ¼ des Bildschirms füllen. Rundherum ist nur ein schwarzer Trauerrand. Hat sich dabei jemand was gedacht?

Schade drum. Vieles, was vorher praktisch war, ist nun unbenutzbar. Neue Features sind lieb gemeint, aber nicht sinnvoll umgesetzt. Mal sehen, wie lange es dauert, bis ein neues Update kommt - oder (noch besser) die Option, aufs alte User Interface zurück zu wechseln. Ein Buch zu lesen ist wohl eh besser.


Nokia und Windows Phone: erkaltete Liebe?

Seit Monaten hört man von Stephen Elop gebetsmühlenartig: Windows Phone ist die Zukunft von Nokia. Lumia, „Ecosystem“, Microsoft, alles das.

Jetzt ganz plötzlich neue Töne. In einem Interview mit der spanischen Tageszeitung „El País“ antwortet Elop auf die Frage, ob nicht 2014 auch ein Android-Modell anstehen könnte: „Wir denken darüber nach, was als nächstes kommt. […] Alles ist möglich.“ (Eine englische Übersetzung der Stelle gibts hier bei Gizmodo.)

Bedeutet das die Abkehr von Windows Phone und die de facto Ankündigung eines Android-Modells für 2014? Auf gar keinen Fall. Der NoWin-Vertrag mit Microsoft läuft bis 2016, so lange muß Nokia OEM-Hersteller für Microsoft spielen. Auch liest sich die ganze Passage für mich nicht nach einer konkreten Ankündigung eines Android-Modells. „Alles ist möglich“ heißt eben genau das: Alles ist möglich, Android, Windows Phone, Super-Asha, Firefox OS, …

Nein, dieses Interview gibt noch keinen Hinweis auf eine neue Android-Strategie, die andere Blogs hinein zu interpretieren versuchen. Was für mich aber entscheidend und auffällig ist: Zum ersten Mal spricht Elop nicht von Windows Phone als der einzigen Wahl für Nokia, als dem besten und allein selig machenden Betriebssystem, dem allein die Firma ihre gesamte Zukunft und Seele verschreiben muß. Nach vollen zwei Jahren, in denen Elop immer genau das gesagt hat, wie ein sturer alter Mann, trotz aller Warnungen, trotz der negativen Marktreaktionen, ist dieses unbestimmt-hilflose „Alles ist möglich“ aber dann doch ein Richtungswechsel. Fast hat man den Eindruck, Windows Phone hätte die Erwartungen nicht erfüllt …


Nokias Erben: Jolla? Ubuntu? Firefox? Tizen?

Ende 2011 hat Nokia mit dem N9 das letzte Smartphone herausgebracht, das noch mit freier Software lief und vom Betriebssystem her einem Desktop-Computer glich. Seither gibt es nur mehr mehr oder weniger geschlossene Systeme mit mehr oder weniger kastrierten Mini-Betriebssystemen. Android dominiert den Markt mit 75% (!), iOS liegt weit abgeschlagen bei rund 14%. Symbian, Blackberry und Windows Phone haben mit jeweils 2%-4% die Wahrnehmungsschwelle unterschritten. (Siehe Google hängt Apple bei Smartphones ab)

Schlechte Zeiten also für freie Software am Smartphone? Schlechte Zeiten für den Traum von einem Computer in der Hosentasche, wie z.B. das legendäre Nokia N900 einer war? Lange Zeit sah es danach aus. Jetzt aber stehen - doch einigermaßen überraschend - gleich vier Systeme in den Startlöchern, die die Lücke schließen könnten: Firefox OS, Jollas Sailfish, Ubuntu for Phones und Tizen. Dazwischen steh ich, eher hilflos, und weiß im Moment nicht so recht, auf welches Pferd ich setzen soll. Also versuche ich mal, die Fakten zusammenzutragen und ein bißchen zu analysieren.

tl;dr

So wie's aussieht teilen sich die Systeme in zwei Gruppen: Sailfish und Ubuntu for Phones entsprechen am ehesten noch dem von mir favorisierten Ideal des Smartphones als vollwertiger Mini-Computer. Firefox OS und Tizen sind zu sehr auf HTML-WebApps beschränkt. Bei Tizen ist das eine künstliche und vielleicht nur vorübergehende Einschränkung, bei Firefox OS unveränderlicher Teil des Konzepts.

Sailfish und Ubuntu for Phones haben nach den vorliegenden ersten Infos so viel gemeinsam, daß wahrscheinlich sogar die Software gegenseitig kompatibel sein wird. Der Unterschied aus meiner Sicht ist ein emotionaler und hat mit Vertrauen zu tun: Ubuntu-Hersteller Canonical hat in der Vergangenheit bewiesen, daß man es mit der Freiheit des Konsumenten nicht immer ganz so ernst nimmt. Die Firma hinter Sailfish, Jolla, ist diesbezüglich ein unbeschriebenes Blatt, bringt aber in ersten Präsentationen ihre Begeisterung für offene Systeme deutlich glaubwürdiger rüber als Mark Shuttleworth.

Heißt unterm Strich: Ich freu mich auf Jolla, geb’ Ubuntu eine faire Chance und behandle Tizen und Firefox OS zunächst mal mit vorsichtiger Zurückhaltung.

Tizen

Tizen wurde Ende September 2011 als unmittelbarer Nachfolger von MeeGo präsentiert, nachdem Nokia sich aus dem Projekt zurückgezogen hatte. Intel hatte in Samsung einen neuen Partner aus der Mobilbranche gefunden. Obwohl ein SDK und ein Entwicklergerät vorgestellt wurden, blieb es so ruhig um das System, daß ihm kaum noch jemand eine Zukunft gab. Presseberichten zufolge bringt Samsung aber 2013 doch Geräte mit Tizen auf den Markt. Sogar HTC, Asus und Acer sollen jetzt an Tizen-Hardware basteln. Gefällt mir das?

Tizen baut in weiten Teilen auf Komponenten auf, die aus der GNU/Linux Desktop-Welt bekannt sind. Der Überblick über die auf Tizen.org gepflegten Projekte listet viele alte Bekannte auf: Alsa, DBus, udev, GStreamer, CUPS, Busybox, … auch wenn nicht alles davon auf einem Telefon landen wird, Tizen ist ein Desktop-System. (Im Gegensatz z.B. zu Android, das zu oft eigene Wege geht.)

Alles in Ordnung also? Nicht wirklich. Nach den bisher vorliegenden Informationen sollen Applikationen für Tizen-Smartphones als HTML-WebApps programmiert werden. In der Dokumentation für Entwickler fehlt jeder Hinweis auf native Programme. Ursprünglich war angekündigt, daß Entwickler zumindest mit der Enlightenment Foundation Library (EFL) native Programme für Tizen-Handys schreiben können. Technisch funktioniert das zwar mit einigen Tricks, dokumentiert oder offiziell unterstützt ist dieser Weg aber (derzeit?) nicht. Zwar sind in HTML geschriebene Programme heute deutlich leistungsfähiger als 2007, als Steve Jobs mit dieser Idee am iPhone scheiterte. Trotzdem: Es fehlt an standardisierten Schnittstellen zum Betriebssystem, zur Hardware. Sowohl das W3C als auch Tizen (und Mozilla, siehe weiter unten) arbeiten an der Lösung dieses Problems. Noch liegt das Ziel aber in einiger Ferne. Ich persönlich zweifle auch daran, daß eine in HTML zusammengescriptete Anwendung eine effiziente Methode ist, die begrenzten Ressourcen eines Mobiltelefons zu nutzen.

Was mich persönlich aber am meisten irritiert ist die Arbeitsweise von Tizen. Man riecht förmlich die Konzerninteressen der Riesen Intel, Samsung und der neu ins Spiel kommenden Carrier. Entwickelt wird ohne große Community-Beteiligung, hin und wieder präsentiert man neuen Code … das erinnert stark an Google und Android. Ich mag es auch dort nicht.

Sailfish (Jolla)

Jolla hat sein Sailfish OS erst anhand einiger Videos vorgestellt. Man weiß darüber noch weniger als über Tizen. Fest steht: Jolla basiert auf Mer, das ebenfalls eine Fortführung von Maemo/MeeGo ist. Im Gegensatz zu Tizen wird Mer aber offen von einer interessierten Community entwickelt. (Eine Liste der gepflegten Pakete gibts hier. Sie ist doch etwas kürzer als die von Tizen.) Auch für Sailfish gilt also: Es handelt sich um ein Desktop-ähnliches Betriebssystem.

Der größte Unterschied zu Tizen ist: Sailfish kann mit HTML-WebApps umgehen, ist aber nicht darauf beschränkt. Die Entwickler werden dazu angehalten, in erster Linie nativen Code unter Verwendung von Qt/QML zu schreiben. Das öffnet die Tür in die Welt der bereits existierenden Programme für Maemo, Symbian und MeeGo. Auch die wurden bzw. werden mit Qt/QML geschrieben und sind daher mit wenig Aufwand auf Sailfish zu portieren. Apropos Kompatibilität: Sailfish kann mithilfe eines Emulators auch einen Großteil existierender Android-Programme nutzen. Klingt praktisch.

Wo Tizen zur Gänze auf eigene Entwicklung (oft hinter verschlossenen Türen) setzt, bedient sich Sailfish der offenen Mer-Plattform. Das macht die Sache einerseits billiger für Jolla, andererseits sympathischer für mich. Mer wird nicht von den Interessen der Börse beherrscht. Dort wird entwickelt, was gut ist, nicht was ein „Ökosystem“ stärkt. So soll freie Software sein.

Firefox OS

Obwohl Firefox OS ebenfalls bereits 2011 präsentiert wurde, ist es für mich das am wenigsten verständliche der vier Betriebssysteme. Fest steht: Ziel des Projekts ist ein Mini-Betriebssystem, das gerade ausreicht, um den hinter Firefox stehenden Gecko-Code auszuführen. Innerhalb dieser (de-facto) Browserumgebung laufen dann das User Interface und die Programme, letztere natürlich ausschließlich als HTML-WebApps, wie bei Tizen.

Nicht nachvollziehbar ist für mich im Moment, was „unterhalb“ der Browser-Engine noch alles dazugehört. Ein Linux Kernel, die libusb, Bluez … offenbar gerade genug, um die Hardware anzusteuern. Eine komplette Paketliste so wie für Tizen oder Mer habe ich nicht gefunden. Jedenfalls scheint das Ziel des Projekts nicht so ganz mit meinen Erwartungen an ein Smartphone-Betriebssystem kompatibel. Firefox OS will (so wie Googles Chrome OS) zeigen, was mit moderner Web-Technologie alles machbar ist und daß man praktisch ein gesamtes Betriebssystem darauf aufbauen kann. Ich hingegen will ein klassisches, möglichst ressourceneffizientes Betriebssystem, auf dem die gleichen Komponenten und Programme laufen, die ich vom Laptop und vom Desktop-PC her kenne.

Ubuntu for Phones

Ubuntu for Phones ist der doch etwas überraschende neue Teilnehmer in diesem Spiel. Jeder wußte, daß Mark Shuttleworth sein Desktop-System auch auf andere Geräte, darunter Smartphones, portieren will. Daß Ubuntu for Phones aber schon jetzt präsentiert wurde, kam doch eher unerwartet.

Harte Fakten gibt es noch wenige. Alle vermuten, daß es sich um eine nur im User Interface angepaßte Variante des Desktop-Betriebssystems handelt. Das wäre wirtschaftlich vernünftig, sonst müßte Canonical zwei getrennte Betriebssysteme pflegen. Außerdem wärs ganz in meinem Sinn: das Desktop-OS in der Hosentasche.

Den Entwicklern präsentiert sich Ubuntu ähnlich wie Sailfish: HTML-WebApps (die übrigens heute schon am Ubuntu Desktop unterstützt werden) sollen ebenso laufen wie native Programme in Qt/QML. (Letzteres ist bemerkenswert, kommt Ubuntu doch eher aus der GTK-Ecke.)

Keine Beschwerden von mir also über Ubuntu for Phones? Ich bin mir noch nicht sicher. Mark Shuttleworth findet immer Mittel und Wege, mich zu vergraulen. Zuletzt hat er das mit der Cloud-Lösung Ubuntu One geschafft, die unterm Strich genauso geschlossen ist wie die entsprechenden Services von Microsoft oder Google. Ein ganz wesentlicher Punkt bei Ubuntu for Phones wird genau diese Cloud-Integration, aber auch die Möglichkeit, das Handy mit dem Desktop zu verheiraten. Es muß sich erst zeigen, ob die Lösungen dabei wirklich offen sind oder ob, wie bei Canonical leider üblich, wieder alle etablierten Standards zugunsten proprietärer Protokolle ignoriert werden. Ich brauch keine freie Software, wenn der Hersteller mir die freie Benutzung verweigert. Mal sehen also, was da so alles wird.

Weitere Faktoren

Ich hab in den Abschnitten oben jeweils die Fakten über die „Desktop-Ähnlichkeit“ und über die offiziell unterstützten Entwicklungs-Frameworks zusammengefaßt. Andere Faktoren sind mir ebenfalls wichtig. Dazu hab ich aber zu wenig Daten. Ich würde mich freuen, wenn mir jemand im Lauf der kommenden Monate Quellen dazu im Netz nennen könnte:

  • Freiheit: Welche Lizenzen finden Verwendung? Wie groß ist der Anteil des Systems, der unter einer freien Lizenz, vielleicht sogar einer Copyleft-Lizenz steht? Zumindest im „Unterbau“ sehe ich hier wenig Unterschiede. Es sind kaum Eigenentwicklungen dabei (bei Ubuntu ist das noch nicht 100%ig belegt, aber wahrscheinlich), die verwendeten Komponenten sind zumindest frei genug, daß ich sie ohne moralische Probleme am Desktop einsetze. Spannend wird natürlich die Lizenzierung des User Interface, vor allem bei Jolla, Tizen und Ubuntu. Darüber weiß ich aber noch nichts.
  • Programmiersprachen: Neben den vom Hersteller offiziell unterstützten Programmiersprachen ist es oft möglich, weitere zu nutzen (Java, Python, C#, …). Ob das geht und wie benutzerfreundlich die Installation eines in einer solchen Sprache geschriebenen Programms für den Konsumenten abläuft, ist mir noch für keines der Systeme klar. (Thomas Perl gibt hier in seiner Mobile Matrix zumindest für Tizen an: Nichts geht mehr. Nur HTML.)
  • Offener Zugriff: Wie viel Kontrolle habe ich über das Gerät? Ist es möglich oder sogar vorgesehen, vollen Root-Zugriff zu erlangen? Schirmen „Sicherheitsmaßnahmen“ wie Aegis am N9 bestimmte Systemfunktionen ab? Auch hier habe ich für kein System eine Antwort.
  • Offene Standards: Unterstützt das System von sich aus verschiedene offene Standards (z.B. für PIM-Synchronisation, Daten-Backup, Chat, VoIP)? Oder zwingt es den Konsumenten zur Nutzung eines bestimmten Services, wie Android oder Windows Phone das tun? Diese Frage wird vor allem bei Ubuntu spannend.
  • Freie Software-Installation: Läßt das Betriebssystem die Installation jeder Software aus jeder Quelle zu? Oder ist es künstlich beschränkt auf einen kontrollierten Store?

Vor allem die Sache mit den offenen Standards wird bei der praktischen Benutzung eine große Rolle spielen. Aus Erfahrung weiß ich: Sobald ein Hersteller hier patzt, ist die Benutzung selbst banaler Grundfunktionen nicht mehr möglich.