Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

Politik und Gesellschaft



Umfragen zur Bundespräsidenten-Wahl

Die verschiedenen Meinungsforschungs-Institute haben mehrfach durchblicken lassen: So wirklich vertrauen sie ihren eigenen Ergebnissen für die Wahl am Sonntag nicht. Zu ungewöhnlich ist die Ausgangslage mit den vielen Kandidaten, die vor allem nicht alle den traditionellen Parteilagern zugerechnet werden können. Klassische Methoden der Nachschärfung bei politischen Umfragen versagen hier.

Eines allerdings läßt sich mit Sicherheit sagen: Die von den Medien in den letzten Wochen regelmäßig zitierten Ergebnisse sind mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Dies schlicht und ergreifend deshalb, weil sie nicht einmal den Umfragen entsprechen. Was liest man seit Wochen?

  • Van der Bellen unangefochten auf Platz 1 mit ca. 25%
  • Hofer auf Platz 2 mit ca. 23% (es gab eine einzige Umfrage, die ihn nur auf Platz 3 hinter Griss sah)
  • Griss auf Platz 3 mit ca. 20%

Das wars also. Stichwahl zwischen Van der Bellen und Hofer und die Gschicht hat sich.

Mitnichten. Wieder einmal offenbart ein Blick auf neuwal.com, was die Meinungsforscher eigentlich sagen - und was Journalisten der kurzen Schlagzeile zuliebe weglassen: Natürlich geben die Institute Schwankungsbreiten zu ihren Umfragen an, die unterschiedlich groß sind, aber meist so zwischen drei und fünf Prozent liegen; drei und fünf Prozentpunkte nach oben und nach unten, um genau zu sein. Wenn also im Kurier steht, daß Alexander Van der Bellen 25% der Stimmen vorhergesagt werden, dann hat OGM in Wahrheit berichtet: Irgendwas zwischen 22% und 28% wirds wohl sein. Für den gleichen Kandidaten hat Gallup irgendwas zwischen 22% und 30% errechnet - das klingt ganz anders als die punktgenauen 26%, die der Auftraggeber (die Zeitung Österreich) draus macht.

Das Spiel mit der Schwankungsbreite ist deshalb so spannend, weil es ja am Sonntag nicht darum geht, ein Parlament repräsentativ zu besetzen. Da freut oder ärgert sich eine Partei über den Unterschied zwischen 22% und 24%. Am grundlegenden Kräfteverhältnis ändert das kaum jemals etwas. Anders bei dieser Bundespräsidentenwahl, die (und das läßt sich sicher vorhersagen) in eine Stichwahl münden wird: Schon eine Nachkommestelle macht den Unterschied zwischen dem undankbaren dritten Platz und intakten Chancen im zweiten Durchgang.

Es gibt seit Wochen kein Umfrageergebnis mehr, das unter Einbeziehung der Schwankungsbreite ein klares Bild an der Spitze zeichnet. Neuwal.com macht es in der Detailinterpretation der Ergebnisse klar: Die Aussage „Kandidat X liegt mit Sicherheit vor Kandidat Y“ läßt sich in Bezug auf Van der Bellen, Griss und Hofer nicht tätigen. Eine Stichwahl Hofer-Griss ist genauso möglich wie die Konstellationen Griss-Van der Bellen oder Van der Bellen-Hofer.

(Ziemlich gesichert scheint hingegen, daß die Kandidaten der ehemals großen Volksparteien SPÖ und ÖVP kaum noch Chancen auf die ersten beiden Plätze haben. Sollten Kohl oder Hundstorfer es in die Stichwahl schaffen, hätten alle Meinungsforscher versagt. Ein zweiter Wahldurchgang ohne einen Kandidaten der Parteien, die in der zweiten Republik ununterbrochen an der Macht waren, teils mit absoluter Mehrheit … das kann man auch als Befreiungsschlag für das Land begreifen.)

Was heißt das alles für den Wähler? Taktisch wählen hat noch weniger Sinn als sonst jemals. Einen anderen Kandidaten als den eigentlich favorisierten zu wählen, nur um ein laut Umfragen zu erwartendes Ergebnis zu verhindern - das ist absurd, wenn die Umfragen so viel Spielraum lassen.


Migranten: NGOs wollen doppelt kassieren

So sieht es aus, wenn eine seit Herbst geplante Bombe in den Medien gezündet wird:

Bund will Spenden abkassieren, titelt derstandard.at.

Empörung über Brief an NGOs schreibt der ORF.

Von einem Griff in die Taschen der Spender spricht Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner.

Was ist passiert?

Angesichts der zunehmenden Probleme mit den Migrationsströmen hat der Bund mit diversen Organisationen schon im Herbst 2015 eine befristete Sondervereinbarung getroffen: Was die NGOs wie Arbeiter-Samariter-Bund, Caritas oder Rotes Kreuz bei der Bewältigung der Durchreise tausender Migranten nicht mehr aus eigener Kraft (heißt also: aus Spendengeldern) stemmen können, wird aus Steuermitteln ersetzt. Zum Mitschreiben also: Extrageld vom Steuerzahler gibt es laut Vereinbarung vom Oktober

  • nur für Ausgaben, die mit der Durchreise in Zusammenhang stehen und
  • nur im Notfall, wenn die jeweilige Organisation die Kosten nicht selbst durch Spenden decken kann.

So weit, so jedem Blog-Leser innerhalb weniger Augenblicke klar.

Eine einzige Organisation war seriös genug, den Text der Sondervereinbarung auch in ihrer Finanzgebarung umzusetzen: die Johanniter. Sie haben fortan sauber getrennt zwischen der von den staatlichen Zuwendungen erfaßten Leistungen und allem anderen.

Die restlichen NGOs haben sich offenbar darauf verlassen, daß der warme Geldregen in jedem Fall sprudeln wird: Es gibt, so behaupten sie zumindest, nur zentrale Spendenkonten. Eine Trennung zwischen Spenden für die Unterstützung der Durchreisenden und anderen migrationsbezogenen Zuwendungen sei gar nie erfolgt. Vor allem aber sind sie, so heißt es zumindest aus den Pressestellen, völlig verdattert darüber, daß nun nicht alles aus dem Steuertopf bezahlt wird.

Was wollen die NGOs also jetzt? Sie wollen die Kosten, die Herr Michael F. mit seinen großzügigen Spenden bereits beglichen hat, ein zweites Mal vom Steuerzahler (also wieder von Herrn F.) ersetzt bekommen! In meinem Wörterbuch stehen dafür so nette Ausdrücke wie „Gier“ und „Unverschämtheit“. Im großen Buch der Redewendungen findet man auch „den Hals nicht vollkriegen“.

Daß die NGOs keinesfalls so unbeholfen sind, wie sie jetzt tun, ergibt sich aus dem Timing der Aktion: Seit Herbst 2015 ist ihnen bekannt, daß sie die durch Spenden abgedeckten Teile ihrer Kosten nicht noch ein zweites Mal vom Staat einfordern können. Trotzdem gab es bisher kein Drama um dieses Thema. Eine konzertierte Schlacht in verschiedensten Medien gibt es erst jetzt, kurz vor dem Auslaufen der Sondervereinbarung. Man gewinnt den Eindruck, daß sich die Herrschaften bewußt bis zuletzt dumm gestellt haben, um nach dem Ende der Förderperiode umso glaubwürdiger die Unwissenden spielen zu können. Übelstes Schmierentheater.


Marc Dillon und die Migrationsdebatte

Marc Dillon spricht im TV über die Migrationskrise Schon seltsam, wie die Dinge zusammenfinden im Leben. Marc Dillon hatte seine Auftritte in meinem Blog bisher immer nur dann, wenns um Jolla und das Sailfish OS ging. In der Rubrik „Politik und Gesellschaft“, die aktuell durch die Migrationsdebatte bestimmt wird, kam sein Name bisher nicht vor.

Jetzt verbindet er mit einem TV-Interview diese beiden großen Themenblöcke meines Blogs:

Gerade eben bin ich auf ein Gespräch aufmerksam gemacht worden, das er gestern in einer Talkshow des finnischen Senders YLE geführt hat. (Komplett auf Englisch übrigens, was ein bißchen was über das finnische Bildungssystem aussagt. Könnte sich jemand vorstellen, daß der ORF eine Folge von „Im Zentrum“ komplett auf Englisch sendet, weil einer der Gäste nicht so gern Deutsch spricht im Fernsehen?) Es ging darin zwar um finnische Innenpolitik, aber das Thema ist 1:1 auf Österreich umlegbar: „Die Gastfreundlichkeit Finnlands hat sich geändert“, hieß der Sendungstitel grob übersetzt. Marc erzählt aus seiner Perspektive als Ausländer, der in Finnland mit Menschen aus aller Welt zusammengearbeitet hat; als Ausländer, der ein Unternehmen mit 120 Arbeitsplätzen aufgebaut hat; als Ausländer, der jetzt wieder für eine andere Firma in Finnland einen Produktionsbetrieb schaffen möchte und daran scheitert, weil die Arbeitskräfte fehlen.

Er erzählt, wie er in den letzten Monaten zunehmend mit Feindseligkeit und Ablehnung konfrontiert wird, wenn er in der Straßenbahn englisch redet - was früher niemanden gestört hat. Dabei, das ist ihm bewußt, hat er ja helle Haut und blonde Haare. Wie geht es denen, die mit dunkler Hautfarbe in der Straßenbahn sitzen? Er spricht (und damit ist er genau in meinem Thema drin) den am Reißbrett konstruierten Haß an, den Politiker derzeit schaffen, um ihn dann in billige Wählerstimmer umzumünzen. Den Haß der Mehrheit (eh klar, mit einer Minderheit lassen sich keine Wahlen gewinnen) auf irgendeine x-beliebige Minderheit, die sich irgendwie abgrenzen läßt: durch ihre Religion, ihre sexuelle Orientierung, ihre Herkunft, ganz egal. Er macht sich Sorgen über die künstlich herbeigeführte gesellschaftliche Spaltung, über Menschen, die ihre Meinung nie hinterfragen, die nur lesen, was sie lesen wollen.

Er erzählt fast schwärmerisch davon, daß „die anderen“ - Ausländer wie er selbst - ja immer schon da waren, bei Nokia einen der großartigsten Technologiekonzerne der Welt am Laufen gehalten haben, daß fast jeder Pizzabäcker am Eck irgendwann als Einwanderer ins Land gekommen ist, um ein besseres Leben zu finden … und daß dieser Pizzabäcker, wie alle anderen, Teil des besseren Lebens für Finnland insgesamt geworden ist, weil er Arbeitsplätze schafft, Waren finnischen Firmen bezieht, Steuern und Abgaben zahlt. Weil er da ist in einem Land, das aufgrund der rückläufigen Bevölkerungszahl ohne Immigration kein Wirtschaftswachstum mehr stemmen könnte.

Es zahlt sich aus, dieses 20minütige Gespräch zu sehen. Marc hat seine Leidenschaft behalten, er spricht mit einer Überzeugung, die berührt … eben weil er nicht nur Beobachter, sondern Betroffener ist. Ich hab gar nicht mitbekommen, daß er offenbar in Finnland einfach öffentlich den Mund aufmacht zu diesen Themen. Die Tante vom Fernsehen hat sowas erwähnt und ihn auch auf das T-Shirt angesprochen, das er trägt. (War da eine Regenbogenfahne drauf?)

Also, klickst Du hier, solange YLE es online zur Verfügung stellt:

Yle Debatt - Jakso 1: Marc Dillon: Det välkomnande Finland har förändrats.


Die dreckige Politik der ÖVP

Es gibt Dinge in der Politik, die sind so unvorstellbar dreckig, daß man es gar nicht in Worte fassen kann. Die in Oberösterreich entbrannte Diskussion um eine Kürzung der bedarfsabhängigen Mindestsicherung bei Zuwanderern mit Asylstatus gehört mit dazu. Nein, falsch: Sie bietet nur die Bühne. Ich habe die von der rechtsradikalen FPÖ aufgebrachte Idee zunächst als nur unbedeutenden Knallkörper im großen Getöse der Migrationsdebatte erlebt. Bis sich die ÖVP eingeschaltet hat. Wie immer, wenn sie das tut, wirds ab dann wirklich grauslich. Josef Pühringer, ÖVP-Landeshauptmann von Oberösterreich, sagt nämlich in einem auf derstandard.at veröffentlichten Interview zu diesem Thema:

Es muss ein entsprechender Abstand sein zwischen jenen, die 40 Stunden in der Woche arbeiten, und jenen, die ihre Existenz ausschließlich aus Transferleistungen bestreiten. Und dieser Abstand ist für einige hunderttausend Bürger in diesem Land sehr gering geworden. Das ist eine Schieflage, die man beseitigen muss.

Das ist so unfaßbar menschenverachtend, kalt und böse, daß einem das Abendessen hochkommt. Pühringer transportiert mit diesem Satz ja viel mehr, als er zu sagen scheint. Er demaskiert sich - und das weit über die plumpe Asylantenhetze hinaus, die die FPÖ mit dem Thema betreibt. Die Journalisten versuchen hier den Eindruck zu erwecken, daß die Freiheitlichen die ÖVP in dieser Frage vor sich her treiben. Das Gegenteil ist der Fall, wie diese Äußerung verrät: Die ÖVP als Partei der Superreichen, als Feind des Sozialstaats, mißbraucht den von den Freiheitlichen geschürten Haß, um ihre eigenen Ziele durchzuboxen.

Objektiv (und wenn man nicht wüßte, von wem das in welchem Zusammenhang gesagt wurde) müßte man Pühringer ja zunächst zustimmen: Ja, natürlich ist es wünschenswert, wenn ein Vollzeitbeschäftigter spürbar mehr verdient als jemand, der ausschließlich von Sozialleistungen lebt. Na was denn sonst. Was die Aussage so unglaublich schmutzig macht ist der Zusammenhang, in dem sie abgegeben wurde - und der beabsichtigte Zweck: Es geht Pühringer konkret um die Absenkung der Mindestsicherung. Und er spricht jene an, die mit einem 40-Stunden-Job mal eben gerade so über die Runden kommen (oder auch nicht) und berechtigterweise nicht verstehen, warum andere „fürs Nichtstun“ (denn aus ihrer Perspektive scheint es so) fast das gleiche Geld bekommen sollen. Pühringer als Vertreter einer Partei, die sich um die Interessen der oberen Einkommensschichten kümmert, hetzt hier die ärmsten unserer Gesellschaft aufeinander und läßt sie sich um einen abgenagten Knochen prügeln. Der Knochen, das sind 1% (ein Prozent!) des österreichischen Sozialbudgets, die als Mindestsicherung verteilt werden. Darum prügeln sollen sich nun, wenn es nach dem Kalkül der ÖVP geht, die Bezieher von Mindestsicherung (in Oberösterreich erhalten sie im Schnitt rund € 320,- pro Kalendermonat, maximal aber € 914,-) und die ärmsten Erwerbstätigen. (10% der Vollzeit-Beschäftigten verdienen weniger als € 1.273,- netto monatlich.)

Richtig erscheint anhand der oben angeführten Zahlen zunächst, daß der Abstand zwischen der maximal erreichbaren Mindestsicherung von € 914,- und einem Monatseinkommen von kaum mehr als € 1.000,- für 40 Stunden Arbeit pro Woche mit freiem Auge als Schieflage zu erkennen ist. Da hilft es auch nicht, wenn man die € 914,- als falsche Marke enttarnt: Zu diesem Maximalbetrag kommt es nämlich nur, wenn der Bezieher der Sozialleistung die Schulungsmaßnahmen und Arbeitsvermittlungen des AMS nicht ausschlägt. Beides führt zu einer Kürzung bis auf 50%. In den meisten anderen Fällen wird die Mindestsicherung als Zuzahlung zu einem geringfügigen Einkommen ausbezahlt: Wer im Monat € 600,- verdient, kann die Differenz auf € 914,- beantragen. € 314,- aus dem Sozialtopf, das klingt schon weniger pompös.

Das beharrliche „Nichtstun“ bringt also keine € 914,-, sondern nur € 457,- ein. Das interessiert aber niemanden mehr, seit die FPÖ die € 914,- in den Ring geworfen hat. Und es sollte in der von Pühringer angezettelten Diskussion um den Abstand zwischen einem anständigen Einkommen für Vollzeit-Arbeit und der Transferleistung auch keine Rolle spielen. In dieser Diskussion geht es um etwas vollkommen anderes, und genau das macht Pühringers Wortmeldung so perfide:

Die bedarfsabhängige Mindestsicherung kann ja von ihrer politischen Idee her nicht abhängig sein vom Einkommen anderer. Sie stellt eine absolute Untergrenze dar, das Minimum dessen, was unsere Gesellschaft als lebensnotwendig erachtet. Ob diese Grenze jetzt bei den in Oberösterreich ausbezahlten € 914,- liegt oder bei den per Bundesgesetz definierten € 827,-, ist dabei zweitrangig. (Zum Vergleich übrigens: Als armutsgefährdet gilt ein 1-Personen-Haushalt in Österreich bei einem monatlichen Nettoeinkommen von unter € 1.100,-.) Geschützt wird mit der Mindestsicherung nur in zweiter Linie auch die materielle Sicherheit des Empfängers. In erster Linie geht es darum, daß wir alle - die wir das Geld dafür aufbringen - uns vor Slums, Verelendung und der damit verbundenen Kriminalität schützen. Mit anderen Worten: Ihre Höhe ist im Grundsatz nicht verhandelbar und richtet sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen.

Wären Pühringer und die ÖVP also ehrlich in ihrem Bemühen, einen fairen und und für die Gesellschaft erträglichen Abstand zu schaffen zwischen Empfängern der Mindestsicherung und Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohn-Segment, sie hätten das Problem von der Seite der Arbeitseinkommen her aufgezäumt. Dort nämlich läuft etwas massiv aus dem Ruder in den letzten Jahren. Die Ärmsten verdienen immer weniger, die Reichsten immer mehr. Dabei muß man „verdienen“ insgesamt schon unter Anführungszeichen setzen: Der Anteil des Lohneinkommens am Volkseinkommen sinkt dramatisch. Ja, Österreich ist reich - aber der berufstätige Österreicher spürt davon nichts, im Gegenteil. Reichtum erwirbt man seit einigen Jahrzehnten durch Erbschaft, Kriminalität oder Glück, nicht aber durch Arbeit. Die Gesellschaft verliert den Zusammenhalt. Das hätte Pühringer thematisieren müssen, wenn ihm dieser Einkommensabstand ein Anliegen gewesen wäre. Ach, was sag ich, „thematisieren“: Machen hätten sie's können, seit Jahrzehnten! Seit 1987, seit fast 30 Jahren, ist die ÖVP ununterbrochen an der Macht auf Bundesebene (auf Landesebene erst recht). Seit fast 30 Jahren befindet sich dieses Land im Würgegriff einer Politik, die Österreich systematisch entsolidarisiert, die von den Armen nimmt und an die Reichen verteilt (siehe aktuelle Steuerreform).

Diese Umverteilung soll nun also in die nächste Runde gehen: Wenn Pühringer die Unzufriedenheit der untersten Einkommensklassen ausnützt, um eine Neiddebatte zu schüren, um die Mindestsicherung weiter nach unten zu drücken, dann ignoriert er nicht einfach nur deren Zweck. Nein: Er macht nach unten hin weiter Platz. Er räumt die Hindernisse aus dem Weg, die einer weiteren Senkung der Einkommen im Niedrigstlohnsegment durch die Unternehmen bisher im Weg gestanden sind. Eine niedrigere Mindestsicherung erhöht den Druck auf die untersten sozialen Schichten, immer noch schlechter bezahlte Jobs annehmen zu müssen. Das ist es, was hinter der vordergründigen Unterstützung des FPÖ-Vorstoßes durch die ÖVP wirklich steht. Die FPÖ soll das ganze auf der Anti-Zuwanderer-Front mehrheitstauglich machen, die ÖVP liefert den Neid dazu, die Menschen mit € 1.000,- Monatseinkommen jubeln ob der endlich aufkommenden „Gerechtigkeit“ … und finden sich kurz darauf in Jobs mit € 800,- netto pro Monat wieder. Der Plan ist perfekt. Widerwärtig.


Bosheit und Dummheit

Was sich da am rechten Rand unserer Gesellschaft zusammenbraut, ist eine einzigartig gefährliche Mischung von Bösartigkeit und Dummheit. Das läßt sich nirgendwo so schön beobachten wie in den sogenannten „sozialen“ Netzwerken. Zwar konnten mich die Zuckerbergs und Dorseys dieser Welt noch nicht davon überzeugen, mit ihnen Verträge abzuschließen. Ich komme also nicht in die dreckigen Kellerlöcher hinein, in denen sich der rechte Pöbel unbeobachtet fühlt und so richtig zur Sache kommt. Aber: Ich werde hin und wieder auf ganz entsetzliche „Vorfälle“ aufmerksam gemacht, die in öffentlichen Facebook-Gruppen verbreitet und dort -zigtausendfach geteilt werden. Auf diese öffentliche Gruppen kann auch ich zugreifen. Und es wird mir schlecht dabei.

Seit 2015 kämpft ja der Abschaum nicht mehr gegen Homosexuelle, Feministen, die Kirche, die EU, Juden oder Obdachlose. Nein, seit letztem Jahr stecken diese Kreaturen ihre gesamte Engerie in die Hetze gegen den Islam. (Was, ganz nebenbei, zu höchst verwunderlichen Ergebnissen führt: Die gleichen Leute, die gestern noch Obdachlose als Sozialschmarotzer und „Volksschädlinge“ verachtet und ihnen mit Springerstiefeln die Schädel zu Brei getreten haben, sehen in diesen ärmsten Existenzen nun plötzlich die Märtyrer des sogenannten „deutschen Volkes“, Opfer des angeblich für die Verpflegung muslimischer Zuwanderer ausgehöhlten Sozialsystems. Die gleichen Leute, die gestern noch schwule Männer blutig geprügelt und Feministinnen mit Vergewaltigung bedroht haben, kämpfen nun im Namen der Frauen- und Schwulenrechte gegen den Islam. Und sie sind so leer im Kopf, daß ihnen der Widerspruch gar nicht auffällt.)

Diese Konzentration des stumpfen Hasses auf nun nur mehr einen Feind läßt eine völlig neue Art von Propaganda blühen. Weil es nun mal einfach nicht genug Schreckensgeschichten über Moslems gibt, mit denen man seinen heiligen Krieg rechtfertigen könnte, werden diese (mal mehr, mal weniger kunstvoll) auf dem Reißbrett konstruiert. Da sitzen Menschen am PC, die offenbar nichts anderes zu tun haben, als Raubersgschichten zu erfinden. Zu Hilfe kommen ihnen dabei die freie Verfügbarkeit unendlich vieler Fotos und Videos im Internet sowie die guten Ergebnisse, die man auch schon mit einfacher Bild- und Videobearbeitung am PC erzielt. Keine Geschichte ist zu unglaubwürdig, um erfolgreich verbreitet zu werden:

  • Die Kärntnerin, die von einem muslimischen Asylwerber überfallen und beraubt wurde;
  • Die muslimische Familie, die in einem Streichelzoo vor den Augen der entsetzten Besucher Ziegen geschlachtet und gleich gegessen haben;
  • Ebenfalls muslimische Flüchtlinge, die Pferde am Reiterhof verspeisten;
  • Die vor Freude über die Pariser Anschläge jubelnden und feiernden Moslems in London;
  • Die tagelange Gruppenvergewaltigung eines deutschen Mädchens durch muslimische Jugendliche;
  • Die systematische Kündigung von Mietern, um Platz für muslimische Flüchtlinge zu machen;
  • Die Aufforderung an Mieter städtischer Gemeindebauten, in ihren Wohnungen kein Schweinefleisch mehr zuzubereiten, um die religiösen Gefühle muslimischer Nachbarn nicht zu verletzen;
  • Die Demonstrationen von muslimischen Flüchtlingen mit Plakaten, auf denen sie „Frauen zum Ficken“ in ihren Unterkünften fordern;
  • Die Behauptung, muslimische Flüchtlinge würden (deutsche Variante) in Supermärkten über ein geheimes Gutscheinsystem gratis einkaufen oder (österreichische Variante) über eine geheime Aktion der Caritas in jedem Elektrogeschäft kostenlose Smartphones erhalten;
  • Die regelmäßige Veröffentlichung von Fotos beliebiger muslimischer Menschen aus unseren Städten gemeinsam mit Fotos von IS-Terroristen, die als „Beweis“ gelten, daß es sich bei den zwei abgebildeten Menschen um die gleiche Person handelt (immerhin sehen ja beide südländisch aus, nicht wahr?);
  • Die -zigtrillionen Euro, die jeder Moslem (egal ob Flüchtling oder nicht) aus den Sozialsystem schöpft, während der arbeitslose FPÖ-Wähler von seiner eigenen Hände Arbeit - äh, ja, also zumindest viel, viel weniger bekommt;
  • Wegen der Moslems hat nicht nur der Nikolo Hausverbot in unseren Kindergärten, nein, man entläßt auch jede Kindergärtnerin, die den Kindern von Weihnachten erzählt.
  • Immer wieder: Jedes einzelne Fotos einer verprügelten Frau, das jemals im Internet veröffentlicht wurde, zeigt jetzt plötzlich eine „von einer Gruppe Moslems vergewaltigte und mißhandelte Deutsche“.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Ich habe nur die Beispiel aufgeführt, auf die ich persönlich aufmerksam gemacht wurde und bei denen sich sehr schnell herausgestellt hat, daß sie einfach frei erfunden sind. (Wenn auf einem Foto von einer Demonstration die Transparente „weißer als weiß“ erscheinen und die in Comic Sans „aufgemalten“ Sprüche nicht dem Faltenwurf dieser Transparente folgen, hat man eigentlich genug gesehen.)

Die eine Frage ist: Was sind das für kranke, haßerfüllte Menschen, die sich solche Dinge ausdenken und dann extra noch passende Bilder und Videos fälschen? Sind das wirklich nur ein paar Verrückte, die vergessen haben, ihre Medizin zu nehmen? Oder steckt dahinter das bösartige Kalkül einer politischen Bewegung, die die Wählerschaft so lange durch Hetze und Lügen in den Extremismus treiben will, bis sie eine reelle Chance auf die Macht im Land hat? Ich glaube (leider) an Letzteres. Der plötzliche gemeinsame Schwenk, das orchestrierte Vorgehen in dieser Sache, das ist kein zufälliges Zusammenspiel einiger Deppen. Da haben sich einige sehr bösartige Menschen schon was überlegt dabei. In welchen Parteizentralen die sitzen (AfD? NPD? FPÖ? …?), darüber kann man spekulieren. Sicher ist nur, daß der Trick hat schon einmal funktioniert hat: Jörg Haider hat seine FPÖ von 5% auf 27% gebracht, indem er einfach nur einen zuvor nicht existierenden Haß gegen Ausländer zuerst erzeugt und ihn danach instrumentalisiert hat. Er hatte kein darüber hinaus gehendes politisches Programm. Seine Strategie war die Spaltung der Gesellschaft und der offen zur Schau gestellte Haß, sein Ziel die persönliche Macht. Wir befinden uns auch jetzt wieder in der ersten Phase von Haiders Strategie: Haß säen, wo keiner war. Muslime verunglimpfen, die seit 50 Jahren friedlich unter uns leben, unsere Kollegen und Freunde sind. Der zweite Schritt wird wieder gelingen: Die Gesellschaft tief zu spalten und den Haß in Wählerstimmen umzuwandeln.

Daneben stellt sich natürlich die andere Frage nach dem Geisteszustand jener, die diese Falschmeldungen glauben, „liken“ und an ihre 2.865 engsten Facebook-Freunde weiterleiten, sodaß sich die Gerüchte schneller verbreiten, als der Staatsanwalt den PC einschalten. Das ist nämlich genau das Pack, das jede recherchierende und medienrechtlich verantwortliche Redaktion als „Lügenpresse“ bezeichnet. Wenn dann aber auf Facebook quasi als Quellenangabe steht, daß „meine Arbeitskollegin diese Geschichte von einer Nachbarin erzählt bekommen hat, deren Freund Polizist ist“, dann wird das zur unumstößlichen, in Stein gemeißelten Wahrheit. Immerhin „will ja auch dieser Polizist nicht namentlich genannt werden, weil er damit seinen Job riskieren würde“. Wenn dann auch noch sowohl die Pressestelle der Polizei als auch die „Lügenpressehaltdiefresse“ übereinstimmend berichten, daß das Gerücht frei erfunden ist - na hallo!? Was mehr will man denn noch als endgültigen Beweis, daß es eben doch stimmt?

Man kann diesen Menschen nicht in erster Linie vorwerfen, daß sie ein verqueres, von Angst und Haß zerfressenes Weltbild haben, wenn sie sich ausschließlich über die einschlägigen Facebook-Gruppen mit diesen Falschmeldungen informieren. Man kann ihnen aber sehr wohl vorwerfen, daß sie sich ausschließlich über diese Kanäle informieren und völlig unkritisch alles glauben, was ihnen dort vorgesetzt wird - auch wenn es noch so offensichtlich gefälscht ist. Natürlich sind auch ORF, Kronen Zeitung die Wiener Bezirksblätter nicht immer nur die Horte der Wahrheit und des objektiven Journalismus. Aber mehr gelogen als auf Facebook wird dort sicher nicht … und informiert ist nur, wer eine Geschichte von möglichst vielen Seiten erzählt bekommen hat. Informiert sein wollen die Facebook-Fans von Pegida, FPÖ, AfD, den Identitären, NPD, etc. aber wahrscheinlich gar nicht. Das macht nicht so viel Spaß wie sich als Meute gemeinsam stark zu fühlen.

Dummheit ist gefährlich. Bösartigkeit ist gefährlich. In den „sozialen“ Netzwerken verschmelzen beide zu einer bestialisch stinkenden Bühe, aus dem die rechten Feinde unserer seit nunmehr 70 Jahren doch recht friedlichen Gesellschaft die Kraft zu neuer Gewalt und Zerstörung schöpfen. Es wäre höchst an der Zeit, hier energisch einzuschreiten.


Köln: FPÖ 2015 für Straflosigkeit

Ein interessanter Aspekt der Silvesternacht in Köln ist, daß sie auch (und wieder einmal) den rechten Rand entlarvt. Wo andere politische Kräfte feste Grundsätze haben, gibt es bei FPÖ und Co. nur Populismus, plötzliche Richtungswechsel - und einen auffallenden Mangel an Erinnerungsvermögen der „besorgten Bürger“, der wahrscheinlich dem Wodka geschuldet ist. Ginge es nämlich nach dem, wofür die FPÖ noch vor gut einem halben Jahr öffentlich gekämpft hat, müßten die Sex-Täter von Köln großteils straffrei bleiben. Genau das könnte jetzt in Deutschland passieren:

Dummerweise hat sich nämlich die Ausforschung zumindest einiger Täter einfacher gestaltet, als die Öffentlichkeit es zunächst vermutet hatte. Nun diskutieren diejenigen, die sich mit solchen Verfahren auskennen, die Mühen der Ebene. Man wird ja bei Gericht nicht verurteilt, weil man wahrscheinlich in einer Gruppe gestanden ist, deren andere Mitglieder etwas getan haben, was die Zeitungen aufregt. Zum einen muß hinreichend bewiesen werden, daß der von der Polizei eingesammelte Verdächtige auch tatsächlich der Täter ist, den das Opfer erkannt zu haben glaubt. Soweit ist das gerichtlicher Alltag. Zum anderen aber muß überhaupt strafbar sein, was die Opfer als Angriff empfunden und worüber sich hunderttausende Facebook-User empört haben. Und in diesem zweiten Punkt wirds nun spannend:

Soweit es zu Diebstahl gekommen ist - kein Problem. Einige Vergewaltigungen wurden angezeigt - auch die sind mit Sicherheit strafrechtlich relevant. Wer an Köln denkt, hat aber nicht die gestohlene Handtasche im Kopf, sondern die sexuelle Erniedrigung. Frauen schilderten einen Spießrutenlauf durch eine Menge, aus der heraus sie an den Brüsten, Schenkeln, am Gesäß und auch unter dem Rock begrapscht wurden. Und hier melden sich nun Stimmen zu Wort, die sagen: Eigentlich wissen wir nicht so genau, was das im deutschen Strafrecht ist. In einem Interview mit der Zeit sagt der Kölner Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas zu diesem Thema:

Ein Greifen an die bekleidete Brust oder in den Intimbereich kann den Tatbestand der sexuellen Nötigung erfüllen. Voraussetzung ist allerdings, so definiert es das Gesetz, dass diese Handlung „von einiger Erheblichkeit“ ist. Wann diese Grenze überschritten wird, ist immer eine Wertungsfrage und abhängig vom Einzelfall. Gerichte haben schon entschieden, dass eine Berührung des Vaginalbereichs oder der Brust über der Kleidung nicht darunter fällt.

Offenbar steht Gazeas mit dieser Einschätzung des Sexualstrafrechts nicht allein. Auch die deutsche Bundesregierung hat als unmittelbare Reaktion auf die Silvesternacht eine Verschärfung des Sexualstrafrechts angekündigt. Die Herrschaften werden wissen, warum … Für die Täter von Köln ändert das nichts, das Strafgesetz kann ja nicht rückwirkend verschärft werden.

Durchaus möglich also (nach deutscher Rechtslage), daß ein Täter der Silvesterübergriffe straffrei bleibt, sofern ihm „nur“ das Grapschen, nicht aber ein Diebstahl oder ein schwereres Sexualdelikt nachgewiesen werden können.

Und nun der Schwenk auf Österreich, die FPÖ und ihre Anhänger:

Die Rechtslage ist bei uns nämlich anders - wenn auch erst seit genau dieser Silvesternacht. Der neue §218 Abs.1a StGB (vulgo „Grapsch-Paragraph“) bestraft genau diese Art von Übergriffen. Er war im ersten Halbjahr 2015 Anlaß erbitterter Wortgefechte zwischen den Reichshälften … Auf der einen Seite die, die immer schon den Schutz der Frau vor sexuellen Übergriffen vertreten haben. Auf der anderen Seite jene, denen dieser Schutz egal ist, die dieses Thema seit Jahrzehnten ins Lächerliche zu ziehen versuchen, aber genau mit 1.1.2016 einen 180°-Schwenk hingelegt haben. Erst durch die Resonanz, die Köln auf Facebook gefunden hat, haben FPÖ und Co. erkannt, daß man auch aus dem Bild der von Ausländern geschundenen deutschen Frau politisches Kapital schlagen kann. (Es glaubt ja niemand ernsthaft, daß der rechte Mob die gleiche Begeisterung für Frauenrechte an den Tag legt, wenn die Freiwillige Feuerwehr von Unterhinterneusiedl im Dorfwirtshaus den Kellnerinnen unter den Rock greift.)

Äußerungen aus der politischen Diskusssion von damals:

FPÖ-Chef Strache in der ORF Pressestunde: Auch mir ist schon sexuelle Belästigung passiert. […] In der Regel sagt man dann sehr klar und deutlich, dass man das nicht wünscht. Dann hat man in der Regel auch eine Ruhe. Ein neues Gesetz brauche es nicht. (Erinnert das jemanden an „eine Armlänge“?)

MMag. Dr. Wilfried Grießer, FPÖ-Kandidat zur Mödlinger Gemeinderatswahl 2015, in seiner Stellungnahme zum Strafrechtsänderungsgesetz 2015, durch das der oben erwähnte „Grapsch-Paragraph“ eingeführt wurde: Auf daß der Mann sich als Mann setzt, muß er die Frau zum Ding bzw. zur „Ware“ herabsetzen, um jene Libido zu generieren, die die Frau auch fordert und genießt. Mitunter lieben es Frauen nachgerade, von einem ,wildgewordenen’ Penis „überfallen“ zu werden; und hierzu die Zustimmung einzuholen, weil die Frau als das personale Wesen genommen ist, wäre genau der Verlust dieses Reizes. (Die FPÖ legt aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen immer wieder Wert auf die Feststellung, daß Dr. Grießer kein Mitglied der Partei ist. Was sie nicht daran gehindert hat, ihn für sich kandidieren zu lassen.)

Entsprechend machohaft waren die Wortmeldungen aus dem rechten Lager dann auch im Internet. Im besten Fall wurde das Thema als unnötige Zeitverschwendung belächelt (Während die einen über Po-Grapschen […] nachdenken, hat sich die FPÖ schon immer der Themen angenommen, welche die Bürger wirklich bewegen), viel öfter aber offen gegen den Schutz der Frauen Stimmung gemacht. Der eine wollte seine langjährige Frau durch eine solche Grapschattacke kennengelernt haben; für den anderen war der lässige Griff auf Busen und Po im Vorbeigehen Teil unserer (v.a. ländlichen) Kultur; für die meisten waren die Befürworter der Strafrechtsreform ohnehin nur häßliche Zicken, die neidig waren, weil sie selbst nicht angerührt wurden.

Wenig überraschend wurde der Schutz vor dem Grapschen dann am 8.7.2015 auch ohne die Stimmen der FPÖ beschlossen.

Durchaus überraschend ist, wie sehr die gleiche FPÖ und die gleichen rechtsextremen Spinner sich jetzt, nur ein halbes Jahr später, buchstäblich über Nacht zu Schutzheiligen begrapschter Busen entwickelt haben. Für mich gibt es dafür nur die zu Beginn aufgeführten Erklärungen: Der Wodka hat jede Erinnerung an die 6 Monate zurückliegenden eigenen Wortmeldungen vernichtet; mangels politischer Überzeugung gibt es bei denen, die sich noch erinnern können, keinen Grund, die damalige Linie beizubehalten; außerdem springt man aus blankem Populismus auf jedes Thema auf, das billige Quote bringt - ganz egal, was inhaltlich eigentlich dahinter steht. Merkt eh keiner.

Nicht vergessen also: Wenn ein Täter von Köln straffrei bleibt, weil das deutsche Gericht in seinem „Unter den Rock grapschen“ keine für den Tatbestand der sexuellen Nötigung ausreichende Intensität erkennt, dann geschieht das aufgrund einer Gesetzeslücke, für deren Fortbestand die FPÖ sich 2015 auch in Österreich eingesetzt hat.


FPÖ: Soziale Sicherheit

Soziale Sicherheit für unsere Leut Ein schönes Weihnachtsgeschenk hat der am 11. Oktober gewählte Welser Bürgermeister Andreas Rabl (FPÖ) seinen Stammwählern gemacht. Wer aufgrund seiner prekären finanziellen Lage auf Wahlslogans wie „soziale Sicherheit“ hereingefallen ist und immer noch glaubt, daß die FPÖ die Partei des „kleinen Mannes“ ist, darf jetzt ein Einsparungsvolumen von 1,1 Millionen Euro finanzieren. So viel bringt der Stadt Wels die ersatzlose Streichung von Förderungen im Bereich der mobilen Altenhilfe, der sozialen Betreuungsdienste und der Familien bzw. Alleinerzieher.

Bürgermeister Rabl entschuldigt sich dafür nicht etwa bei den Betroffenen, nein, er bezeichnet die Streichungen bei den Ärmsten in einer Stellungnahme als wichtigen Punkt, der nunmehr abgehakt sei. Man darf sich darauf freuen, was noch so alles abgehakt wird.


Ab in den Süden!

Flugzeugstart Im September habe ich zum ersten Mal die Frage aufgeworfen, inwieweit die aus dem Ländern des Nahen und Mittleren Ostens zu uns einreisenden Menschen tatsächlich „Flüchtlinge“ sind. Weil sie ja eben weder direkt aus (Bürger-)kriegsgebieten fliehen noch in ihren jeweiligen Heimatländern persönlich verfolgt werden.

Mittlerweile scheinen mir die Einwanderer in dieser Frage Recht zu geben: Wie unter anderem der Kurier berichtet, kehren seit einiger Zeit hunderte von ihnen freiwillig in ihre jeweilige Heimat zurück. Vor allem Menschen aus dem Irak, aus Afghanistan und dem Iran stellen sich vor den Botschaften ihrer Länder um Reisedokumente an. (Auch die Syrer wollen zurück, können derzeit aber nicht.) Offenbar ist das Leben zuhause doch komfortabler als das in österreichischen Flüchtlingsunterkünften. Wer manche dieser Flüchtlingsunterkünfte kennt, der wird jetzt sagen: Nun, dazu brauchts nicht viel. Mag sein. Aber: Um Leib und Leben fürchten muß man dort nicht, man bekommt zu essen, es gibt eine medizinische Grundversorgung, Güter des täglichen Bedarfs werden von Spendern herbeigeschafft. Das ist keine Situation, die eine Flucht rechtfertigt. Wenns zuhause schöner ist, dann war die Abreise von dort wohl auch eher nicht als Flucht zu einzustufen.

Was die Rückreisebewegung anheizen dürfte: Langsam dämmert es den Einwanderern, daß sie falschen Versprechungen aufgesessen sind. Viele von ihnen fühlen sich ja gar nicht als Flüchtlinge bzw. geben auch nicht vor, es zu sein. Merkels berüchtigte „Einladung“ hat sich in dieser Weltgegend verselbständigt. Man glaubt dort zu wissen: Deutschland benötigt dringend 3 Millionen arbeitswilliger junger Männer und ist bereit, diese quasi als Belohnung für die Mühen der Reise auch mit Geschenken zu empfangen. Daß dies nicht so ist, erkennen die Menschen erst, wenn sie hier fest sitzen. Wir können davon ausgehen, daß die Rückreise nur von denen angetreten wird, die noch Kraft haben. Die anderen bleiben frustriert in den ihnen zugewiesenen Unterkünften … und ich will nicht dabei sein, wenn sich dieser Frust entlädt.

Das perverse daran: Die Versprechungen, die den jungen Südländern gemacht werden, sind keineswegs so falsch. Nicht nur Deutschland, ganz Europa überaltert in erschreckendem Tempo. Das schadet nicht nur dem Sozialsystem, das immer als plakatives Beispiel herhalten muß, sondern der gesamten Wirtschaft. So hat Amazon schon im Sommer (ganz zufällig kurz vor Merkels „Einladung“) kundgetan, daß in Deutschland für das Weihnachtsgeschäft wahrscheinlich tausende Mitarbeiter fehlen werden. Nota bene: Amazon beschäftigt ohnehin bereits billigste Lohnsklaven aus den ärmsten Ländern Europas - aber auch von denen sind offenbar nicht mehr genug zu bekommen. Wenig überraschend war es dann auch Amazon, das am Höhepunkt der Einwanderungswelle ganz human erklärt hat, den Flüchtlingen „regulär bezahlte Arbeit“ in Deutschland verschaffen zu wollen. Zufälle gibts …

Auch andere Großunternehmen (z.B. Daimler) erklären offen, daß sie die Zuwanderer dringend benötigen. Als Arbeitnehmer, aber natürlich auch als Konsumenten, die die Binnennachfrage ankurbeln.

Ich bin überzeugt, daß Merkel ihr großes Herz für notleidende Syrer nach Gesprächen mit genau diesen Großunternehmen entdeckt hat. Vielleicht war sie der irrigen Auffassung, man könne das komplexe Thema unter einer emotionalen Welle der Hilfsbereitschaft verstecken. Sie hat sich geirrt und nur Verlierer zurückgelassen: die europäische Solidarität, ihre eigene Partei, die Immigranten und die vielen Helfer, die ans Ende ihrer Kräfte geraten.

Statt rasch ein paar Syrer zu importieren, hätte man sich fragen müssen:

  • Wie bringt man die Arbeit innerhalb Europas zu den Arbeitslosen? Warum findet Amazon in Ostdeutschland keine Mitarbeiter, wenn in Spanien und Griechenland tausende ohne Job dastehen?
  • Wo bleibt die gesellschaftliche Diskussion um den Mindestlohn? Wie kann es sein, daß Unternehmen lieber gar nicht produzieren, als marktgerechte Löhne zu zahlen? Welche verrückte Gesellschaft ist das, die die Differenz zwischen den tatsächlichen Niedrigstlöhnen und einem erträglichen Mindestlohn vom Steuerzahler (=also vom unterbezahlten Arbeitnehmer selbst) auffüllen läßt, um nur ja den Gewinn des Unternehmers nicht zu schmälern?
  • Warum schafft es niemand in Europa, eine bedarfsorientierte Einwanderungspolitik zu betreiben, die gezielt jene Altersgruppen und Fähigkeiten hereinholt, die dringend benötigt werden … und jene draußen läßt, von denen wir genug haben?

Das Drama ist ja auch: Diejenigen, die jetzt zurück in ihre Heimatländer fliegen, die kommen kein zweites Mal. Und niemand weiß, ob es nicht vielleicht genau sie waren, die wir gebraucht hätten.


Der Rechtsradikale und seine Liebe zum fundamentalistischen Islam

Frustrierend: Da hab ich einen während der letzten Tage getippten Artikel im Entwurfmodus fix und fertig gespeichert und komme bei einer allerletzten Quellenüberprüfung drauf, daß es diesen Artikel fast 1:1 bereits gibt. Albert Steinhauser hat ihn im März unter dem Titel „Die sieben Gemeinsamkeiten von Rechtsextremismus & Islamismus“ veröffentlicht. Was also tun? Ich hab mich entschlossen, meinen ursprünglichen Text trotzdem zu veröffentlichen. Weil er kürzer ist als der von Steinhauser - oder es war, bevor diese Einleitung dazu kam. :)

Anlaß war der Artikel „Das ist ein Komplott, gegen uns und den Islam“, der kurz nach den Angriffen von Paris veröffentlicht wurde. Er offenbart in beängstigender Weise ein fortgeschrittenes Stadium der Realitätsverweigerung unter perspektivlosen muslimischen Jugendlichen, das ich sonst nur von der radikalen Rechten im Umkreis der FPÖ (bzw. in Deutschland eben der AfD/NPD) kenne. Sobald diese Verbindung einmal hergestellt war, fielen die restlichen Puzzleteile wie von selbst an ihren Platz. Was sind die Gemeinsamkeiten der extremen Rechten und des fundamentalistischen Islam?

  1. Mystische Wurzeln: Beide Gruppen schöpfen ihre Identität (und die Abgrenzung gegenüber anderen) aus realitätsfremden Hirngespinsten, die gute Lagerfeuergeschichten abgeben, aber keine Entsprechung im wirklichen Leben haben. Bei den einen ist es das angeblich „Völkische” (wobei keiner weiß, was ein Volk ist und wer genau dazu gehört), bei den anderen eine Religion, der Inbegriff also des Nicht-Weltlichen.
  2. Unterschicht: Zwar gibt sowohl unter den „Partrioten“ als auch unter den Radikalgläubigen den einen oder anderen Arzt, Philosphen oder Professor. Tatsächlich ist meine persönliche Beobachtung aber: Die auffallende Mehrheit beider Gruppen ist dort zu finden, wohin die Gesellschaft ihre Hoffnungslosen abgeschoben hat. Unter den Arbeitslosen (tendenziell wackere Patrioten) und im Bereich des Niedriglohns ohne Aufstiegschancen (tendenziell hoffnungsvoll Gläubige). Bildung ist da wie dort Mangelware.
  3. Verachtung der Menschenrechte: Die Idee von Grund- und Menschenrechten ist beiden Lagern völlig fremd. Es herrscht das Konzept einer einheitlichen, aber fremdbestimmten Norm, der sich der einzelne unterwerfen muß. Das Individuum existiert nur, um der Gemeinschaft zu dienen. Individuelle Partnerschaftsentwürfe, Patchwork-Familien, Frauenrechte oder Religionsfreiheit sind daher ein gemeinsames Feindbild.
  4. „Sie“ lenken uns: Irgendwo auf der Welt lauert ein geheimnisvoller Feind, der schuld ist am individuellen Unglück jedes einzelnen. Egal ob es die Bilderberger sind, das Weltjudentum, die Freimaurer oder der Westen unter dem Joch der USA: Es ist ein geheimnisvoller, aber umso mächtigerer Feind, der sich je nach Bedarf mal hier, mal da manifestiert. Er kontrolliert die „Lügenpresse“ genauso wie er dafür verantwortlich ist, daß Serkan seinen Job verloren hat. Mehr noch: Er kontrolliert das gesamte Politik- und Wirtschaftssystem, das daher jedenfalls gestürzt und durch eine wahre Herrschaft der Rechtschaffenen ersetzt werden muß.
  5. Männlichkeit: Beide Gruppen huldigen einem altertümlichen Männlichkeitskult, der so sehr verzerrt ist, daß er mittlerweile zum lächerlichen Setting für einschlägige Pornos herhalten muß. Dazu gehört in beiden Fällen eine völlig pervertierte Vorstellung von „Ehre“, die mehr mit Egoismus und ständigen Minderwertigkeitskomplexen zu tun hat.
  6. Gewalt: Hier schließt sich der Kreis zum ersten Punkt, in dem es um die Abgrenzung zu anderen ging. Sobald die anderen erst einmal ausgegrenzt sind, braucht es nur mehr wenige Schritte bis zur Anwendung körperlicher Gewalt gegen die, die „nicht zu uns gehören“. Gerade als Mittel der ideologischen Auseinandersetzung wird brutale Gewalt bis zur körperlichen Vernichtung des Gegners in beiden Gruppen immer wieder gerne genommen.

Fragt sich, warum die patriotischen Glatzen und die bärtigen Salafisten nicht längst Arm in Arm marschieren, wenn es um die Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ziele geht. Meine persönliche Vermutung ist: Den fundamentalistischen Muslimen graust es hier einfach ein bißchen vor dem übermäßigem Alkoholgenuß und der damit manchmal einhergehenden mangelnden Körperpflege ihrer deutschnationalen Brüder im Geiste. In diesem Sinne: Ein Hoch auf die mitteleuropäische Braukunst! Möge sie die unheilige Allianz so lange wie möglich verhindern! :)


Wien-Wahl 2015

Bezirksvertretungswahlen Wien: Ergebnis 2015Zum ersten Mal in meinem Leben hab ich mit Wahkarte gewählt, weil ich am Wahlsonntag so wirklich absolut überhaupt nicht in Wien sein konnte. Hat gar nicht weh getan. :)

Hat sonst was weh getan bei dieser Wahl, über die im Vorfeld schon seit so langer Zeit diskutiert worden ist?

The Good

  • Eine Stadtpolitik, die fünf Jahre lang (aus meiner Sicht) hervorragend funktioniert hat, ist mit der absoluten Stimmen- und Mandatsmehrheit belohnt und bestätigt worden. Das bedeutet nicht, daß diese Regierungskoalition fortbestehen wird - es geht sich eine zweite realistische Variante aus, die SPÖ hat die Wahl. Es bedeutet aber, daß mehr als die Hälfte der Wiener die Regierungsarbeit der vergangenen fünf Jahre zumindest ähnlich positiv beurteilen wie ich.
  • Zwei Drittel der Wiener grenzen sich deutlich von einer Politik der Lügen, des Hasses und der Hetze ab und wollen nicht, daß eine FPÖ ohne Inhalte, aber mit an Sekten und Faschismus erinnernden Methoden an die Macht kommt.
  • Wieder einmal waren Stimmen für die FPÖ verlorene Stimmen. Auch wenn die Mandate wegen der Wahlkartenstimmen noch nicht in Stein gemeißelt sind: Die einzige Koalitionsvariante, in der die FPÖ eine Rolle spielt, ist das eher unwahrscheinliche rot/blau. Ansonsten bringen es weder blau/grün, blau/schwarz noch blau/pink auf die erforderliche Mandatsmehrheit.
  • Der Stenzel-Trick im 1. Bezirk hat nicht funktioniert. Lachende Dritte in diesem entwürdigenden Schauspiel um eine alte Frau, die den Bezug zur Realität verloren hat, ist die SPÖ: „Der Erste“ bekommt einen roten Bezirksvorsteher. Nach der Auszählung aller Wahlkarten bleibt der erste Bezirk nun doch schwarz.

The Bad

  • Es gibt keine Opposition mehr. Obwohl Häupl einen Koalitionspartner benötigt, führt an ihm kein Weg vorbei in Wien. Nicht falsch verstehen: Inhaltlich weine ich der vorgestrigen ÖVP keine Träne nach, erst recht nicht hätte ich die verrückten NEOS mit ihrem Kasinokapitalismus im Landtag gebraucht. Daß die Grünen nie eine breite Volkspartei sein können, solange sie für die nächsten 20 Jahre Politik zu machen versuchen anstatt für die nächsten 3 Monate, ist auch klar. Daraus ergibt sich aber das Problem, daß die einzig verbleibende Kraft nur rein rechnerisch das Vakuum füllt. Inhaltlich hat sie niemandem etwas zu bieten. Man wählt die FPÖ nicht, weil man für etwas ist. Man wählt sie, weil man irgendwie destruktiv grantig ist und nicht genau weiß, warum und auf wen eigentlich. (Darum hat die FPÖ in Wien auch wieder einmal kein einziges Thema inhaltlich besetzt.) Das mag praktisch sein, sofern man sich über die FPÖ lustig machen will. Aus demokratiepolitischer Sicht ist es eine Katastrophe: Wen wählt man, wenn man keinen Bürgermeister Häupl mehr will? Es ist keine einzige ernst zu nehmende Partei weit und breit in Sicht, die mit der SPÖ das Spiel Opposition-Regierung-Opposition spielen könnte. Ich bin kurz davor, mir die ÖVP zurück zu wünschen. (Irgendjemand hat einmal vorgeschlagen, sie unter Artenschutz zu stellen.)

The Ugly

  • Auch in Wien wählen rund ein Drittel der Menschen ein Partei, die keine Inhalte aufzubieten hat, die eine nachweisliche Lüge nach der anderen in den Wahlkampf schickt (erinnert sich jemand an die aus religiösen Gründen entlassene christliche Kindergärtnerin?), ja deren Spitzenkandidat sogar eine einzige Lüge ist: Hatze Strache, dessen jüngeres Ich von allen blauen Wahlplakaten grinst, hatte nie die Absicht, selbst in den Landtag einzuziehen. Er ist nur der Führer - und das Wort paßt perfekt. Die Freiheitlichen sind längst mehr Sekte als Partei. Sie sind abhängig von einem Personenkult: früher war es Haider, jetzt Strache. Sie behaupten im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein und diskreditieren Außenstehende (wie z.B. die System- oder Lügenpresse) mit dem gleichen Ziel, mit dem Sekten den Kontakt ihrer Mitglieder zu deren Familien unterbinden. Es geht nicht länger um ein politisches Konzept, das zur Wahl steht und von dem man sich - je nach Lebenssituation und persönlicher Reife - auch wieder verabschieden kann. Es geht um eine Heimat für verlorene Seelen, um Schutz, Gemeinschaft und Zuwendung. Zwei Drittel der Menschen in Wien ordnen sich lieber einer Sekte unter, als einfach mal mit dem Putzfetzen durchs eigene Leben zu wischen, vom Alkohol los zu kommen und die Arbeitsmarktchancen zu erhöhen, indem man den Schulabschluß nachholt. Das ist beunruhigend.

Mehr Positives also als Negatives. Mal sehen, was jetzt die Koalitionsverhandlungen bringen. Noch weiß man ja nicht, was in der SPÖ brodelt und ob nicht doch jemand den Herrn Bürgermeister meuchelt, um ein zweites Burgenland am Rathausplatz zu installieren.