Christian Kern - gar nicht so übel
Wir wollen keine Neuwahlen, wir werden weiter versuchen im Parlament sachpolitische Lösungen zu erzielen – und das auch, falls nötig, mit wechselnden Mehrheiten.
Wenn uns die ÖVP den Stuhl vor die Tür stellt, bedeutet das auch das Ende für eine rot-schwarze Zusammenarbeit für sehr lange Zeit.
Diese Sätze stammen aus einem Gespräch mit der Presse. Außerdem fordert er dort eine Entschuldigung von Kurz für dessen Behauptung, Kern wäre ein Lügner.
Warum freut mich diese Aussage so?
Weil endlich mal jemand auf den Tisch haut. Da geht es gar nicht darum, wie realistisch das Weiterregieren mit wechselnden Mehrheiten denn wirklich sein kann, wenn auch die FPÖ eigentlich Neuwahlen will. Auch die Aufkündigung der Zusammenarbeit für sehr lange Zeit
kann ein Bluff sein, der der Vernunft weichen muß. Aber, geben wirs doch zu: Noch jeder SPÖ-Kanzler der letzten Jahre wurde von der ÖVP am Nasenring durch die Manege gezogen. Und jeder SPÖ-Kanzler der letzten Jahre hat das widerstandslos geschehen lassen. Weil es einfach alternativlos schien unter den beiden Prämissen, daß a) die SPÖ unter allen Umständen an der Macht bleiben muß und b) über eine rot-blaue Koalition nicht einmal laut nachgedacht werden darf.
Die Folge: Seit nunmehr genau 30 Jahren regiert die ÖVP dieses Land ununterbrochen. (Um nicht zu sagen: hat die ÖVP Österreich im Würgegriff.) Niemals zuvor in der Geschichte der Zweiten Republik war eine Partei so lange ohne Pause an den Schalthebeln der Macht. (Die Erste Republik hat gleich erst gar nicht so lange existiert wie die derzeitige ÖVP-Herrschaft.) Die Folge ist ein politischer Stillstand. Längst notwendige Reformen scheitern seit 30 Jahren an der Klientelpolitik der schwarzen Betonköpfe. Dazu kommt, daß diese Macht nicht wirklich durch Wählerstimmen legitimiert ist: In den letzten 30 Jahren kam die ÖVP nur selten über 30% der Stimmen hinaus, zuletzt hielt sie bei mageren 24%. Im Sattel halten konnte sich die Partei der Steuervermeider und Kerzerlschlucker durch ihre Alternativlosigkeit: Solange eine SPÖ/FPÖ-Koalition nicht möglich ist, geht sich rechnerisch immer nur ÖVP/FPÖ oder SPÖ/ÖVP aus. Entsprechend sanft wurden die schwarzen Steigbügelhalten von links und von rechts behandelt. Man könnt ja sonst wertvolles Porzellan zerschlagen.
Chistian Kern hat dieses Porzellan nun zerschlagen. Und allein das tut gut. Allzu siegessicher stolziert der eitle Gockel Sebastian Kurz durch die Lande und betreibt Markenpflege in eigener Sache, statt politisch etwas weiterzubringen. Die Präpotenz dieses Buben, der bisher wenig geleistet hat als Minister, ist unerträglich. (Die Belastung der Beziehungen zu anderen europäischen Staaten rechne ich ihm jetzt mal nicht als „Leistung“ an.) Jemand muß ihn in die Schranken weisen. Reinhold Mitterlehner hat stattdessen das Feld geräumt, Christian Kern fletscht nun die Zähne und bellt zurück. Zeit wirds.
Wie gesagt: Ob Kerns Ankündigungen realistisch sind, steht auf einem anderen Blatt. Wenn er tatsächlich Neuwahlen verhindern und weiterregieren will, müßte er eine bunte Truppe von vier Parteien und vier einzelnen fraktionslosen Abgeordneten zusammenhalten, die gerade einmal 51,5% der Stimmen auf sich vereinigen. Das wird nicht wirklich funktionieren. Ebenso kann die Ansage, auf lange Zeit nicht mehr mit der ÖVP zusammenzuarbeiten, nur als Gang in die Opposition oder als Koalitionsangebot an die FPÖ verstanden werden. Beides erfordert Mut und würde ihm in der SPÖ wenig Freunde machen.
Meine persönliche Vermutung ist: Wie einem kleinen Kind zeigt Kern der ÖVP jetzt, wo ihre Grenzen sind. Daß sie sich, obwohl die Erfahrungen der Vergangenheit anderes vermuten ließen, eben nicht alles leisten kann. Die unglaublichen Vorgänge rund um Sobotka und Kurz lassen das aber auch höchst notwendig, wenn nicht überfällig erscheinen.
(Und, nur damit das klar ist: Falls der Kern tatsächlich einen Plan ausgeheckt hat und ohne ÖVP bis zur nächsten regulären Wahl durchhält, dann hat er meine Stimme.)
Ich verstehe den Hype um den Wendehals Kurz auch nicht.
2015 noch ein glühender Verehrer des Islam, versucht er heute, mit uralten FPÖ Forderungen zu punkten, wobei es aber immer bei den Ankündigungen bleibt.
Der Kern will jetzt endlich arbeiten, aber jetzt wirklich, ganz sicher, versprochen.
Wer soll das glauben?
Das die nächsten Wahlen nicht sehr rosig für die SPÖ ausgehen werden, liegt auf der Hand und das ist der Hauptgrund für den plötzlichen Arbeitswillen.
Du hast vollkommen Recht, ohne ÖVP werden Mehrheiten schwer werden, deshalb ist diese Drohung vom Kern lächerlich.
Ich glaube schon, dass diese "Minderheitsregierung" funktionieren könnte.
Die Roten fürchten auf Platz 3 zurück zu fallen.
Die Grünen müssen, nachdem sich Van der Bellen als Fehlentscheidung herausgestellt hat und dem Affentheater im Bund und in Wien, auch mit Verlusten rechnen.
Die Neos, die um den Erhalt ihrer Parlamentssitze fürchten, werden freudig den Steigbügelhalter geben.
Bleibt noch das Team Stronach, welches bei der nächsten Wahl sicherlich Geschichte ist. Also was haben die zu verlieren? So können sie sich wenigstens noch 1 1/2 Jahre an ihren üppigen Gehältern erfreuen.
Und die paar freien Abgeordneten werden sich die Sozen auch noch kaufen können.
Weitergehen wird mit dieser Konstellation natürlich nichts, aber dann kann der Kern wieder sagen, er hätte ja gerne gearbeitet, aber ........
Die nächsten Wahlen werden sicher spannend, ohne FPÖ in der Regierung wird es wohl nicht mehr gehen.
Denn nicht einmal Du kannst eine SPÖ/Grüne/Neos Regierung wirklich wollen, falls sie sich rechnerisch ausgehen sollte.
SPÖ/Grüne/Neos kann niemand wollen. Erstens, weil eine Dreierkoalition nicht sinnvoll ist. Zweitens und vor allem, weil die ÖVP mit den NEOS zu ersetzen hieße, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Rot/Grün allein, ja, da tät was weitergehen, aber dafür gibts in den Weiten des hiesigen Anatoliens noch lang keine Mehrheit.
(Man muß sich überhaupt fragen, ob die NEOS eine „Liste Kurz“ überleben. Die waren ja sowas wie die entfesselte Junge ÖVP, nur noch ein bißchen weniger verantwortungsvoll und noch ein bißchen turbokapitalistischer. Die Wähler, die von sowas angesprochen werden, können jetzt gleich zum Schmied gehen statt zum Schmiedl.)
Wie auch immer: Die Situation zeigt einmal mehr, daß mit der FPÖ keine Politik zu machen ist. Ausschließlich die FPÖ hätte in dieser jetzigen Situation alle Trümpfe in der Hand gehabt: Ein öffentliches Angebot an Kern (oder von mir aus auch dem zur Zeit gerade tätigen ÖVP-Chef) zur Unterstützung einer Minderheitsregierung (*Liste der 150 Bedingungen aus der Tasche zieh*) - und die beiden hätten erst mal erklären müssen, warum sie nicht drauf eingehen, sondern den Wählern Neuwahlen zumuten. Auf VdBs Ablehnung einer FPÖ-Regierungsbeteiligung hätt mans nicht schieben können, genausowenig auf die SPÖ-Festlegung gegen die rot-blaue Koalition. Es wär ja eben keine Koalition gewesen. Woran scheitert so ein Zug, der die FPÖ in der öffentlichen Wahrnehmung erstmals seit Steger als verantwortungsvolle Partei dargestellt und SPÖ/ÖVP unter Druck gesetzt hätte? An den mangelnden Inhalten. Strache wüßte nicht, was er für die Unterstützung einer Minderheitsregierung im Gegenzug fordern sollte. Er will nichts. Er wartet immer nur, daß andere was tun, und ist dann dagegen. Und er weiß blöderweise, daß „dagegen sein“ sein einziges Kapital ist.
Daher frag ich mich jetzt schon, was nach der nächsten Wahl passiert. Ich könnt mir gut vorstellen, daß rot/blau oder schwarz/blau an Strache scheitert, nicht an den beiden anderen. Strache hat miterlebt, wie eine FPÖ an der Regierungsverantwortung zerbricht. Nur dadurch ist er ja persönlich an die Macht gekommen. Ob er wirklich ein Interesse hat, das Spiel zu wiederholen, einen neuen Michael Krüger, eine neue Elisabeth Sickl zu suchen, wieder nach Knittelfeld zu pilgern, wieder auf 10% abzustürzen …? Am Ende haben wir eine großartige Wahl und stehen dann womöglich erst recht wieder mit rot/schwarz da.