Ist mein Rot auch dein Rot?
Seit meiner Schulzeit beschäftigt mich eine Frage: Ist der Sinneseindruck, den wir „rot“ (oder grün, blau, gelb, …) nennen, bei allen Menschen der gleiche? (Und zwar jetzt abgesehen von Besonderheiten wie Rot-/Grün-Blindheit etc.) Sprich: Wenn ich Licht im Bereich rund um 700 Nanometer Wellenlänge sehe und mein Gehirn daraus die Wahrnehmung „rot“ erzeugt - sieht das dann bei meinem Sitznachbarn genauso aus? Oder hat der eine komplett anderen Farbeindruck vom gleichen Gegenstand, was wir aber niemals herausfinden werden, weil wir immer gelernt haben, daß wir diese Wellenlänge „rot“ nennen? Weil wir uns in der einzigen Kommunikationsform, die wir haben, nicht anders darüber austauschen können als mit dem abstrakten Wort „rot“?
Wann immer ich diesen Gedanken aufgebracht habe, konnte ich tief in die Rachen meiner Gesprächspartner sehen. Hä? Rot ist nun mal rot. Wovon reden wir hier eigentlich? Das macht ja nicht unser Gehirn, das ist ja das rote Licht. (Oder, um ein unsterbliches Zitat zu bemühen: Das ist nicht rot, das ist nur die Farbe.
) Die Frage hat mich nicht losgelassen, ich habe aber gelernt, sie der sozialen Anpassung wegen nicht mehr allzu offen anzusprechen. 😳
Heute, beim ziellosen Herumklicken auf YouTube, bin ich dann auf folgendes Video gestoßen:
Is Your Red The Same as My Red?
Da gehts - bevor der aufgeregte Präsentator dann zu Experimenten an Kleinkindern und der Kommunikation mit Affen abgleitet - um genau dieses Thema. „Farbe“ ist nichts, was objektiv meßbar in der realen Welt existiert. Licht existiert. Licht hat unterschiedliche Wellenlängen, die man messen kann. Was unser Gehirn dann aber daraus macht, den Farbeindruck nämlich, hat keine Entsprechung in der realen Welt. Genauso wie es Geschmack und Geruch in dieser Form nicht gibt; was es gibt sind Eindrücke, die unser Gehirn aus den ihm von den Geschmacksknospen zugetragenen chemischen Eigenschaften der Nahrung (und nur diese sind real) selbst erzeugt.
Weil also all diese Dinge in unserem Gehirn entstehen und keine objektivierbare Entsprechung haben, haben wir keine Möglichkeit, objektivierbar darüber zu kommunizieren. Der Satz „Dieser Apfel ist rot“ bedeutet in Wahrheit: „Das von diesem Apfel abgestrahlte Licht liegt im Bereich von ca. 625 bis 780 Nanometern. Mein Gehirn signalisiert das mit einer Farbempfindung, für die man mir das Wort rot beigebracht hat.“ Ein zustimmendes „Ja, dieser Apfel ist rot“ meines Gegenüber bedeutet keinesfalls, daß er das gleiche sieht wie ich. Es bedeutet lediglich: „Auch mein Gehirn gibt mir die Farbempfindung, die ich für die Wellenlänge im Bereich von ca. 625 bis 780 Nanometern kenne. Auch ich habe dafür das Wort rot gelernt.“ Wir sind uns also über die ungefähre Wellenlänge und über das dafür gelernte Vokabular einig so wie zwei Wissenschaftler, die ihre Meßergebnisse vergleichen. Wir haben aber keine Möglichkeit, unsere „internen Meßgeräte“ direkt miteinander zu vergleichen: die subjektive Farbempfindung nämlich.
Was ich aus dem Video noch gelernt habe: Michael Stevens (der Macher des Videos) und ich sind nicht die einzigen, die uns über diese Frage Gedanken machen. Tatsächlich ist sie ein Klassiker der Philosophie, es gibt sogar einen eigenen Begriff dafür: Qualia. Eng damit verknüpft sind der Begriff der Erklärungslücke und das Gedankenexperiment „Marys Zimmer“. Genügend Fundstellen also im Netz, wenn man nur die Begriffe kennt, nach denen man suchen muß. Vor 35 Jahren wär der kleine Ossi halt nie auf die Idee gekommen, im Lexikon nach „Qualia“ zu suchen, wie ihm die Sache mit den möglicherweise unterschiedlichen Farbeindrücken eingefallen ist. Und nach „Erklärungslücke“ hätte er gar nicht erst suchen müssen: Der Begriff wurde erst ein Jahr später geprägt.
Das hat jetzt einerseits etwas Beruhigendes: Ich bin nicht allein in meinem Wahnsinn, daß rot nicht einfach für jeden gleich rot sein muß. Es gibt im Gegenteil einen Haufen anderer Leute, die sich genau darüber schon seit 150 Jahren den Kopf zerbrechen. Andererseits formuliert Michael Stevens als unausweichliche und höchst beunruhigende Konsequenz dieses Gedankens: Ich bin ganz allein. Wir alle sind ganz allein. Das Bild, das unser Gehirn sich von der Welt um uns erschafft, ist anderen nicht vermittelbar. Wir können uns nicht darüber austauschen, was wir wirklich sehen, schmecken, hören - fühlen.
Ich nehm da immer einen sogenannten "RAL-Farbfächer", mach in der Werkstätte einen auf Lagerfeld und suche die richtige Farb raus - auch unterschiedliche Rottöne, btw. ;-)
Dann halt ich das Teil zum Werkstück zuwe und wenn die beiden Farben gleich sind, ist es eindeutig die gleiche Farb'.
It's that easy! *LOL*
mit dem Inhalt des Artikels exakt gar nix zu tun hat, aber dennoch sehr interessant ist. Wer weiß schon, was ein RAL-Farbfächer ist? 😆
Und das tue ich mit dem RAL-Fächer.
Und klar kennt man so was, als handwerklicher Mensch halt. ;-)
Mit welchem anderen Menschen vergleichst Du in diesem Fall Deine Farbwahrnehmung?
Sozusagen ein Gruß aus Schlosser's Werkstatt. :-)
Aber es ist schön, dass Du das jetzt für Dich gelöst hast, das Farbthema. ;-)
Geht es letztendlich aber eigentlich nicht darum, dass wir über das Gleiche kommunizieren und uns austauschen (Salz bzw. Rot)? Ob du individuell bei Rot 5/100/100/4 siehst und ich aber 0/100/90/3 … letztendlich ist es messbar ein 100/100 Rot und wir beide wissen, dass es Rot ist … ähm, wieso sich also drüber in philosophischen Gedanken zergehen? Ich meine, es ist tatsächlich irgendwie spannend, aber es führt zu keinem Ergebnis, so wie ich das sehe, welches in der Lage wäre, eine definierbare, neue Form der Kommunikation bzgl. ROT zu finden *gg* Genauso gut könnte man sich auch über heiß oder kalt unterhalten. Oder verstehe ich jetzt einfach den Tiefgang deiner Frage nicht ?? :-))
Wir sprechen über das gleiche Rot, nein, über die gleiche Wellenlänge. Heißt: Wir sprechen über die physikalischen Eigenschaften eines Gegenstandes und sind uns einig darüber. Worüber wir nicht und niemals sprechen können ist, wie das für uns aussieht. Eben weil die sogenannte „Farbe“ (anders als die Wellenlänge des Lichts) in der Realität da draußen nicht existiert, sondern erst in unserem Hirn als Sinneseindruck erschaffen wird. (Siehe die Erdbeere im Video oder die Grafik „Fehlende und invertierte Qualia“ im Qualia-Artikel.) Es ist ein Unterschied, ob wir über die Fakten kommunizieren können oder über das, was wir empfinden.
Bei Geschmack ist die Frage gar nicht so sehr, ob ich das Salz gleich intensiv schmecke wie Du. Es ist die Frage, ob Dein Gehirn überhaupt einen annähernd ähnlichen Geschmackseindruck produziert wie meines, wenn es über die Nerven signalisiert bekommt, daß Natriumchlorid mit der Zunge in Berührung gekommen ist. Auch hier ist es ja denkbar, daß mein Gehirn einen „Salz“-Geschmackseindruck produziert, der bei Dir beim Verzehr von Bananen entsteht (und umgekehrt). Wir würdens nie merken und wären uns immer einig, daß die Suppe versalzen ist und nicht etwa zu viele Bananen drin sind. Und auch hier gilt: Die Kommunikation über das Objektive funktioniert. Wie ich meine Welt aber tatsächlich erlebe, kann ich jemandem anderen niemals begreiflich machen. (Was das Beispiel mit dem Außerirdischen und dem Schmerz im Video gut verdeutlicht. Oder die Geschichte mit dem Blinden und der Farbe. Weil man Farbeindrücke eben tatsächlich nicht in Worten ebschreiben kann. Genauso wie man den Geschmack einer Ananas nicht beschreiben kann, wenn der Gesprächspartner noch nie eine Ananas gegessen hat.)
Wie sinnvoll die Überlegung ist steht auf einem anderen Blatt. IdR wollen wir ja in solchen Fällen über Objektives kommunizieren: Wir wollen darüber streiten, ob die Suppe nun versalzen ist oder nicht - und nicht darüber, ob mein Geschmackseindruck von Salz der gleiche ist wie Deiner. Ich will beschreiben können, ob mein neues Handy schwarz oder pink ist - und dabei ist es mir egal, ob Du Pink genauso wahrnimmst wie ich. Es hat nur schon was sehr Irritierendes, find ich, wenn man feststellt: Ein Großteil dessen, was ich ganz selbstverständlich als objektive Eigenschaften der Welt um mich herum interpretiere, existiert ausschließlich in meinem Kopf, wird dort überhaupt erst erschaffen. Das betrifft so scheinbar grundlegende und pseudo-objektive Sachen wie Farbe, Geschmack, Geruch, Töne, … und es gibt eine Grenze, ab der ich nicht mehr über das sprechen kann, was ich empfinde bzw. wie meine Welt für mich aussieht. So wie ich dem Arzt nicht wirklich antworten kann, wenn er fragt „Welche Art von Schmerz ist das?“ (Na ein wehtuender, du Trottel!) Und das find ich dann schon irgendwie nicht unwichtig. Wir gehen ja immer davon aus, daß wir alle in der gleichen Welt leben und problemlos über alles kommunizieren können …
Da gibt es fortschrittliche Aliens, die uns per Bluetooth eine matrixähnliche künstliche Realität in unsere Petrischale schicken … und dann fällt denen nix Besseres ein als diese Scheiße? Life sucks! Amöbe an Aliens: Kann bitte jemand mal durch die Programme zappen, obs da noch was Schöneres gibt?
Das ist alles.