Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

Ist mein Rot auch dein Rot?

Endlich! Endlich versteht mich jemand! Ich bin also nicht ganz so verrückt, wie ich immer dachte. (Oder anders ausgedrückt: Nicht ganz allein. Wobei das ja dann wieder … aber lassen wir das.)

Seit meiner Schulzeit beschäftigt mich eine Frage: Ist der Sinneseindruck, den wir „rot“ (oder grün, blau, gelb, …) nennen, bei allen Menschen der gleiche? (Und zwar jetzt abgesehen von Besonderheiten wie Rot-/Grün-Blindheit etc.) Sprich: Wenn ich Licht im Bereich rund um 700 Nanometer Wellenlänge sehe und mein Gehirn daraus die Wahrnehmung „rot“ erzeugt - sieht das dann bei meinem Sitznachbarn genauso aus? Oder hat der eine komplett anderen Farbeindruck vom gleichen Gegenstand, was wir aber niemals herausfinden werden, weil wir immer gelernt haben, daß wir diese Wellenlänge „rot“ nennen? Weil wir uns in der einzigen Kommunikationsform, die wir haben, nicht anders darüber austauschen können als mit dem abstrakten Wort „rot“?

Wann immer ich diesen Gedanken aufgebracht habe, konnte ich tief in die Rachen meiner Gesprächspartner sehen. Hä? Rot ist nun mal rot. Wovon reden wir hier eigentlich? Das macht ja nicht unser Gehirn, das ist ja das rote Licht. (Oder, um ein unsterbliches Zitat zu bemühen: Das ist nicht rot, das ist nur die Farbe.) Die Frage hat mich nicht losgelassen, ich habe aber gelernt, sie der sozialen Anpassung wegen nicht mehr allzu offen anzusprechen. 😳

Heute, beim ziellosen Herumklicken auf YouTube, bin ich dann auf folgendes Video gestoßen:

Is Your Red The Same as My Red?

Da gehts - bevor der aufgeregte Präsentator dann zu Experimenten an Kleinkindern und der Kommunikation mit Affen abgleitet - um genau dieses Thema. „Farbe“ ist nichts, was objektiv meßbar in der realen Welt existiert. Licht existiert. Licht hat unterschiedliche Wellenlängen, die man messen kann. Was unser Gehirn dann aber daraus macht, den Farbeindruck nämlich, hat keine Entsprechung in der realen Welt. Genauso wie es Geschmack und Geruch in dieser Form nicht gibt; was es gibt sind Eindrücke, die unser Gehirn aus den ihm von den Geschmacksknospen zugetragenen chemischen Eigenschaften der Nahrung (und nur diese sind real) selbst erzeugt.

Weil also all diese Dinge in unserem Gehirn entstehen und keine objektivierbare Entsprechung haben, haben wir keine Möglichkeit, objektivierbar darüber zu kommunizieren. Der Satz „Dieser Apfel ist rot“ bedeutet in Wahrheit: „Das von diesem Apfel abgestrahlte Licht liegt im Bereich von ca. 625 bis 780 Nanometern. Mein Gehirn signalisiert das mit einer Farbempfindung, für die man mir das Wort rot beigebracht hat.“ Ein zustimmendes „Ja, dieser Apfel ist rot“ meines Gegenüber bedeutet keinesfalls, daß er das gleiche sieht wie ich. Es bedeutet lediglich: „Auch mein Gehirn gibt mir die Farbempfindung, die ich für die Wellenlänge im Bereich von ca. 625 bis 780 Nanometern kenne. Auch ich habe dafür das Wort rot gelernt.“ Wir sind uns also über die ungefähre Wellenlänge und über das dafür gelernte Vokabular einig so wie zwei Wissenschaftler, die ihre Meßergebnisse vergleichen. Wir haben aber keine Möglichkeit, unsere „internen Meßgeräte“ direkt miteinander zu vergleichen: die subjektive Farbempfindung nämlich.

Was ich aus dem Video noch gelernt habe: Michael Stevens (der Macher des Videos) und ich sind nicht die einzigen, die uns über diese Frage Gedanken machen. Tatsächlich ist sie ein Klassiker der Philosophie, es gibt sogar einen eigenen Begriff dafür: Qualia. Eng damit verknüpft sind der Begriff der Erklärungslücke und das Gedankenexperiment „Marys Zimmer“. Genügend Fundstellen also im Netz, wenn man nur die Begriffe kennt, nach denen man suchen muß. Vor 35 Jahren wär der kleine Ossi halt nie auf die Idee gekommen, im Lexikon nach „Qualia“ zu suchen, wie ihm die Sache mit den möglicherweise unterschiedlichen Farbeindrücken eingefallen ist. Und nach „Erklärungslücke“ hätte er gar nicht erst suchen müssen: Der Begriff wurde erst ein Jahr später geprägt.

Das hat jetzt einerseits etwas Beruhigendes: Ich bin nicht allein in meinem Wahnsinn, daß rot nicht einfach für jeden gleich rot sein muß. Es gibt im Gegenteil einen Haufen anderer Leute, die sich genau darüber schon seit 150 Jahren den Kopf zerbrechen. Andererseits formuliert Michael Stevens als unausweichliche und höchst beunruhigende Konsequenz dieses Gedankens: Ich bin ganz allein. Wir alle sind ganz allein. Das Bild, das unser Gehirn sich von der Welt um uns erschafft, ist anderen nicht vermittelbar. Wir können uns nicht darüber austauschen, was wir wirklich sehen, schmecken, hören - fühlen.

 
Wolfi (Gast) meinte am :
Also...
...ich kann Dir da nur aus der Praxis folgendes sagen, Sheldon :-)
Ich nehm da immer einen sogenannten "RAL-Farbfächer", mach in der Werkstätte einen auf Lagerfeld und suche die richtige Farb raus - auch unterschiedliche Rottöne, btw. ;-)
Dann halt ich das Teil zum Werkstück zuwe und wenn die beiden Farben gleich sind, ist es eindeutig die gleiche Farb'.
It's that easy! *LOL* 
ossi1967 antwortete am :
Was jetzt

mit dem Inhalt des Artikels exakt gar nix zu tun hat, aber dennoch sehr interessant ist. Wer weiß schon, was ein RAL-Farbfächer ist? 😆

 
Wolfi (Gast) antwortete am :
Na sicher doch.
Es geht ums objektive Vergleichen von Farben. :o)
Und das tue ich mit dem RAL-Fächer.
Und klar kennt man so was, als handwerklicher Mensch halt. ;-) 
ossi1967 antwortete am :
Mit wem?

Mit welchem anderen Menschen vergleichst Du in diesem Fall Deine Farbwahrnehmung?

 
Wolfi (Gast) antwortete am :
Mit keinem.
Es war nur mein kleiner, bescheidener Beitrag zum Thema des objektiven Farbvergleichs - unabhängig von Menschenhirnen - aus simplifizierter und leicht parodistisch angehauchter Sichtweise. *g*
Sozusagen ein Gruß aus Schlosser's Werkstatt. :-)
Aber es ist schön, dass Du das jetzt für Dich gelöst hast, das Farbthema. ;-) 
ossi1967 antwortete am :
Erleichtert

Ja. Ich bin sehr erleichtert.

 
Wolfi (Gast) antwortete am :
:-)
Das ist gut so.
(Questo é un bene). 
Hase II (Gast) meinte am :
Die Frage ist gut …
Also, als Grafiker kann ich dir natürlich sagen, dass ein ROT aus 100% Magenta und 100% Yellow zusammengemixt wird. Das ist sozusagen das roteste Rot, das (zumindest im 4-Farb-Druck) produzierbar ist. Natürlich gibt es jetzt Auf- und Abstufungen. Je nachdem, ob man z.B. den Gelb-Wert reduziert, wird das Rot pinker (Magenta ist eigentlich Schrei-Pink). Wenn man den Magenta-Anteil reduziert, wird das Rot oranger (weil mehr Gelb-Anteil drin ist). In der Grafikersprache werden die Farben also im CMYK Modus gebildet (Cyan, Magenta, Yellow und Kontrast = Schwarz). Aus diesen 4 Farben lassen sich dann viele, viele Farben mischen. Rein technisch gesehen, kann man also Farbe, in diesem Fall ROT, ganz eindeutig beschreiben! Ob du jetzt das 100/100 Rot ebenso farblich wahrnimmst wie ich, das ist natürlich eine andere Frage. Aber genauso gut könnte man sich auch die Frage stellen, ob du salzig genauso wahrnimmst wie ich. Natürlich kann JEDE Wahrnehmung, die über unsere Sinnesorgane ins Hirn geleitet und dort verarbeitet wird nur über unsere eigene, individuelle Erfahrung übersetzt werden. Was heißt: Wenn ich z.B. mein Leben lang auf Salz verzichte, wird allein der natürlich Salzgehalt im Fleisch mir dieses als salzig auf der Zunge zergehen lassen, während jemand anderer, der gerne stark würzt, dieses Fleisch als fad empfinden. Hier kann man dann natürlich nachmessen, wie viel g Salz verwendet wurde und demnach würde man dann ev. das als fad oder versalzen titulieren ;-)

Geht es letztendlich aber eigentlich nicht darum, dass wir über das Gleiche kommunizieren und uns austauschen (Salz bzw. Rot)? Ob du individuell bei Rot 5/100/100/4 siehst und ich aber 0/100/90/3 … letztendlich ist es messbar ein 100/100 Rot und wir beide wissen, dass es Rot ist … ähm, wieso sich also drüber in philosophischen Gedanken zergehen? Ich meine, es ist tatsächlich irgendwie spannend, aber es führt zu keinem Ergebnis, so wie ich das sehe, welches in der Lage wäre, eine definierbare, neue Form der Kommunikation bzgl. ROT zu finden *gg* Genauso gut könnte man sich auch über heiß oder kalt unterhalten. Oder verstehe ich jetzt einfach den Tiefgang deiner Frage nicht ?? :-)) 
Hase II (Gast) antwortete am :
Hirn-Kalibrierung
Ich habe da übrigens noch einen interessanten Gedanken dazu: Auch wenn du und ich ROT unterschiedlich wahrnehmen … unser Hirn ist aber auf ROT kalibriert. Ich stelle mir das gerade so vor wie der Weißabgleich bei einer Kamera. Man muss dem Ding ja sagen, was im Bereich tatsächlich weiß wäre/ist (auch wenn es gelbstichig oder grau etc.) ist, und dann rechnet das Ding die anderen Farben so zurecht, dass sie wieder zum Weiß passen … ähm. Ich drück mich jetzt wahrscheinlich sehr kompliziert aus. Was ich sagen will ist: Selbst wenn deine Wahrnehmung von Rot anders ist als meine, sprechen wir aber trotzdem beide über das GLEICHE Rot … oder?? *gg* 
ossi1967 antwortete am :
@Hase II

Wir sprechen über das gleiche Rot, nein, über die gleiche Wellenlänge. Heißt: Wir sprechen über die physikalischen Eigenschaften eines Gegenstandes und sind uns einig darüber. Worüber wir nicht und niemals sprechen können ist, wie das für uns aussieht. Eben weil die sogenannte „Farbe“ (anders als die Wellenlänge des Lichts) in der Realität da draußen nicht existiert, sondern erst in unserem Hirn als Sinneseindruck erschaffen wird. (Siehe die Erdbeere im Video oder die Grafik „Fehlende und invertierte Qualia“ im Qualia-Artikel.) Es ist ein Unterschied, ob wir über die Fakten kommunizieren können oder über das, was wir empfinden.

Bei Geschmack ist die Frage gar nicht so sehr, ob ich das Salz gleich intensiv schmecke wie Du. Es ist die Frage, ob Dein Gehirn überhaupt einen annähernd ähnlichen Geschmackseindruck produziert wie meines, wenn es über die Nerven signalisiert bekommt, daß Natriumchlorid mit der Zunge in Berührung gekommen ist. Auch hier ist es ja denkbar, daß mein Gehirn einen „Salz“-Geschmackseindruck produziert, der bei Dir beim Verzehr von Bananen entsteht (und umgekehrt). Wir würdens nie merken und wären uns immer einig, daß die Suppe versalzen ist und nicht etwa zu viele Bananen drin sind. Und auch hier gilt: Die Kommunikation über das Objektive funktioniert. Wie ich meine Welt aber tatsächlich erlebe, kann ich jemandem anderen niemals begreiflich machen. (Was das Beispiel mit dem Außerirdischen und dem Schmerz im Video gut verdeutlicht. Oder die Geschichte mit dem Blinden und der Farbe. Weil man Farbeindrücke eben tatsächlich nicht in Worten ebschreiben kann. Genauso wie man den Geschmack einer Ananas nicht beschreiben kann, wenn der Gesprächspartner noch nie eine Ananas gegessen hat.)

Wie sinnvoll die Überlegung ist steht auf einem anderen Blatt. IdR wollen wir ja in solchen Fällen über Objektives kommunizieren: Wir wollen darüber streiten, ob die Suppe nun versalzen ist oder nicht - und nicht darüber, ob mein Geschmackseindruck von Salz der gleiche ist wie Deiner. Ich will beschreiben können, ob mein neues Handy schwarz oder pink ist - und dabei ist es mir egal, ob Du Pink genauso wahrnimmst wie ich. Es hat nur schon was sehr Irritierendes, find ich, wenn man feststellt: Ein Großteil dessen, was ich ganz selbstverständlich als objektive Eigenschaften der Welt um mich herum interpretiere, existiert ausschließlich in meinem Kopf, wird dort überhaupt erst erschaffen. Das betrifft so scheinbar grundlegende und pseudo-objektive Sachen wie Farbe, Geschmack, Geruch, Töne, … und es gibt eine Grenze, ab der ich nicht mehr über das sprechen kann, was ich empfinde bzw. wie meine Welt für mich aussieht. So wie ich dem Arzt nicht wirklich antworten kann, wenn er fragt „Welche Art von Schmerz ist das?“ (Na ein wehtuender, du Trottel!) Und das find ich dann schon irgendwie nicht unwichtig. Wir gehen ja immer davon aus, daß wir alle in der gleichen Welt leben und problemlos über alles kommunizieren können …

 
Hase II (Gast) antwortete am :
WAS?
@ Ossi: Und das wusstest du NICHT? Wir LEBEN in einer Matrix ;-) Stichwort: Konstruierte Realität. Alles entsteht sowieso nur in unserem Gehirn. Wahrscheinlich ist es wirklich so, dass wir eigentlich nur wabbelige Glibbermassen mit Hirn sind, die in irgendeiner Alien-Petrischale umherschwimmen, und weil die Aliens halt Mitleid mit uns Amöben haben, gestatten sie uns das Erdlonge-Programm *gg* 
ossi1967 antwortete am :
Was???!!!

Da gibt es fortschrittliche Aliens, die uns per Bluetooth eine matrixähnliche künstliche Realität in unsere Petrischale schicken … und dann fällt denen nix Besseres ein als diese Scheiße? Life sucks! Amöbe an Aliens: Kann bitte jemand mal durch die Programme zappen, obs da noch was Schöneres gibt?

 
bonanzaMARGOT meinte am :
Rot nennen wir die Farbe, die unser Gehirn mittels der Sinneswahrnehmung als Rot interpretiert.
Das ist alles. 
ossi1967 antwortete am :
Das muß so stimmen

Mein Mann würde das auch so sagen.