Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

Hannah, Thesi, Denis und Agi: Wo sind die Bolschewiken, wenn man sie braucht?

Selten nur stellt dasfaschblatt.at ein Forum zu einem Artikel auf „manuelle Moderation“. Typischerweise geschieht das, wenn über besonders abstoßende Fälle von Kindesmißbrauch berichtet wird: Die zu erwartenden Kommentare à la „Ich weiß wo der wohnt - schneiden wir ihm die Eier ab!“ wären dann rechtlich nicht zu verantworten.

Derzeit steht ein Forum auf „manuelle Moderation“, das zu einem Artikel in der Serie „Wohnwelten“ gehört. Unter dem Titel „Studenten-WG: ‚Unsere Putzfrau beseitigt große Streitfaktoren‘“ schildert er - mit Video - den harten Alltag der Studenten Hannah, Thesi, Denis und Agi. Die vier wohnen in einer 166m²-Studenten-Wohngemeinschaft im ersten Bezirk. Schreckliche Zustände! Das Denkmalamt genehmigt weder eine Klimaanlage noch den Einbau zusätzlicher Fenster, obwohl eines der Zimmer doch recht schattig ist. Was die vier Leistungsträger vor dem nervlichen Zusammenbruch bewahrt ist nur der regelmäßige Besuch der Putzfrau. Sie ist es, die wenigstens die gröbsten Streitfaktoren beseitigt und das dicht gedrängte Zusammenleben im sozialen Brennpunkt irgendwie erträglich macht.

€ 500,- zahlt jeder der vier für sein WG-Zimmer. Das empfinden sie als billig, denn: Der Altbau gehört Thesis und Agis Familie, und die hat die Miete kulanterweise auf das Niveau runtergesetzt, das man halt für irgendeine andere Wohnung außerhalb des ersten Bezirks auch zahlen würde. (Meinen sie: Ein Blick in den Immobilienteil würde hier aufklärend wirken.) Wobei, „zahlen“ … Hannah zahlt nichts, ihr finanzieren die Eltern das studentische Elend. Denis, der mit seinem Marketingstudium bereits fertig ist und zwischenzeitlich kurz in einer Edelboutique gearbeitet hat, konnte auf wundersame Weise Ersparnisse ansammeln, von denen er nun die Miete begleicht. (Mal ehrlich: Welcher Student legt nicht während des Studiums ein paar tausend Euro auf die hohe Kante?) Thesi und Agi überweisen die Miete an die eigene Familie, die in dieser Konstruktion ja als Vermieterin auftritt. Wahrscheinlich „damit die Kinder lernen, mit Geld umzugehen“ oder sowas …

Nachdem ich den Artikel gelesen, vor allem nachdem ich das Video gesehen hatte war mein dringendstes Bedürfnis, Josef Stalin auszubuddeln und ihn mit „Pepi! Faß!“ auf diese schönbrunnerdeutschelnden Gören zu hetzen. Wo sind die Bolschewiken, wo ist die Oktoberrevolution, wenn man sie mal braucht?

Dann kam die Phase der Selbstreflexion. Wieso eigentlich regen mich diese Menschen so auf, daß ich keinerlei Hemmungen hätte, ihnen körperliche Gewalt anzutun? Einfach nur deswegen, weil sie sind, was sie sind? Reiche Schnösel, die durch grobe Fehler im Gesellschaftssytem ohne eigenes Zutun zu den oberen Zehntausend gehören? Wohl kaum. Ich kenne solche Leute seit meiner Studienzeit (die Juristerei hat eine gewisse Anziehungskraft auf solche Typen). Sie waren mir nie sympatisch, ich habe sie aber auch nie blutig geschlagen. Das kanns also nicht sein. Was dann?

Es ist das völlig Verkennen der eigenen Situation, das Leben in der selbstgeschaffenen Blase, der Verlust jeden Realitätsbezugs, der alle vier zur Zielscheibe solcher Aggression macht. (Und nicht nur meiner Aggression: Trotz manueller Moderation hat das Forum innerhalb von 24 Stunden über 800 Einträge zu verzeichnen.) Die Herrschaften halten es offenbar tatsächlich für billig, wenn man als Student „nur“ € 500,- für ein WG-Zimmer zahlt. (Falls es unter meinen Lesern Leute gibt, bei denen die Studentenzeit schon länger her ist: ab € 250,- ist man dabei, wenn man von heute auf morgen dringend ein Zimmer benötigt, ohne nach einem günstigen Angebot suchen zu können.) Statt sich darüber zu freuen, daß man unverdient vom Schicksal bevorzugt wurde und sich schon als Student eine Altbauwohnung in der Innenstadt samt Putzfrau leisten kann, beklagt man sich über die fehlende Klimaanlage und die Gaubenfenster, die so wenig Licht hereinlassen.

Realität gefällig? Ebenfalls derzeit online auf dasfaschblatt.at:

Im Artikel „Alleinerzieherin im Gemeindebau: ‚Ich vermisse meinen eigenen Bereich‘“ wird über eine alleinerziehende Mutter berichtet, die mit ihren zwei Kindern in einer 65m²-Wohnung um € 420 lebt. Ich darf nochmal wörtlich das Fräulein Thesi zitieren, das satte € 500,- für ein einzelnes Zimmer an die eigene Familie überweist: Eine WG ist einfach billiger …

Daß das Forum unter diesem Artikel nun manuell moderiert werden muß, beruhigt mich irgendwie. Es bestätigt mich und zeigt mir: Ich bin nicht der einzige, der den Bericht über diese Zustände provozierend und abstoßend findet.

 
schlosser meinte am :
U-n-g-l-a-u-b-l-i-c-h.
"...zeigt mir: Ich bin nicht der einzige, der den Bericht über diese Zustände provozierend und abstoßend findet"

*Natürlich* bist Du nicht der einzige.
Ist ja wirklich ekelhaft. :-X

Doch - auch hier sieht man wieder die auseinanderklaffende Schere: Während die einen sich das Heizen ned derleisten können, pudeln sich andere über die Gaupenfenster im Stenzelbezirk auf.
Doch es ist noch immer *jede* Blase geplatzt.
'New Economy'-Blase, Immobilienblase, you name it.
Dann kommt das 'echte Leben' und mit dessen Begleiterscheinungen der erste Besuch beim Shrink.

(Ich kenn sowas aus dem persönlichen Umfeld:
Freunde der Eltern - stinkreiche Zinshausbesitzer, alles geerbt - und deren beiden Kinder. Fernab jeglicher Realität sind sie jetzt mit Anfang Zwanzig Psychos der ärgsten Güte. Tja, das Leben spielt sich halt ned immer so ab wie in der Privatschule Glauben gemacht wird...)

P.S.: Auch dazu passend: Wo ist der nasse Fetzen, wenn man ihn braucht?!? *g* 
ossi1967 antwortete am :
Blase? Wohl kaum.

Obwohl die 4 so blasiert wirken: Das ist leider keine Blase. Die sind gekommen, um zu bleiben - bis zur Revolution.

(Apropos „kommen“: Hast Du Dir auch überlegt, warum die Eltern von Thesi und Agi keine Bedenken hatten, daß dieser Denis mit einzieht? Ich mein: Als einziger, noch dazu älterer Mann könnt er doch eine sittliche Gefährdung für die beiden Mädls sein …? *gacker*)

 
schlosser antwortete am :
Bubble in their life.
Ich meinte ja nicht, dass diese Menschen eine Blase wären, sondern dass ihr Phantasieleben früher oder später wie eine Blase zerplatzen werde. 
ossi1967 antwortete am :
Meine Blase, Deine Blase

Ach so. Ich dachte Du meintest „Blase“ im Sinne einer ungewöhnlich schnellen Vermögensverschiebung in der Gesellschaft. So wie 'New Economy'-Blase, Immobilienblase etc. („You name it“ sagen wir nicht.)

Ob ihre persönliche Blase platzt? Ich bezweifle es. Diese Strukturen sind sehr stabil, vor allem in Wien. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß diese Leute irgendwann aus ihrem Leben fallen.

 
Deep_Blue meinte am :
Sagenhaft
diese Neidgesellschaft, einfach unglaublich !

Die denken sich halt einfach nix dabei, weil sie es von Geburt an gewohnt sind.
Es ist doch alles eine Gnade der Geburt, wir hätten auch alle im Zentral Kongo auf die Welt kommen können.

Was sollen sie deiner Meinung nach jetzt tun ? Asylanten einquartieren oder freiwillig in ein Ausländerhaus nach Favoriten ziehen ?

An deren Stelle hätte ich noch ein Schild mit der Aufschrift "Eure Armut kotzt mich an" in die Kamera gehalten.

Tja Ossi, auch du könntest heute ein sehr wohlhabender Scheidungsanwalt mit Villa in Döbling, dickem Auto und jungen Gespielen sein.
Aber du wolltest es ja so, wie du es jetzt hast.

Warum jetzt Agressionen gegen junge Menschen hegen, die es halt ein wenig besser getroffen haben im Leben.

Komischer Weise, wenn sich unsere Politiker Schweine hemmungslos an unserem Steuergeld bedienen, dann hört man nie ein Wort von dir.
Aber wenn sich wer ein Vermögen erarbeitet oder ererbt hat, dann schlägt der Kommunist in dir durch, weil das darf nicht sein, Korruption hingegen ist ja selbstverständlich und auch in deinen politischen Kreisen salonfähig.

Aber der liebe Faymann wird das ja mit der Reichensteuer abschaffen ...... oder doch nicht ? :-) 
ossi1967 antwortete am :
Ach Herr Blue. So schön.

Es ist so schön, daß Du wieder da bist. Du bist die Stimme des gemütlichen Beharrens in diesem von Visionen einer besseren Zukunft geplagten Blog. „Is ma wuuuascht, solang i mei Bier hab.“

Das einzige, was Du selbst nicht immer schaffst, ist das inhaltliche Beharren auf dem, was ich so als Diskussionsgrundlage vorgegeben habe. Ich sag ja ausdrücklich: Die sollen ruhig reich sein. Bis zu einem gewissen grad hält eine Gesellschaft das schon aus, daß es Vermögens- und Einkommensunterschiede gibt. Was ich kritisiere ist, daß sie eben nicht den NEOS-Wahlspruch „Eure Armut kotzt mich an“ in die Kamera gehalten haben. Daß sie ganz im Gegenteil so tun, als wären sie eh nur ganz normale Studenten, die einen billige WG-Platz um € 500,- gefunden haben.

Nein, sie sollen weder Asylanten bei sich einquartieren noch nach Favoriten oder Meidling ziehen (oder gar in den Kongo). Sie sollen ihr priviligiertes Leben genießen, solange sie es können. Sie sollen nur damit aufhören, anderen Menschen mit ihren Absätzen ins Gesicht zu treten, indem sie zynisch behaupten, € 500,- für ein WG-Zimmer wären billig und mögliche Kritik an ihrem 1.-Bezirk-Leben basiere auf Vorurteilen und Klischees. Wer das Video sieht, der hat den Beweis: Das sind keine Klischees und Vorurteile. Diese Leute sind so.

Natürlich hast Du 100%ig Recht, wenn Du sagst, daß sie wahrscheinlich gar nix dabei denken. Die sind so aufgezogen worden und jetzt völlig verblüfft über die fremde Welt da draußen, die sie nicht so liebt wie ihre Großeltern das tun. Das ist nur keine Entschuldigung für Studenten in ihren 20ern. Die sollten - unabhängig davon, welche Werte ihre Eltern leben - schon auch ein bißchen über den Tellerrand schauen können.

Die bösen, bösen Politiker, die sich angeblich alle so an unserem Steuergeld bedienen, die sind mir wirklich keine Minute erhöhten Blutdrucks wert. Die sind nicht relevant. Wie viele Einwohner hat Österreich? Wie viele Politiker gibt es, die in irgendeiner Weise Einfluß auf die Verteilung von Steuergeld nehmen können? Wie viele davon mißbrauchen ihre Macht wirklich? Und um welche Summen geht es dabei dann unterm Strich? Das ist ein rein kosmetisches Problem, kein substantielles. Und den Leuten ghört es, daß ihnen ein paar Gauner das Steuergeld aus der Tasche ziehen: Wenn ich schon weiß, was die Machthaber in der VP/FP-Zeit angerichtet haben, und dann trotzdem wieder die gleiche Gaunerpartie wähle, dann will ichs auch nicht anders. Des Volkes Wille geschehe …

Nein, die Sache mit den bösen, korrupten Politikern ist aufgeblasen von denen, die keine Veränderung der Gesellschaftsstrukturen haben wollen. Sie ist es nicht wert, sich damit zu beschäftigen. Beschäftigen muß man sich mit den Themen, durch die der breiten Bevölkerung wirklich Geld in großem Stil aus der Tasche gezogen wird. (Bei ererbtem Vermögen z.B.; wenn sich da über Generationen Familienvermögen anhäuft, frag ich mich wirklich, auf welcher moralischen Grundlage das noch zu argumentieren ist.)

 
schlosser antwortete am :
Naja, Höselchen...
*räusper*

Also:
Ich bin ja in vielen Punkten bei Dir - daher abgehakt und gegessen.

Nur:

"...wenn sich da über Generationen Familienvermögen anhäuft, frag ich mich wirklich, auf welcher moralischen Grundlage das noch zu argumentieren ist."

Hmmm... wenn ich mir jetzt allein den nächstliegenden, sozialen Umkreis ansehe:
Soll ich jetzt - aufgrund mangelnder moralischer Grundlage - die mir überlassene und größtenteils über die Generation meiner Eltern zustandegekommene Immobilie nicht erblich annehmen dürfen?

Darfst Du die eine oder andere Immobilie (*g*) Deiner Eltern nicht annehmen, weil Du dazu nicht moralisch legitimiert bist?

Da schüttest Du - wie der Hobbypolitiker so sagt - aber wirklich das Kind mit dem Bade aus (... oder ich hab was nicht verstanden). 
ossi1967 antwortete am :
Stichwort: Erbschaftssteuer

Du schüttest das Kind mit dem Bade aus, nicht ich. Ich habe ausdrücklich von einer Anhäufung von Vermögen über Generationen gesprochen, nicht vom einzelnen Häusl, das von den Eltern auf die Kinder übergeht. Und ich habe nicht gesagt, daß Erbschaften an sich unmoralisch sind. Ererbte Vermögen (im Sinne von Reichtum, nicht im Sinne von zwei Sparbüchern à 500,- Euro) sind es.

Wenn wir nur mal fürs Beispiel bei Immobilien bleiben, würde ich für sinnvoll halten: Hauptwohnsitz des Erben bleibt innerhalb der Familie grundsätzlich und unabhängig vom Wert unberücksichtigt. (Man gibt dem Erben auch ein paar Monate Zeit, um einzuziehen und sich dort zu melden. Bei Zinshäusern gilt natürlich nur eine eventuell selbst genutzte Wohnung als Hauptwohnsitz, nicht das ganze Gebäude.) Das hat den Zweck, daß einerseits „der Familiensitz“ unangetastet bleibt (wenn der jemandem aus sentimentalen Gründen was bedeutet) und andererseits niemand je in die Situation kommt, daß er wegen der Erbschaftssteuer das Haus verkaufen muß, in dem er bis zuletzt mit seinen Eltern gewohnt hat. Und wenn das halt nicht irgendein Haus, sondern millionenschweres Landschloß ist, dann ists auch gut: Lieber entgeht uns da was an Steuern, als daß irgendwann mal ein einkommensloser Invalide aus der einzigen mietfreien Unterkunft rausmuß, die er je kriegen wird.

Für das restliche Immobilienvermögen gibts noch irgendeinen Freibetrag. Die typische kleinbürgerliche Konstellation der Eigentumswohnung in der Stadt samt Ferienhaus in der Steiermark soll nach Möglichkeit steuerfrei bleiben, Ziel sind die großen Vermögen.

Daher wird erst das versteuert, was über Hauptwohnsitz und Freibetrag hinausgeht. Da kann die Steuer ruhig auch etwas happiger ausfallen: Der Erbe verliert ja nichts, was er womöglich vorher hatte. Zur Not muß er im dritten Zinshaus drei Wohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln und verkaufen, um die Steuer bezahlen zu können. Das ist der gewollte Effekt. Vermögen soll sich streuen, nicht bündeln.

Heißt: Du kriegst die Immobilie, die Du hauptbewohnsitzt (das wollen wir hier nicht näher breittreten). Wenns sonst noch Immobilienvermögen gibt, wird es von der konkreten Gesetzgebung abhängen, ob es nur zum Teil oder zur Gänze unterm Freibetrag ist. Und wenn es den Freibetrag überschreitet, wirst halt zahlen müssen. Da wär dann der Punkt erreicht, wo ich sag: Ja, eh, wieso auch nicht.

Wer aber drei Zinshäuser, mehrere Baugrundstücke in Wienerwaldnähe und eine Villa am Wörthersee erbt (bzw. als Umgehungsgeschäft geschenkt bekommt), bei dem soll, bittebitte, die Finanz vorstellig werden. Und da soll dann auch ordentlich was reinkommen in die Staatskassen.

So eine Erbschaftssteuer muß sein. Man kann nicht auf der einen Seite die immer weiter aufgehende Schere zwischen arm und reich beklagen, dann aber eine ihrer Hauptursachen nicht bekämpfen wollen, nur weils einen unter Umständen und vielleicht und zum Teil selbst treffen könnte.

 
schlosser antwortete am :
ACK.
Wusste ich's doch: Mich betrifft's eh ned.
('...solang i mein Prosecco hab!) ;-)

Kampf der Schere, Kampf der Schere. 
ossi1967 antwortete am :
Scissors

Solang Du meine „United Red Anti-Scissors Sisters“ haselsteinerst, betriffts Dich nicht. :)

 
schlosser antwortete am :
Ich haselsteinere garnix.
Aber ich hab halt keine grüne Brille auf der Nase sitzen. ;P 
ossi1967 antwortete am :
Tja, wenn Du nix haselsteinerst,

dann kann ich Dich vor der Revolution nicht schützen. Die Freibetragsgrenze rasselt gerade nach unten. :)

Grüne Brillen sind auch häßlich und sehr, sehr unpraktisch: Mit denen sieht man nicht gut.

 
Deep_Blue antwortete am :
Unter Stalin
hättest du sicherlich sehr hohe Ämter bekleidet !!!