Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

HTML 5: Das Ende der Zukunft

HTML: 1991-2009Die Industrie hat gewonnen. Dollars siegen über Visionen. Die Zukunft des Web wurde letzte Woche offiziell zu Grabe getragen:

Das World Wide Web Consortium (W3C) hat am 7.2.2009 das Ende der Arbeiten nicht nur an XHTML 2, sondern auch an so gut wie allen anderen XHTML-Varianten bekannt gegeben. Die entsprechende Arbeitsgruppe wird sich mit Ende des Jahres auflösen.

Ich bin darüber ehrlich traurig. XHTML und die damit zusammenhängenden Technologien waren ein seltenes Beispiel für schöne, brillant konzipierte und wirklich zukunftsweisende Technik. Die mutige, fast unglaubliche Vision hinter XHTML war es, die mich überhaupt noch fürs an sich dröge Webdesign begeistert hat. Ein Web in XHTML! Das hätte Anwendungen gebracht, wie wir sie nur vom Raumschiff Enterprise kennen - und es war bereits in greifbarer Nähe, eigentlich in Ansätzen schon fertig!

Am Ende wäre aus der heutigen Zettelwirtschaft Web eine gezielt durchsuchbare Datenbank geworden. Suchmaschinen, aber auch jeder Browser allein hätten auf Anfragen wie „Telefonnummern aller italienischen Restaurants in der Nähe des Westbahnhofs, die am Sonntag vegetarische Pizza liefern“ eine Liste von Telefonnummer ausgespuckt. Das heutige Web mit Google liefert dieses Ergebnis … Am Surfen im Browser hätte sich bei all dem nichts geändert, die Webseiten der einzelnen Pizza-Lokale hätten trotz aller eingebauter Intelligenz genauso ausgesehen wie heute.

Noch einen Vorteil hätte das „neue“ Web gehabt: Trotz all der neuen Funktionen wäre es schlanker gewesen. Es wäre wesentlich simpler geworden, gute und sichere Browser zu schreiben, die wenig Speicher benötigen und damit auch in den kleinsten und billigsten Geräten Platz gefunden hätten.

Genau dieser Punkt war es wohl, der die Platzhirsche der Industrie (Apple, Opera und Mozilla) gestört hat. Billigkonkurrenz war nicht gefragt. Außerdem wollte man endlich wieder schicke darstellungsbezogene Features einbauen, die den stagnierenden Markt beleben - es sollte wieder <blink>en. Also schloß man sich 2004 zu einer Rebellengruppe unter dem Namen WHATWG zusammen und stöpselte auf Basis der zu diesem Zeitpunkt bereits sieben (!) Jahre alten HTML-Version 4 eine neue Web-Sprache zusammen, die alle Erfahrungen seit der Erfindung von HTML über Bord warf und so gut wie jeden Designfehler älterer Versionen wiederholte. Zum Drüberstreuen verabschiedete man sich von den technischen Wurzeln der Sprache (HTML 5 versteht sich nicht mehr als SGML-Anwendung) und der Bedeutung der Abkürzung „HTML“: Statt eine HyperText Markup Language zu entwerfen, in der Text entsprechend seiner Bedeutung gekennzeichnet wird, schrieb die WHATWG eine Spezifikation für Web-Applikationen. Das freut große Unternehmen wie Google, die damit billiger eine beeindruckende Textverarbeitungs-Applikationen in den Browser zaubern können. Mit der Grundidee, die HTML erfolgreich gemacht hat, hat es allerdings nichts mehr zu tun - ganz zu schweigen davon, daß Browser noch komplexer, schwerfälliger und anfälliger für Sicherheitslücken werden.

Der Hüter aller Web-Standards, das W3C, hat zunächst eisern an den Zukunftsplänen rund um XHTML festgehalten. Erst als Apple und Co. zu verstehen gaben, daß sie die eigene Spezifikation zur Not auch ohne W3C umsetzen und XHTML sicher nicht weiter verfolgen würden, gab man sich geschlagen und nahm das neue Projekt als „HTML 5“ in den Schoß der W3C-Entwicklung auf - damals vielleicht noch in der Hoffnung, durch einen langatmigen Standardisierungsprozess und leichten Druck wenigstens die wichtigsten XHTML-Eigenschaften in „HTML 5“ hineinschwindeln zu können. Einige Zeit wurden beide Standards parallel entwickelt, die XHTML-Schiene zuletzt aber mit deutlich weniger Energie. Welche Hoffnungen das W3C auch immer hatte, sie haben sich nicht erfüllt: Nichts von den revolutionären Ideen aus XHTML ist bisher in „HTML 5“ eingeflossen. Nichts außer einer bloß oberflächlichen Spezifikation, die die Darstellung von „HTML 5“ im XML-Syntax regelt. Das nennt sich dann „XHTML 5“, hat aber wenig mit dem zu tun, was XHTML sein hätte können.

Was heißt das jetzt für mich? In erster Linie Langeweile. Tabulose erotische Spielereien an der äußersten Grenze dessen, was unter XHTML legal ist, haben mir so manchen Abend versüßt. Mir war klar, daß das meinen Marktwert nicht steigert (der Rubel rollte schon seit Jahren mehr in Richtung WHATWG), allerdings war es ein Spiel mit real existierenden, in Browsern implementierten Technologien, die sich auch weiterentwickelten. Seit Anfang Juli steht nun fest: Es ist ein perverses Spiel mit Toten, bestenfalls ein Wühlen in Erinnerungen. So etwas macht keinen Spaß. Diese geldgierigen kleinen Blutsauger haben nicht nur das Web ruiniert, sie haben mir auch mein Spielzeug genommen. :(

 
Deep_Blue meinte am :
Ach Ossi
das tut mir jetzt leid.

Ich bin mir aber sicher, du findest in kürzester Zeit ein neues Spielzeug.

Und darüber das sich die Welt nur um Geld, Macht und Fic... dreht, dass wird dir ja nicht neu sein :-)) 
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