ESC 2009: Jury, Televoting und Semifinalshows
Während früher alle drei Shows ausschließlich per Televoting entschieden wurden und erst 2008 der 10. Platz jedes Semifinales für einen Kandidaten der Jury reserviert wurde, galt heuer:
- Neun Finalisten aus jedem Halbfinale qualifizieren sich per Televoting.
- Der nach Jurypunkten höchstbewertete Song, der nicht auch schon per Televoting ins Finale geschickt wurde, erhält das Jury-Ticket und kommt als zehnter Teilnehmer aus dem jeweiligen Semi weiter.
- Zu den so ermittelten 20 Teilnehmern kommen als Fixstarter der Sieger des Vorjahres sowie die „Big 4“ Spanien, Deutschland, Frankreich und das nur einmal im Jahr so bezeichnete Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, besser bekannt als le Royaume-Uni de Grande-Bretagne et d'Irlande du Nord.
- In der Finalshow schließlich gab es heuer zum ersten Mal in der Geschichte des Eurovision Song Contest eine durchgehend gemischte Wertung aus Televoting und Jury im Verhältnis 50:50. (Früher waren solche gemischte Ergebnisse eher zufällig zustande gekommen: Zuerst deshalb, weil einige Länder das Televoting nicht umsetzen konnten oder wollten, später nur als Ersatz bei technischen Pannen.)
Zunächst also: Wer wäre schon am Semifinale gescheitert, wenn ihn nicht die Jury-Punkte gerettet hätten? Im ersten Halbfinale war es Finnland, das nur Platz 12 von 18 belegt und damit die Top 9 verfehlt hat. Kroatien war dann zwei Tage später auf Jury-Hilfe angewiesen. Televoting alleine hätte nur für Platz 13 gereicht. (Geholfen hats schließlich nichts: Im Finale war Finnland Schlußlicht, Kroatien blieb am 18. Platz hängen.)
Wen hätten wir stattdessen am Samstag gesehen, wenn auch der zehnte Finalplatz vom Publikum bestimmt worden wäre? Mazedonien (statt Finnland) und Serbien (statt Kroatien). Beides pure Folter. So eine Jury ist doch eine feine Sache.
Wenn das engültige Resultat im Finale eine Mischung aus Jurywertung und Televoting war, wie sehr unterscheiden sich die Ergebnisse dann von denen im ausschließlich publikumsbestimmten Halbfinale? Im Spitzenfeld gar nicht:
Rang (Finale) | Land | Rang (Semi 1) | Rang (Semi 2) |
1 | Norwegen | - | 1 |
2 | Island | 1 | - |
3 | Aserbaidschan | - | 2 |
4 | Türkei | 2 | - |
5 | Vereinigtes Königreich | - | - |
6 | Estland | - | 3 |
7 | Griechenland | - | 4 |
8 | Frankreich | - | - |
9 | Bosnien & Herzegowina | 3 | - |
10 | Armenien | 5 | - |
11 | Russland | - | - |
12 | Ukraine | - | 6 |
13 | Dänemark | - | 8 |
14 | Moldau | - | 5 |
15 | Portugal | 8 | - |
16 | Israel | 7 | - |
17 | Albanien | - | 7 |
18 | Kroatien | - | 13 (Jury) |
19 | Rumänien | 9 | - |
20 | Deutschland | - | - |
21 | Schweden | 4 | - |
22 | Malta | 6 | - |
23 | Spanien | - | - |
23 | Litauen | - | 9 |
25 | Finnland | 12 (Jury) | - |
Die hinteren Plätze haben aber ihr schlechtes Abschneiden zumindest teilweise mangelnder Jury-Liebe zu verdanken: Schweden war vom Publikum im Semi auf einen beachtlichen 4. Platz (von 18) gewählt worden, blieb dann aber in der gemischten Wertung unter den letzten fünf. Ebenso Malta: Immerhin Platz 6 von 18 im Semifinale, unter Berücksichtigung der Jury dann aber doch nur Nummer 22. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so auffällig, die Situation bei Bosnien & Herzegowina, Moldau und der Ukraine.
Auf der anderen Seite liegt die Vermutung nahe, daß zumindest einige der Fixstarter ohne kräftige Jury-Hilfe chancenlos geblieben wären. Patricia Kaas hat für Frankreich zwar einen genialen Auftritt hingelegt, für ihre Top-10-Position werden aber kaum Massen von Televotern verantwortlich sein.
Fazit: Die vordersten Plätze hatten breiteste Unterstützung nicht nur aus allen teilnehmenden Ländern, sondern auch gleichermaßen von Publikum und Jury. Und: Die Tabelle zeigt eine sehr, sehr ausgewogene Mischung zwischen „alten“ und „neuen“ ESC-Ländern. Diaspora hin, Balkan her: Die Jury greift korrigierend ein. Das Ergebnis paßt.
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