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Mozilla Fennec: „Browser“ des Grauens

Fennec LogoFennec heißt der jüngste Browser des Mozilla-Projektes. Er soll bewährte Firefox-Technologie mit einer für mobile Geräte optimierten und völlig neu gestalteten Benutzeroberfläche verbinden. Die Nokia N8x0-Tablets sind die ersten Geräte, für die die Alpha-Version von Fennec verfügbar ist, und ich teste seit einer knappen Woche. Beeindruckt bin ich nicht.

Genau das, was Fennec ausmachen und von anderen Browsern abheben soll, ist völlig mißglückt: das User Interface. Es beginnt schon damit, daß Fennec als einziger mir bekannter Browser eine Bedienungsanleitung benötigt. Beim Start wird man mit dem Konzept bekannt gemacht, daß sämtliche Bedienelemente erst dann erscheinen, wenn man links oder rechts über den Seitenrand hinaus scrollt (ein Video der extrem langsamen Testversion verdeutlicht das). Wer diesen Hinweis eilig überblättert, hat schon verloren.

Andererseits ist es auch nicht weiter schlimm, wenn man die Bedienelemente nicht findet: Es gibt nämlich fast keine. Zwei Buttons für „Vor“ und „Zurück“, dann welche für die Lesezeichen, einer für ein Optionen-Menü. Das wars. Mehr ist nicht. Einen Link in einem neuen Tab öffnen? Geht nicht. Seite speichern? Nein. Link zur Seite per Mail verschicken? Nicht mit Fennec. Bild speichern? Braucht keiner. Text markieren und kopieren? Computer sagt nein.

Die Aufgabe „Entwickle ein einfaches User Interface“ hat das Fennec-Team gelöst, indem es einfach gar kein User Interface entwickelt und damit alle üblichen Browser-Funktionen unzugänglich gemacht hat. (Dieser Ansatz ist in der Branche nicht neu.)

Zu allem Überfluß haben sie auch noch dort gepatzt, wo sie dann doch Funktionen eingebaut haben: Der Button „Zurück“ gehört zu den am häufigsten genutzten beim Browsen. Die Firefox-Entwickler haben das erkannt und ihn bei Firefox 3 extra groß gemacht. Bei Fennec ist das anders: Da ist er gut versteckt in einer Zauberleiste, die nur beim Scrollen nach rechts sichtbar wird. Mehrere Seiten zurück? Kein Problem: Nach rechts scrollen, Button klicken, nach rechts scrollen (Nein! Die Zauberleiste bleibt nicht etwa offen!), Button klicken, nach rechts scrollen, Button klicken, …

Das Fennec-Team rechtfertigt diese Fingergymnastik damit, daß möglichst viel Platz für den eigentlichen Seiteninhalt zur Verfügung stehen soll und daher alle Bedienelemente aus dem Anzeigebereich verschwinden mußten. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Auf dem N800 muß Fennec sich den direkten Vergleich mit dem ebenfalls auf Firefox basierenden MicroB-Browser gefallen lassen. Auch dort läßt sich die Leiste mit URL-Eingabefenster, Vor-/Zurück-Buttons etc. ausblenden, auf Wunsch (und damit: in der Regel) bleibt sie aber stehen. Sie nimmt dabei exakt 56 Pixel eines 480 Pixel hohen Bildschirms ein. Diesen Platz opfert man gerne, wenn man dafür alle Funktionen nur einen Klick entfernt hat. Überhaupt kenne ich keinen mobilen Browser, der nicht die gesamte verfügbare Bildschirmfläche für die Anzeige des Seiteninhalts nutzen kann. Alle diese Browser kommen ohne das von Fennec erfundene Zauberland jenseits des Seitenrandes aus und bringen noch wesentlich mehr Funktionalität in gut durchdachten User Interfaces unter.

Bleibt die Frage, warum Fennec dennoch so viel mediale Aufmerksamkeit erzielt hat und so viele Lorbeeren erntet. Ein Fennec-Entwickler hat diese Frage vorab in seinem Blog beantwortet: Visual Momentum and Physics are compelling. Nothing shouts “sexy!” like pretty animations and a physics engine. - Ja! Es ist einfach lustig, die Seite mal nach links, mal nach rechts zu schieben und dann auf coole Knöpfchen zu drücken. Das macht viel mehr Spaß als so ein dröges Menü, das wir schon aus 100.000 Desktop-Anwendungen kennen. Das Problem ist nur: Nach ein paar Tagen Scrollen nach links und noch drei Tagen Scrollen nach rechts ist der Spielfaktor weg. Dann bleibt der Alltag. Spätestens dann will man wieder schnell zurückblättern können beim Surfen - oder eine Seite offline speichern, weil man im Zug zwischen Berlin und  Züssow keinen UMTS-Empfang hat. Dann wirds ärgerlich mit Fennec.

Zu befürchten steht, daß es tatsächlich ärgerlich wird: Die Bande zwischen Nokia und Mozilla sind eng. Es wird kein Zufall sein, daß die Nokia-Tablets derzeit die einzigen Geräte mit Fennec sind. Ich gehe davon aus, daß die nächste Version von Maemo von MicroB auf Fennec schwenkt. Hoffentlich lernt man bis dahin aus den gröbsten Fehlern.

 
erikhuemer meinte am :
Ich (iPhone User) sag nur: *griiiiiiiinz* 
ossi1967 antwortete am :
Wieso?

Ist der Browser am jesusPhone nicht ähnlich kastriert? Oder war das eh ein „Wieso sollens andere besser haben wenn ich leiden muß“-Griiinz?

 
erikhuemer antwortete am :
Ich finde dieses Problem beim Safari einfach gut gelöst. zB verschwindet die Statusleiste wenn man runterscrollt, erscheint aber wieder, wenn man oben ist.

Und history.back(), Lesezeichen und Tabs hab ich sowieso immer sichtbar.

Screenshot com Eiföhn 
ossi1967 antwortete am :
URL-Bar

Ja, da sind jetzt die Fennec-Typen gaaanz fürchterlich stolz drauf, daß man die Eingabezeile für Web-Adressen eben immer einblenden kann und dafür nicht extra wieder ganz rauf scrollen muß. Das mag auch tatsächlich ein Vorteil gegenüber dem jPhone sein, im Prinzip ist es aber das Standardverhalten aller mir bekannten mobilen Browser und nicht die Revolution im UI-Design, als die Mozilla es verkauft.

Daß sogar Apple eine komfortable Lösung für die Buttonleiste unten zusammenbringt (ich nehm an, die kann man bei Bedarf auch ausblenden?), spricht Bände … und ist IMHO beschämend für Fennec.

Apropos Dein jPhone: Liest Du SMS-Nachrichten? ;)

PS: Und: Ich liebe Dich für die alt-Attribute bei img-Tags.

 
jukey meinte am :
Touchgesten
Also ich persönlich stehe voll auf diese Touch-Gesten-Sache. Es sollte dafür ein Anwendungübergreifendes Framework geben. Fennec zeigt gute Ansätze ist aber derzeit aufgrund übermäßigen Ressourceverbrauchs nicht bedienbar auf dem N800 - wohl aber unter Windows/MacOS oder Linux.
Am gelungensten in Sachen Touch-Gesten finde ich auf dem Tablet übrigens Mauku (Drücken und nach rechts bewegen = Neues Fenster öffnen - andersherum schließt man es wieder...). An Mauku sollten sich die Mozilla-Entwickler orientieren.
Ansonsten finde ich bei Fennec auch die "Zoom-Funktion" ähnlich schick gelößt wie beim iPhone-Safari-Browser. Einfach doppelt auf einen bereich der geöffneten Webseite klicken und nochmal um wier "herauszuzoomen".

Abgesehen davon soll Fennec auch für Windows mobile erscheinen... und dort ist ein zeitgemäßer Browser der sich komplett per Finger bedienen lässt aber wirklich auch mal angebracht. :-) 
ossi1967 antwortete am :
Gesten sind ja wurscht

Die „Gesten“ (sind das überhaupt welche?) als solche wären ja nicht das Hauptproblem bei Fennec. Obwohl Gesten im Prinzip nichts anderes sind als Tastenkürzel bei Konsolenprogrammen (vi fällt mir da ein …): gut wenn man sie kennt, aber die Hölle, wenn man drauf angewiesen ist. Sie haben sich schon im Desktop-Bereich als alleiniger Steuermechanismus nicht durchgesetzt.

Das Verbrechen bei Fennec ist, daß man eigentlich ein im Vergleich zu anderen Browsern sehr komliziertes User Interface gebaut hat. Um es dann doch einfach erscheinen zu lassen, hat man einfach 90% der Funktionalität gestrichen. Das ist ein übler Taschenspielertrick. Ich will einen Browser, der funktioniert. Davon, daß er auf Demo-Videos süß aussieht, hab ich nix.

(Auch das „Click to zoom“ ist nur als zusätzliche Option erträglich, als alleiniger Zoom-Mechanismus wärs nicht auszuhalten: Ich will ja in der Regel auf eine Textgöße zoomen, bei der sich Leserlichkeit und Übersichtlichkeit die Waage halten. Das ist kaum jemanls exakt bei der Spaltenbreite der Fall, da ist der Text fast immer zu groß. Am N800 z.B. hab ich mit 100%-120% einen angenehmen Zoom-Faktor. Manchmal geh ich auch auf 80%. Mit einem obergscheiten Browser, der mir immer nur die Absatzbreite oder die ganze Seite als Auswahl ermöglicht, würd ich durchdrehen.)

 
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