Web 2.0 Summit: Des Kaiser neue Kleider
Wirklich aufregend ist, daß Googles Vizepräsidentin Marissa Mayer 17 Jahre nach der Erfindung des World Wide Web mit einer revolutionären Theorie aufhorchen läßt: Benutzer finden ein schnelles Internet besser als ein langsames! Die volle Versuchsanordnung und die Details dieser aufwühlenden Erkenntnis sind in einem Artikel auf ZDNet ausführlich nachzulesen. Gäbe es all diese Fachleute nicht, die sich über „Web 2.0“ ihre Köpfe zerbrechen - wir hätten solche Dinge nie erfahren! Wahrscheinlich wäre Geschwindigkeit nun flugs auch noch zum wesentlichen neuen Kriterium für das sogenannte „Web 2.0“ erklärt worden, wenn nicht… Ja, wenn da nicht Erkenntnis Nummer zwei wäre:
Gleich auf der Homepage zur Veranstaltung wird nämlich plötzlich in entwaffnender Ehrlichkeit beschrieben, worum es bei „Web 2.0“ wirklich geht: business models
und business opportunities
. Während die uninformierte Fachpresse immer noch die Bedeutung des 2004 vom O'Reilly-Verlag erfundenen Begriffs sucht und selbst Branchenkenner wie Martin Bredl im Zusammenhang mit „Web 2.0“ von einer Technologie
sprechen, sagen uns nun O'Reilly und Konsorten ganz unverblümt: Wir haben nur einen schönen neuen Namen für die alten Zöpfe gefunden, damit das Kapital wieder strömt. Zumindest das ist ihnen ja auch gelungen, hauptsächlich deshalb, weil die Journaille sich seit zwei Jahren nicht traut zuzugeben, daß niemand hinter den schönen neuen Begriffen substantielle Inhalte erkennen kann. (Einer der wenigen übrigens, die dies klar zum Ausdruck bringen, ist Tim Berners-Lee, dem ja kaum jemand mangelnde Fachkompetenz unterstellen wird.) Und solange das so bleibt, wird der Kaiser weiter nackt durch die Straßen laufen, bis der erste Kapitalgeber von selbst draufkommt: „Moment mal - der hat ja gar nichts an!“ Dann wird die Blase platzen. Wieder einmal.
liegt's wirklich nur an der tatsache, dass ein alter hut restauriert wurde und jetzt als DIE zukunft des www verkauft wird? stimmt schon, dass im prinzip nur das rad neu erfunden wurde, aber auch die "erste bubble" (dieses wort finde ich übrigens mittlerweile nicht minder abstoßend) hatte ihre positiven seiten und das www hat mit sicherheit von der damaligen aufbruchstimmung profitiert. warum also nicht ein zweites mal? das allgemeine interesse an soso applikationen kann ja kaum als negativ betrachtet werden ;-)
was spricht denn dein terminkalender für die nächste woche? (jaja, ich weiß eh - da schaust nicht vor montag drauf *g*)
Du wirst lachen, aber es liegt wirklich zu einem großen Teil nur
an der Tatsache, daß das längst Bestehende unter einem neuen Namen als etwas Neues verkauft wird. Ich fühl mich dabei nämlich einfach verarscht. Das ist so, als würde mein Fleischhauer seine Salamisemmeln in „Hungarian Roll Deluxe“ umbenennen. Ich will eine Salamisemmel, und wenn er so tut, als sei seine „Hungarian Roll Deluxe“ jetzt plötzlich was Besonderes, dann soll er mich gern haben - ich mach so ein Kasperltheater nicht mit und würd eher meine Zunge verschlucken als sowas zu bestellen.
Ich finde ja überhaupt (siehe auch dieser Eintrag), daß das Marketinggebrabbel die Schmerzgrenze des Erträglichen längst überschritten hat. Da gibts Leute, die sind so strohdumm, daß man nicht weiß, wie sie ohne fremde Hilfe am Klo zurecht kommen - aber weil sie sich ausschließlich dieser bedeutungsleeren Worthülsen bedienen, kommt keiner dahinter und man läßt sie tagtäglich Entscheidungen treffen. Ich mein, hallo!!?? Diese Marissa Mayer hat uns gerade erklärt, daß es schon besser ist, wenn das Internet schnell ist. Gehts noch?!
Im übrigen riecht das alles durchaus auch ein bißchen nach Betrug, wenn man Investoren anlockt, indem man so tut, als hätte man jetzt was Neues gefunden, obwohl das einzig Neue der Name ist.
Daß die erste Dot-Com-Blase so viel Positives für das Web gebracht hat, bezweifle ich jetzt mal. Was denn? Die Kommerzialisierung? Höhere Verdienste beim Domain-Squatting? Noch mehr Flash-Seiten?
Auch der jetzige Hype bringt nichts wirklich Schönes. Die praktischen Services, die Dir jetzt sicher gleich einfallen, würde es auch geben, wenn O'Reilly den Begriff nicht erfunden hätte. (Tatsächlich hat er ihn ja nachträglich geprägt, um diese 2-3 Services zu beschreiben.) Sie sind einfach Teil der stetigen Entwicklung des Web - oder überhaupt uralte Hüte. Der negative Aspekt ist, daß dieser Hype jetzt Kapazitäten von wesentlich spannenderen Themen abzieht, die sich halt nur nicht so schnell versilbern lassen (Stichwort „semantic web“ zB). Und daß er Leute nach oben spült, die selbst keine Ahnung haben, sondern nur auf dem Hype mitgeritten sind. Daß die dann in naher Zukunft die wichtigen Entscheidungsträger sein werden, läßt wiederum nichts Gutes erwarten.
Äh, ja, und: Das Mittagessen organisieren wir uns per Outlook. Ich such nur noch am Speiseplan nach risikoarmen Tagen. ;-)