GPL Wars II: Torvalds Smatters Back
Offenbar hat er zur Vorbereitung den Jahresvorrat einer Schule an Kreide gegessen, denn er gibt sich ungewohnt diplomatisch: Nicht so sehr grobe Fehler in der GPLv3 würden seine Ablehnung begründen. Vielmehr sei die bestehende Version 2 der GPL (GPLv2) aus dem Jahr 1991 eine derart geniale, wunderbar gelungene und zeitlos gültige Lizenz, daß es keinen Grund gebe, davon abzurücken.
Torvalds zentrale Botschaft: Die GPLv2 manifestiert den über alle Sprachen und Kulturkreise verständlichen Grundsatz „quid pro quo“, „tit for tat“, „wie du mir, so ich dir“ auf eine sehr simple, unverschnörkelte Art und Weise. Es gibt kein überflüssiges Beiwerk. Gerade ihre Einfachheit ermöglicht es so vielen Autoren, sie zu akzeptieren. Torvalds weiter: Die GPLv3 packt zu viel an Wenn und Aber hinein, versucht für einzelne Eventualitäten eine Lösung zu finden und verstrickt sich damit in juristische Details. Dies bringt, so Torvalds, mehr Schaden als Nutzen, da es jene Menschen abschreckt, die mit den neuen Bestimmungen (vor allem in Hinblick auf Patente und DRM) nicht leben können.
So schön und sanft Torvalds diesmal auch formuliert, so sehr er damit sogar Richard Stallmans Arbeit lobt (was selten genug vorkommt), eines kann er nicht verbergen: Er hat die GPLv3 nicht verstanden. Er hat wahrscheinlich schon die GPLv2 nicht verstanden. Er hat Freie Software nicht verstanden. Und er hat, was in der aktuellen Diskussion sehr unhöflich ist, die Argumente und Erläuterungen der Autoren der GPLv3 nicht gelesen.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Linus Torvalds in die GPLv2 genau das hineininterpretiert hat, was er wollte. Er hat ihre Geschichte, die Motive hinter ihrer Entstehung beiseite geschoben. Er hat sie auf das reduziert, was ihm nützlich war, und alles weggelassen, was er nicht lesen wollte.
Nun ist aber die GPL (egal in welcher Version) kein Selbstzweck. Sie ist kein Kunstwerk, das seiner klaren Form und Schönheit wegen bestaunt wird. Sie ist nur ein Werkzeug, das geschaffen wurde, um ein zuvor genau definiertes Ziel zu erreichen. Dieses Ziel heißt nicht einfach nur „tit for tat“. Das Ziel ist, daß Freie Software nur unter Einhaltung der berühmten „Vier Freiheiten“ genutzt und weitergegeben werden darf. Diese Freiheiten sind:
- Die Freiheit, das Programm für jeden Zweck auszuführen.
- Die Freiheit, die Funktionsweise eines Programms zu untersuchen, und es an seine Bedürfnisse anzupassen.
- Die Freiheit, Kopien weiterzugeben und damit seinen Mitmenschen zu helfen.
- Die Freiheit, ein Programm zu verbessern, und die Verbesserungen an die Öffentlichkeit weiterzugeben, sodass die gesamte Gesellschaft profitiert.
Solange diese Freiheiten durch die GPL geschützt sind, funktioniert sie als Lizenz im Sinne ihrer Autoren.
Die Erfahrung hat nun gezeigt, daß es Konstellationen gibt, in denen der Empfänger GPL-lizensierter Software seine aus der Lizenz erworbenen Rechte aufgrund technischer oder gesetzlicher Einschränkungen in der Praxis nicht ausüben kann. Diese Sonderfälle waren zum Zeitpunkt der Entstehung der GPLv2 entweder nicht bekannt oder den Autoren nicht bewußt. Es geht dabei vor allem um gesetzliche Rahmenbedingungen, bei denen die GPLv2 sich auf die US-amerikanische Rechtslage verläßt. Die GPL regelt Dinge, die das amerikanischen Rechtssystem ohnehin bereits in im Sinn ihrer Autoren festlegt, kein zweites Mal. Das macht ihre Anwendung in anderen Staaten manchmal problematisch. Die neue Version 3 der GPL berücksichtigt diesen Umstand sowie die in den letzten Jahren gewonnenen Erfahrungen außerhalb der USA. Sie baut Klauseln ein, die ausdrücklich festschreiben, was ohnehin von Anfang an gewollt war. Ähnliches gilt für technische Veränderungen vor allem im Sektor DRM/TC, deren Auswirkungen 1991 noch nicht absehbar waren. Auch hier schreibt der Entwurf für die Version 3 nur fest, wie die alten Ziele im Licht aktueller Entwicklungen zu schützen sind, fügt aber keine neuen Ziele oder Ideologien hinzu.
Genau das ist nun aber Linus Torvalds Problem: Er hat sich nie für die Ziele der GPL interessiert. Wahrscheinlich hat er nicht einmal begriffen, daß sie Mittel zur Durchsetzung einer Ideologie ist und niemals nur das sicherlich konsensfähigere Konzept „tit for tat“ transportiert hat. Er hat nur irgendwann erkannt, daß diese Lizenz unter anderem auch seine Interessen recht gut abdeckt, ohne zu sehen, daß sie eine ganze Reihe darüber hinaus gehender Zwecke erfüllt. Erst jetzt, wo die GPL neu formuliert werden muß, damit sie vor Gerichten in aller Welt Bestand haben und auch durch neue technische Tricks nicht umgangen werden kann, fällt ihm das durch den geänderten Wortlaut auf. Seine Kritik am Text der GPLv3 ist in Wahrheit Kritik am Konzept Freier Software, das seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts unverändert existiert, das Torvalds aber offenbar erst jetzt in seiner ganzen Tragweite verstanden hat - und ablehnt.