Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

Wie hältst Du's mit der Verschleierung?

Burkiniverbote (Frankreich) bzw. Burka-/Niqab-Verbote (Österreich) werden immer häufiger diskutiert. Das ist mir unangenehm, weil es mir schwer fällt, eine Meinung dazu zu entwickeln und zu begründen. Ich stehe sehr nahe beim SPÖ-Klubobmann Schieder, den die Presse wie folgt zitiert:

"Ich habe keine Lust mehr, Dinge wie Burka und Niqab unter dem Deckmantel der liberalen, freien Gesellschaft zu verteidigen."

Wenn Schieder eine voll verschleierte Frau auf der Straße sieht, ruft das in ihm "große Ärger" hervor, weil er "die Verschleierung als Symbol der Unfreiheit sehe. Man hat auch nicht das Gefühl, dass sich diese Frauen sehr wohl fühlen, vor allem wenn in der Gluthitze des Sommers der Mann in Badeschlapfen vorneweg marschiert."

Dem kann ich wenig hinzufügen. Mir fallen dazu die zwei bis auf die Augenschlitze verhüllten Damen ein, die ich letztens am Fuß der Rolltreppe zur U4-Station Karlsplatz gesehen habe. Die sind dort hilflos gestanden und haben sich nicht getraut, auf die Rolltreppe zu steigen. Sie hatten berechtigte Angst, ihre mehr als bodenlange Verhüllung könnte sich zwischen den beweglichen Teilen der Rolltreppe verfangen. Der zu ihnen gehörende junge Mann - weißes Polo-Shirt, kurze Hosen - hat sie lachend angetrieben, doch bitte endlich weiterzugehen. Zugegeben, kein typisches Beispiel, aber eine bildhafte Darstellung der Inkompatibilität einer Vollverschleierung mit unserem Alltag. (Und eine ebenfalls sehr plastische Darstellung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern.)

Die eigentliche Frage ist aber: Läßt sich ein gesetzliches Verbot damit begründen, daß auch ich keine Lust mehr habe, Burka und Niqab unter dem Deckmantel der liberalen, freien Gesellschaft zu verteidigen? Was kann gegen ein Verbot sprechen? Was dafür?

Für das Verbot spricht in erster Linie die Tatsache, daß Kleidungsstücke von Burkini bis Tschador, von Niqab bis Hidschab sichtbare Symbole einer politischen Idee sind, die mit den westlichen Grund- und Freiheitsrechten nicht vereinbar ist. Sie signalisieren ein Primat einer bestimmten Ideologie (im konkreten Fall einer Religion) vor dem Rechtsstaat. Sie signalisieren die Ungleichheit von Mann und Frau, die Nichtteilnahme am gesellschaftlichen Leben, die bewußte Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft. Das sollten genügend Gründe sein, die Stoffbahnen zu entsorgen.

Gegner des Verbots berufen sich in der Regel auf religiöse Aspekte und damit auf die Religionsfreiheit. Das klingt zunächst plausibel, hat aber aus meiner Sicht zwei Schwachstellen:

Einerseits versichern mir Kenner des Islam immer wieder, daß der Koran die Verschleierung in dieser Form überhaupt nicht vorschreibt und gläubigen Frauen nur nahelegt, in Anwesenheit von Männern Brüste und Schenkel irgendwie zu bedecken. Das Wort „Kopftuch“ würde, so sagt man mir, im arabischen Original gar nicht vorkommen und hätte sich erst über Übersetzungen und Kommentare eingeschlichen. Ich kann das nicht überprüfen, nehme aus der Diskussion aber mit: Auch wenn sich andere Muslime auf den Koran berufen in dieser Sache, so ganz eindeutig dürfte das Wort Gottes hier nicht sein. (Wahrscheinlich hätte er nie für möglich gehalten, welche Streitereien er mit der Bitte um sittsame Bekleidung auslöst.) Fast schon komisch in diesem Zusammenhang wirkt, daß sowohl das Alte Testament (für Juden und Christen) als auch das Neue Testament (für Christen) viel deutlicher formulierte Gebote zum Thema Verschleierung enthalten. Eine islamische Sitte ist die Verhüllung von Frauen also keineswegs.

Andererseits ist es meine feste Überzeugung, daß der Begriff „Religionsfreiheit“ nicht bedeutet, daß jeder unter Berufung auf einen unsichtbaren alten Mann einfach alles tun und lassen darf, was ihm gerade so paßt. Es ist der Staat, der an oberster Stelle steht und die Richtlinien vorgibt, innerhalb derer man dann seine Religion ausüben darf (oder eben auch nicht). Vor allem aber bedeutet Religionsfreiheit auch „frei von Religion“ sein zu dürfen und religiöse Riten und Symbole nicht ständig ungefragt aufs Aug gedrückt zu bekommen. Daher ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, daß in öffentlichen Schulen kein Kruzifix in den Klassenzimmern zu hängen hat. Aus dem gleichen Grund spüre ich auch eine tiefe Abneigung gegen Menschen, die mir ihre Privatsache Religion in Form von Kleidung oder sonstigen offen sichtbaren Symbolen unter die Nase reiben wollen. Das betrifft die Kerzerlschluckerin mit dem Rosenkranz in der Hand genauso wie den Mann mit der Kippa und eben die Frau mit Hidschab. In meiner Welt sind Religionen moralische Leitlinien, keine Frauenzeitschriften mit Ratschlägen zu Mode, Accessoires und Ernährung.

Gegen das Verbot der Verhüllung wird auch aus einem anderen Grund argumentiert: Es sei einfach nicht Sache des Staates, sich in die Kleidung seiner Bürger einzumischen. Das ist der Punkt, an dem ich in meiner Argumentation steckenbleibe. Ich kann dem wenig entgegen setzen. Ein Staat, der sich einmischt in die Frage „Was zieh ich heute an?“, hat in meinen Augen gleich mehrere rote Linien überschritten. Ja, natürlich würden wir breite Zustimmung finden in der Bevölkerung für eine solche Maßnahme - so wie die Mehrheit wahrscheinlich auch einem Verbot der übertrieben bunten, löchrigen und ungewaschenen Kleidung zustimmen würde, die Punks auf der Straße gerne tragen. Die Wahl der Kleidung ist aber trotzdem ein höchstpersönlicher Lebensbereich, der den Staat so überhaupt nichts angeht und sicher nicht per Mehrheitsentscheidung diktiert wird.

Genau hier spießt es sich jetzt in meinem Kopf. Ich habe die Religion als mögliches Argument ganz weggekürzt, weil ich keine eindeutigen Hinweise auf eine verpflichtende Verhüllung im Islam finde und sie meinem Verständnis von Religionsfreiheit nach auch nicht akzeptieren würde. Bleiben die zwei entgegengesetzten Argumente: Ja, ich will ein Verbot, weil die Verschleierung ein deutliches (fast aggressives) Symbol gegen unseren Staat und gegen unsere Grund- und Freiheitsrechte ist. Andererseits: Nein, ich will kein Verbot, weil die Alltagskleidung den Staat nichts angeht.

Komm ich hier noch auf einen grünen Zweig? Langsam komme ich. Der momentane Stand meiner Überlegungen ist der:

Die Sache mit der Symbolik greift einfach nicht. Sie zeigt im Gegenteil die Verlogenheit der Debatte. Verschiedene Kleidungsstile sind ja Symbole für Ideologien, die gegen unsere abendländische Kultur gerichtet sind. Das klassische Outfit der rechten Glatzen gehört dazu. Wollten Minister Kurz oder Klubobmann Schieder schon einmal Springerstiefel, rasierte Glatzen oder Tätowierungen der sogenannten Konföderiertenflagge verbieten? Nein? Dann erübrigt sich jede Diskussion über den Niqab, die Symbolwirkung ist da wie dort die gleiche. Einen wesentlichen Unterschied gibt es aber: Während der Kerl mit dem Springerstiefel Verfechter der staatsgefährdenden Ideologie ist, ist die Frau unter der Verschleierung mit hoher Wahrscheinlichkeit ihr Opfer. Es ist der Mann hinter ihr (der in Polo-Shirt und kurzen Hosen), der das von mir abgelehnte Weltbild vertritt. Diesem Mann schadet ein Verschleierungsverbot exakt gar nichts. Er wird seine Mädels dann nur einfach nicht mehr auf die Straße lassen, wenn er sie dort nicht unter dem Schleier verstecken kann.

Dazu sollte man auch nicht aus den Augen verlieren, warum das Thema gerade jetzt diskutiert wird: Es sind die Attentate der Rechtsextremen in Paris, Nizza, Würzburg, Ansbach etc., die die Angst vor dieser faschistischen Ideologie schüren und den Wunsch entstehen lassen, mit ihren sichtbaren Symbolen nicht mehr konfrontiert zu werden. Dazu haben ich vor kurzem gelesen: 100% dieser Anschläge wurden von Männern in Hosen verübt, 0% von Frauen in Burkas. Dem ist wenig hinzuzufügen.

Meine persönliche Überzeugung derzeit also: Nein, keine staatlichen Kleidervorschriften in der Öffentlichkeit. Was einem an einer radikalen Ideologie nicht paßt, hat man direkt zu adressieren und nicht auf dem Umweg über Damenoberbekleidung. Und wenn man sich vorstellt, was dieses direkte Adressieren dem Gesetzgeber abverlangten würde, dann versteht man, warum Kurz den bequemeren Weg gehen will: Es wäre ein NS-Verbotsgesetz 2.0, das aber wesentlich weitreichender und abstrakter alles unter Strafe stellt, was unserer aufgeklärten abendländischen Tradition widerspricht. (Dann übrigens, und nur dann, könnte man Niqab und Co. als Symbole der verbotenen Ideologie ebenfalls von der Straße verbannen.) Damit aber stehen 50% der ÖVP-Wähler und 90% der FPÖ-Wähler mit einem Fuß im Kriminal. Das packen weder Kurz noch Schieder noch sonstwer an.

 
Wolfi (Gast) meinte am :
Erst gestern drüber nachgedacht.
Interessant, Ossi:
Als könntest Du die Fragezeichen bis nach Linz sehen *g*, habe ich mir gestern beim Radlfahren in die Stadt über das Verschleierungsverbot Gedanken gemacht. ;-)
Mindestens zweimal die Woche sehen wir sie, die ganzkörperverschleierten Frauen. Und wie sie ihren kurzbehosten Paschas hinterhertrotteten.
Dass der Koran keine Verhüllung vorschreibt, ahnte ich bereits - Dein Artikel hat's bestätigt.
Nun frage ich mich schon, welchen Ursprungs das Tragen von den Umhüllungen ist. (Ich muss ja sagen, es reißt mich jedesmal, wenn ich von einer ganzkörperverhüllten Frau überrascht werde. Es ist mir schlichtweg *unangenehm*. Aber das ist halt rein subjektiv.)

Ist es eine reine Machtdemonstration des Göttergemahls, der die Frauen dazu zwingt? Ist es eine von ihm vorgegaukelte Vorschrift aus dem Koran, die es gar nicht gibt? Glauben die Frauen das unbestätigt und tun sie's einfach, weil sie's nicht besser wissen?

Mir kann keiner erzählen, daß sich Frauen, die in einem mitteleuropäischen Staat leben und jeden Tag erkennen 'wie es hier zugeht' nicht irgendwann einmal fragen: 'Warum trage ich das??'

Ich vermute also, dass viele dieser 'Ninja-Fighters' entweder ihrem Mann hörig sind und/oder nicht die Zeit/den Geist/den Willen haben, sich mit dieser Frage einfach auseinanderzusetzen. Freiwillig kann doch eine Frau im 21sten Jahrhundert sowas nicht tragen, oder? 
ossi1967 antwortete am :
@Wolfi

Die Frage nach dem „Warum?“ läßt sich wohl so einfach nicht beantworten. Die Frage nach dem Ursprung schon: Das ist in der Weltgegend zwischen dem Zweistromland und dem Mahgreb seit mehreren Jahrtausenden Tradition. Schon bei den Sumerern gab es 3000 vor Christus Verhüllungsgebote für Frauen. Treppenwitz: Verhüllen sollten sich damals die Tempelprostituierten, damit man sie von den anderen betenden Frauen im Tempel unterscheiden konnte. (Allein das beweist ja, daß es nix spezifisch Islamisches ist: Gott hat den Koran ja erst ca. 600 nach Christus an den Propheten gefaxt.)

Es handelt sich also um sowas wie einen lokalen Brauch, den sich der politische Islam erst in relativ junger Zeit unter die Finger gerissen hat. In vielen Berichten liest Du, daß das Tragen eines Kopftuches noch Anfang des 20. Jahrhunderts in Ägypten, der Türkei und anderen Gegenden der Region unüblich und nur noch bei den alten Omas am Land zu sehen war. In der Türkei, so heißt es, ist der Stoff erst zum Thema geworden, als sich eine Opposition gegen die Ideen Atatürks formiert hat. Ich stell mir das so vor wie das Kexerlbacken zu Weihnachten, das für uns gedanklich in die christliche Mythologie hineinversponnen ist und auch mit Sternkexerln und Engelskexerln entsprechend aufgeblasen wird. Tatsächlich aber kennt die Bibel nicht nur keine Verbindung zu Vanillekipferln, auch das Weihnachtsfest an sich ist eine alte heidnische Tradition, keine Christliche. Und trotzdem werden 95% der praktizierenden Christen weder auf das eine noch auf das andere verzichten wollen.

Um zum „Warum?“ zurückzukommen: Wenn eine Frau in der Überzeugung erzogen wurde, daß sie nur mit diesem Lebensstil „anständig“ ist und alle jeanstragenden Österreicherinnen verantwortungslose Nutten und schlechte Mütter sind, dann glaube ich gar nicht, daß so wahnsinnig viel Zwang dazu gehört. Ja, schon, gelegentlich ein lautes „Willst du Schande über deine Brrrüda brrringen?“ wird schon helfen … aber die Tatsache, daß die Jeans wirklich schändlich sind, die ist schon recht verinnerlicht, denk ich. Genauso wie das restliche Familienbild drumherum. Und wir müssen nicht so tun, als wären wir darüber erhaben: AfD und FPÖ vertreten genau das gleiche Familienideal, nur ohne Burka. Können die sich über zu wenig Zulauf von den autochthonen Wählern beschweren? Na eben.

Ad nicht die Zeit/den Geist/den Willen haben, sich mit dieser Frage einfach auseinanderzusetzen: Ich könnt Dir Gschichten erzählen! Ich hab diesbezüglich in den letzten Monaten ja nicht nur einen sprachlichen Schnellsiedekurs hinter mir. „Sich mit etwas auseinanderzusetzen“ ist, so scheints, generell nicht so en vogue. Es scheitert schon an den Werkzeugen und sonstigen Voraussetzungen: Lesen ist ja sowieso überschätzt (egal in welcher Sprache), Kontakt zu Menschen außerhalb der Community ist eher abzulehnen - man könnt ja das Hirn mit neuen Ideen belüften. Und wieder ist das ohne Ausnahme 1:1 auch die Denkweise der FPÖ-Wähler, von denen man Sätze hört wie Fia wos soi i a Biachl lesna? Hob ka Zeit fia so an Bledsinn, i muaß oabeitn. (O-Ton Hausmeister im öffentlichen Dienst.) Horizonterweiterung sieht anders aus. Da verschlafen schon mal ganze Bevölkerungsgruppen die großen geschichtlichen Umwälzungen wie z.B. die Aufklärung oder die Demokratie.

 
Wolfi (Gast) meinte am :
P.S.: Antwort.
Ach ja... meine Antwort auf Deinen Header hab ich vergessen. :-))
Also, nach den Überlegungen beim Heimradeln (und nach dem Lesen Deines Artikels) ist meine bescheidene Meinung die:
Verschleierungsverbot ja, weil ich es gleichsetze dem Verhüllungsverbot.
Vor allem dann, wenn die 'Staatsreligion' nicht der Islam ist.
(Obwohl ja im Koran eh nix Dezitiertes drin steht darüber).

Und weil ich mich dann nicht immer so schrecken muß. :-)) 
ossi1967 antwortete am :
Äääähhh

Das hab ich jetzt nicht verstanden:

Verschleierungsverbot ja, weil ich es gleichsetze dem Verhüllungsverbot.

Sheldon hat in der 12. Folge der dritten Staffel auf so einen Satz von Raj geantwortet: That's a semantically null sentence. Das ist wie „Vegetarier werden ja, weil ich es gleichsetze mit kein Fleisch essen.“ Da fehlt jetzt nur mehr die Begründung, warum Du kein Fleisch essen willst. Bzw. eben warum Du das Verhüllungsverbot (=Verschleierungsverbot) befürwortest. Denn genau darum gehts ja, um die Begründung. Nicht um „Ich bin dafür, weil ich dafür bin.“

 
Wolfi (Gast) antwortete am :
Naja, ich tu's ah so meinen...
Es besteht doch in Österreich das Verhüllungsverbot, nicht?
Und wenn es keine religiöse Begründung für das Tragen einer Burka/einer Nikap etc gibt, stellt das doch eine selbstgewählte Art der Verhüllung dar. Und ist somit verboten.
Verstehst mi? ;-) 
ossi1967 antwortete am :
@Wolfi: Nein. Bzw: Wie bitte?

Du verwirrst mich. Das „Verhüllungsverbot“ oder wie immer man es nennen will wird ja gerade erst von Kurz, Schieder und Co. vorgeschlagen bzw. diskutiert. Es gibt eine derartige Bestimmung in der österreichischen Rechtsordnung eben (noch) nicht. Sonst hättma ja die ganze Diskussion zu dem Thema nicht. Und auch mein Artikel wär überflüssig. Ich glaub eher wir reden da irgendwie aneinander vorbei und ich hab immer noch nicht kapiert was Du meinen tun tust mit dem österreichischen Verhüllungsverbot.

 
Deep_Blue antwortete am :
Vermummungsverbot
Ich glaube der Wolfi meint das Vermummungsverbot nach dem Versammlungsgesetz. 
Wolfi (Gast) antwortete am :
Ja, ich bin halt ein Dussel.
Ich meinte das Vermummungsverbot.
Somit hat der Blü auch mal recht auf Deinem Blog. *LOOOOL* :-)

Sorry für die Verwirrung, die Metabolische versorgt mein Hirn mit zuwenig Bappi. *gg* 
ossi1967 antwortete am :
Ah, Vermummungsverbot

Ah, das Vermummungsverbot im Versammlungsgesetz. Da hatte der Herr Blü tatsächlich auch mal einen Korn getrunken. Parbleu!

Aber das Vermummungsverbot ist halt kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Analogie. (Drum hab ich wohl auch nicht dran gedacht, daß Du das meinen könntest.) Das ist so, als würd ich ein generelles Aufenthaltsverbot auf öffentlichen Straßen und Plätzen mit dem Platzverbot des §36 Sicherheitspolizeigesetz zu begründen versuchen. Außerdem gehts beim Vermummungsverbot ja um die Verdeckung nur des Gesichts. Bei den meisten oben angeführten Verschleierungsarten ist das Gesicht im Gegenteil als einziger Bereich noch sichtbar.

 
Hase II (Gast) meinte am :
Aspekte
Dam ganzen könnte man noch die eine oder andere Facette hinzufügen. Meines Wissens nach war ursprünglich diese Art der Bekleidung ein Schutz vor Wüstenstürmen. Die Nomaden, die einst mit ihren Kamelen durch die Wüste zogen, hatten allen Grund, sich vor Sandstürmen zu schützen. Und bei den Temperaturen, die dort herrschen, und dem aufkommenden Wind, muss sich der Sand auf der Haut wie Schleifpapier anfühlen. Es hat, historisch gesehen, also einen guten Grund, warum man sich voll verschleiert und diese Kleidung von den Wüstenvölkern aus dem Mittleren Osten kommt. Wie es diese Tradition dann in die Religion geschafft hat, weiß ich nicht. Ich vermute aber, dass Männer mit viel zu kleinen Penissen der Grund sind.

Ich stimme vollkommen überein, dass die Verschleierung der Frau eine Männer-Idee war, um sie vom gesellschaftlichen Leben auszugrenzen. Dass die Frauen hier die Opfer sind und ein Verbot bestenfalls dazu führen würde, dass sie gar nicht mehr auf die Straße gehen dürfen, steht für mich außer Frage.

Trotzdem finde ich voll verschleierte Frauen unheimlich. An das Bild von Frauen mit Kopftuch hat man sich ja schon gewöhnt. Aber wenn von einer Gestalt nur mehr ein Sichtschlitz übrig bleibt, dann bereitet mir das Unbehagen. Dass das in krassem Gegensatz zu allen unseren Werten und Normen steht, hast du ja gut beschrieben.

Ich bin für ein Verbot von Burka und Niqab. Nicht, weil ich die armen Frauen weiter hinein in die Opferrolle drängen will, sondern weil ich möchte, dass der Staat ihren Männern klar und deutlich signalisiert: Eure Haltung akzeptieren wir nicht! Und zwar nicht unter dem Aspekt der Religion oder persönlicher Kleidungsstile, sondern unter dem Aspekt des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Kommunikation ist ein Schlüsselpunkt, um verschiedene Kulturen miteinander verbinden zu können. Ohne Kommunikation kein Miteinander!

Und wer sich mit einer Burka/einem Niqab verhüllt, kann an einer Kommunikation nicht teilnehmen, weil sie nur mehr einseitig funktioniert. Wir sind als Menschen darauf ausgerichtet, die Gestik und Mimik unseres Gegenübers wahrzunehmen und zu deuten. Fällt diese Projektions- bzw. Reflektionsfläche weg, wird die Kommunikation einseitig. Man weiß nicht, ob die Botschaft angekommen ist und man kann auch keine Reaktion erkennen. Ein Miteinander wird dadurch verunmöglicht! Man kann natürlich darüber diskutieren, ob das jetzt so gewollt ist (von Seiten der Frau – sie möchte sich gar nicht mit mir auseinandersetzen) oder ob das aufgezwungen ist vom Mann (der möchte nicht, dass ich in Kontakt mit seiner Frau trete). Das Ergebnis bleibt aber das Gleiche. Und ich denke, dass hier eine Zäsur erfolgen müsste um eine gesellschaftliche Entwicklung weiter voranzutreiben.

Ich weiß nicht, ob sich die Politik bisher wegen deiner obigen Argumente damit noch herumschlägt oder ob man beim Thema Burka einfach Angst hat um die Einkünfte der reichen arabischen Touristen. Für mich müsste es bereits am Flughafen heißen: Burka ab oder Einreiseverbot.

Ich denke, wenn man all deine obigen Aspekte berücksichtig, die richtig und logisch sind, wird man nie auf einen Punkt kommen (so geht es ja auch dir). Wenn man das aber von den Punkten Religionsfreiheit bzw. Einmischung in die persönlichen Bekleidungsstile trennt und es auf den Punkt Gesellschaftlicher Konsens reduziert, dann bin ich recht schnell bei einem Burkaverbot. Gut, man kann prinzipiell diskutieren ob Verbote sinnvoll sind oder ob es nicht vorher eine Diskussion über die Stellung der Frauen der Gesellschaft bräuchte (sozusagen Nachhilfeunterricht für die arab. Männer). Und man kann bei meiner Argumentation natürlich ins Spiel bringen, dass die Kommunikation mit den Männern erfolgen müsste). ABER: wenn sich bei diesem Diskurs die Burkaträgerinnen nicht einbringen können, sind wir gerade wieder bei dem Punkt, dass mit der Burka/dem Niqab jegliche Kommunikation verhindert wird.

Und es gibt noch einen weiteren Punkt: Nämlich die Sicherheit. Abgesehen, dass es ist Österreich nach dem Versammlungsgesetz ein Vermummungsverbot gibt (ich glaube, das meint der Hase I), ist es auch völlig unüblich, mit Vollvisierhelm in eine Bank oder eine Tankstelle zu gehen. Man wird auch nicht mit einem Karton mit zwei Löchern auf dem Kopf herumlaufen, nur weil man sich vor Handstrahlung schützen möchte. Die Feststellung der Identität, zu erkennen, mit wem man es zu tun hat, ist m.M.n. die Voraussetzung, damit eine Gesellschaft funktionieren und sich weiterentwickeln kann. 
Hase1 (Gast) antwortete am :
JAWOLL!
Woahr hast, Hase2! Das Vermummungsverbot meinte ich. :-)
(Pfiat mi Gottchen... da hast aber viel getippselt für *die* Uhrzeit. *lol*
Schon Käff'sche gehabt? Bussi nach oben. *gg*)

Im Übrigen bin ich der ganz der Meinung vom Hasen2. 
ossi1967 antwortete am :
@Hase1

Gell, da schaust! Da glaubst er schält sich grad mit ästhetisch-fließenden Bewegungen nackt aus dem Bett … dabei hockt er schon schlaftrunken, ungeduscht und mit Kaffeeflecken am T-Shirt vorm PC und macht Kopfsachen. :)

Du solltest die Überwachungskameras besser nutzen. Wenn mans schon hat … *LOL*

 
ossi1967 antwortete am :
@Hasi II

Ich kann Dir ja in keinem Punkt so wirklich widersprechen. Ich bin nur der Meinung, daß eine gesetzliche Regelung nicht nur Zwang ausüben darf (weil der Staat das halt kann, ätsch), sondern etwas verbessern muß. So glaube ich z.B. an die Sinnhaftigkeit und Richtigkeit der Verpflichtung zum Mitführen einer Warnweste im Auto erst dann, wenn ich sehe, daß seither die Anzahl der Folgeunfälle tatsächlich wie geplant gesunken ist. Sonst ist das Unsinn.

Genauso beim Verschleierungsverbot. Der Großteil Deiner Argumentation bezieht sich auf die mangelnde Kommunikationsfähigkeit. (Wobei das auch nur für die Gesichtsverschleierung gilt, nicht für Dinge wie Burkini und Hidschab.) Das unterschreibe ich zu 100%. (Ich hätt dann aber auch gern die Vollhonks bestraft, die mit Sonnenbrille im Kaffeehaus oder in der U-Bahn sitzen.) Die Frage ist nur: Verbessert die Gesetzgebung die Kommunikation, wenn die Frauen dann eben gar nicht mehr ausm Haus dürfen? Ich fürcht, das wird eher eine Scheinlösung: Alle freuen sich, daß wir keinen Fremden mehr bei uns haben … und keiner nimmt wahr, daß die nach wie vor da sind, nur noch isolierter als vorher.

 
Hase II (Gast) antwortete am :
Das ist ja die Krux
Man will ja nicht mit Verboten bewirken, dass ein Problem nur verdrängt aber nicht gelöst wird. Ich denke mir nur manchmal, dass eine liberale, offene Gesellschaft nicht davor zurückschrecken darf, auch mal ganz klar eine Grenzlinie zu ziehen. Auch als toleranter Mensch wird man irgendwann zu dem Punkt kommen, wo einfach klar und deutlich gemacht werden muss: Hier ist eine Linie, die nicht überschritten werden darf! Die Gesichtsverschleierung gehört für mich da dazu. Burkini oder Kopftuch ist mir egal … es geht für mich wirklich um die Möglichkeit, dem Gegenüber ins Gesicht sehen zu können. Ein Verbot wird zunächst natürlich nur bewirken, dass die Frauen gar nicht mehr auf die Straße gehen dürfen. Und wie Blu auch richtig angemerkt hat: Wer soll das kontrollieren bzw. ggf. bestrafen … Aber es wäre meiner Meinung nach ein symbolischer Akt, jenen muslimischen Männern, die auf unsere Werte pfeifen, klar zu machen, dass wir als Gesellschaft nicht wollen, dass sich deren Weltbild hier ungehindert verbreiten kann. Wenn man sich Bilder von vor 20 Jahren aus der Türkei oder dem Iran ansieht und erkennt, dass damals die Damen ihr fülliges, schönes Haar offen und stolz zur Schau getragen haben und man heute nur noch Kopftücher sieht, dann bin ich schon der Meinung, dass man dieser Entwicklung bei uns mit einem Verbot entgegentreten kann. 
Deep_Blue meinte am :
Was soll die Aufregung ?
Zum Anfang - Religion ist immer Scheiße!

Die Regierung und dieser Blog haben eines gemeinsam (neben der Linkslastigkeit) es werden immer nur vollkommen unerhebliche Themen aufgegriffen.

Die von der FPÖ vor sich hergetriebene Regierung muss halt immer wieder Themen aufgreifen um das Volk ein wenig zu beruhigen und von den wirklichen Problemen abzulenken. Allen voran der Schwätzer Kurz.

Als liberaler und toleranter Mensch, der rechts der Mitte steht, bin ich gegen ein Verbot, weil es ja vollkommen unerheblich ist, ob die Weiber eine Burka tragen oder nicht. Und Vorschriften und Verbote haben wir schon mehr als genug.
(Glühbirnenverbot, Rauchverbot, Olivenölfläschenverbot, etc. etc.)

Ich kann mir nicht fremde Steinzeitvölker ins Land holen und dann glauben, dass die sich anpassen. Warum sollten sie?
Der größte Fehler ist noch immer zu glauben, dass ich Kulturkreise x-beliebig mischen kann und dann alle ohne Probleme zusammen leben.
Das ist auch der Grund, warum die EU niemals funktionieren kann.

Die nächste Frage, die man sich stellen muss, wem würde so ein Verbot nutzen?
Wenn wir es endlich angehen würden, straffällig gewordene Ausländer und Wirtschaftsflüchtlinge massiv abzuschieben, dann hätten wir alle etwas davon.
Niemand hat einen Vorteil, wenn die Burkaweiber verschwinden.

Nächste Frage - wer sollte die Einhaltung so eines Verbotes durchsetzen?
Die Polizei hat auf Grund der importierten Kriminalität wahrlich anderes zu tun.
Wenn man dann eine Frau mit Verschleierung auf der Straße antrifft, was geschieht dann. Wird sie zwangsentkleidet, muss sie ins Gefängnis?

Das ist so wie mit den 30iger Zonen in Wien.
Die gespritzte Vassillakou kann Zonen machen so viel sie möchte, ich fahren dort trotzdem keine 30, weil es eben keine Konsequenzen gibt.

Umgekehrt wird es dann natürlich anders aussehen, wenn in naher Zukunft eine islamistische Partei in Österreich an die Macht kommt, dann werden alle Frauen Burkas tragen und dieses Thema hat sich erledigt.

Bitte erkennt diese Diskussion als das, was sie in Wahrheit ist.
Ein Ablenkungsmanöver und ein trauriger Versuch nicht noch mehr Wähler zu verlieren.
Außerdem stehen Bundespräsidentenwahlen an und man will dem Hofer halt nicht die Themen überlassen.

Niemand in dieser Regierung wird jemals so ein Verbot erlassen. 
ossi1967 antwortete am :
@Blü

Liberal und rechts der Mitte? Dann wissen wir ja jetzt, wo Deine politische Heimat ist:

Diagramm in Formd es political compass

Bei den NEOS! Dacht ichs mir doch. Der Strolz hat mich immer schon an Dich erinnert. :)

Die Durchsetzbarkeit ist ein Pseudo-Problem. Es kostet halt einfach € 400,- oder so. Daran wirds nicht scheitern.

Das mit dem Mischen von Kulturkreisen macht wirklich immer wieder Probleme. Man kann ja schwer einen in dritter Generation arbeitslosen Schulabbrecher mit nur rudimentären Kenntnissen in Lesen und Schreiben neben einen hochgebildeten, kunstinteressierten und mit seinem Leben zufriedenen Philosophen setzen und dann annehmen, daß das konfliktfrei ausgeht. Aber dafür haben wir die repräsentative Demokratie erfunden. Der Schulabbrecher wählt FPÖ oder TS, der Philosoph wählt Grün oder SPÖ … und dann können die gewählten Vertreter miteinand streiten und der Philosoph muß sich nicht ständig das erbärmliche Gestotter vom Schulabbrecher anhören. Das löst nicht alle Probleme, aber viele. Um alle Probleme zu lösen, müßte man die Menschen ja nach Weltanschauung in Gruppen zusammentreiben und sie zwangsumsiedeln. Solche Vertreibungen haben der Vergangenheit selten zu erquieklichen Ergebnissen geführt.

PS: Wir haben in Ö ein Rauch- und Olivenölflaschenverbot? Blüchen, wenn Du nicht hin und wieder hier kommentieren tätst, ich wüßt so viele Dinge gar nicht! :)

 
bonanzaMARGOT meinte am :
jeder soll sich so kleiden, wie er will - aber er (sie) muss sich dann auch den konsequenzen stellen, die dies je nach gesellschaftlicher auffassung zeitigt.
den anpassungsdruck gibt es überall.
wir diskutieren darüber, aber die mehrheit entscheidet die regeln. so läuft demokratie. 
ossi1967 antwortete am :
@bonanzaMARGOT

Ja, das ist einer der wesentlichen Punkte dabei, die mich auch nerven: Wenn eine Frau aufgrund ihrer Ganzkörperverhüllung tatsächlich irgendwo gegenüber anderen Menschen benachteiligt wird, kommt keiner auf die Idee, sie selbst dafür verantwortlich zu machen. Dabei hat Sie sich ja so angezogen, und zwar ganz bewußt, nicht aus modischen Gründen, nicht aus Gedankenlosigkeit, sondern weil sie einen Gegenpol zur Gesellschaft da draußen darstellen will. Dann bekommt sie zu spüren, wie sich das „Gegenpol-Sein“ manchmal anfühlen kann … und dann ists auch wieder nicht recht. Ja, jeder soll anziehen was er will und verdammt noch mal die Konsequenzen tragen. Wenn ich nur im Bademantel zum Meinl am Graben einkaufen geh, werden die mich dort vielleicht auch schief anschauen. So ist das nun mal.

Übrigens: Der Aussage Die Mehrheit entscheidet die Regeln. So läuft Demokratie. kann ich in diesem Zusammenhang nicht so viel abgewinnen. Es gibt eben Grund- und Menschenrechte sowie Grundpfeiler des modernen Rechtsstaats, die nicht einfach so durch Mehrheitsentscheidung ausgehebelt werden können. Es ist das Rechtsverständnis der Populisten und Faschisten, daß das alles geht. Die polnische Regierung argumentiert die faktische Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs mit ihrer Mehrheit. Erdoğan rechtfertigt jede seiner Handlungen damit, daß er ja von der Mehrheit gewählt wurde. In diese Reihe möchte ich mich nicht stellen. Ich möchte nicht die Freiheit einer Minderheit auf dem Altar der Mehrheitsentscheidung opfern.

 
bonanzaMARGOT antwortete am :
stimmt. die menschenrechte dürfen durch mehrheitsentscheidungen nicht ausgehebelt werden. das war von mir flapsig formuliert.
aber auch die menschenrechte und grundrechte sollten regelmäßig überprüft werden, ob sie noch zeitgemäß sind, bzw. der herrschenden kultur angemessen.
ich wünsche mir, dass errungenschaften wie z.b. meinungs- und religionsfreiheit ewig gelten - und auch in der gesellschaft durchgesetzt werden. das ist mitunter nicht unproblematisch, wie man z.b. am karikaturen-streit sah.
man sollte für die menschenrechte allgemein in der öffentlichkeit stärker werben, damit gerade die jungen leute kapieren, warum sie so wichtig und sinnvoll für uns sind, und was alles von ihnen abhängt. 
ossi1967 antwortete am :
@bonanzaMARGOT

Vor allem gehört den jungen Leuten (aber auch vielen Älteren, wie man immer wieder entsetzt feststellen muß) mal beigebracht, was wir in den westlichen Welt meinen, wenn wir verkürzt von einer „Demokratie“ sprechen. Daß wir nämlich eine Staatsform meinen, in der das demokratische Prinzip nur eine von verschiedenen gleich wichtigen Grundsäulen ist. Daß es eben unabdingbare Menschenrechte gibt, daß wir das Prinzip der Gewaltenteilung hoch halten, daß die Rechtsstaatlichkeit in unserer Gesellschaft einen wichtigen Stellenwert hat. Das Problem ist: Die Leut, die heutzutage aus den Schulen gespült werden, können Gewaltenteilung oder Rechtsstaatlichkeit noch nicht einmal definieren. (Mit etwas Pech haben sie die Begriffe noch nie gehört.) Wie sollen die überhaupt jemals als Wähler am politischen Leben teilhaben können?

 
bonanzaMARGOT antwortete am :
interessierte sich je eine generation besonders für politik? ich in meiner jugend auch nicht. vieles, was man so an diskussionen hört (auch im TV), hat kaum mehr als stammtisch-niveau.
in der schule wurden uns politik und geschichte äußerst trocken vermittelt, dabei sind das sehr lebendige und spannende themengebiete, an denen, wie schon gesagt, sehr viel hängt. von nichts kommt bekanntlich nichts.
eingentlich sollte es sich kein zivilisiertes land leisten, die politische und kulturelle bildung derart zu vernachlässigen. denn das rächt sich (früher oder später) unter umständen in den wahlergebnissen... 
ossi1967 antwortete am :
@bonanzaMARGOT: Ganz so stimmts nicht

Das Desinteresse an der Politik ist durchaus generationenspezifisch. Hätte sich nie jemand für Politik interessiert (v.a. unter den Jungen), hätte es z.B. die '68er-Bewegung nicht gegeben, der wir ein neues Zeitalter der Aufklärung in Europa zu verdanken haben. (In Westeuropa zumindest: Meiner Meinung nach ist das Fehlen dieser '68er-Bewegung der Hauptgrund für die gesellschaftliche Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa.)

Auch meine Jugend war sehr politisch geprägt. Damals gabs einfach mehr Jugendmedien mit politischer Ausrichtung. Kommerzielle Produkte waren (pardon my french) „für Mädchen“. Der Unterricht war politisch geprägt: Den Unterschied zwischen verschiedenen Gesellschaftssystemen, die Bedeutung von Wahlrecht, Wahlgeheimnis und Meinungsfreiheit, haben wir in der Volksschule gelernt. Im Gymnasium haben wir uns intensiv mit der Rolle der Staatsorgane und der Gewaltentrennung befaßt sowie die Positionen der politischen Parteien analysiert.

Das alles war uns aber auch wichtig. Wir haben auch in unserer Freizeit sehr häufig über Politik gesprochen und bei billigem Rotwein in verrauchten Kellerlokalen die Nächte durchdiskutiert. Damals gabs auch diesen Wahnsinn noch nicht, daß sich Jugendliche in Markenklamotten zwängen und 70% ihrer Freizeit im Fitness-Center verbringen. Nach heutigen Maßstäben waren wir wohl alle irgendwie sogenannte „Alternative“ - was übersetzt heißt: Uns kams im Umgang miteinander und in der Beurteilung anderer auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit an, nicht auf Frisur, Pulli-Marke oder Bizepsumfang.

Der Umbruch kam dann so mit den Geburtenjahrgängen rund um 1970 rum. Wir haben entsetzt beobachtet, wie diese völlig apolitischen Wesen mit von Zeitschriften diktierten Frisuren und im Halbjahrestakt wechselnder Mode unsere Schule in Besitz genommen haben wie gruselige Zombies. Wenn wir auf diversen Veranstaltungen mit denen zusammengetroffen sind, gabs kaum mehr Gesprächsstoff … bzw. viele Momente peinlichen Fremdschämens. Das war mit Sicherheit der Beginn einer Phase, in der die Menschen abolut unpolitisch waren. Weils ihnen wirtschaftlich zu gut ging damals und es nichts mehr gab, was aus ihrer Sicht zu verbessern, zu verändern war.

Diese Phase erreichte einen traurigen Höhepunkt in den 1990ern, dem schlimmsten Jahrzehnt überhaupt diesbezüglich. Seit damals gibts wieder ein zartes Aufflackern einer politisch interessierten Zivilgesellschaft. Sie leidet (noch?) an dem was Du so treffend zusammengefaßt hast: vieles, was man so an diskussionen hört (auch im TV), hat kaum mehr als stammtisch-niveau. Ich kann solche angeblichen Diskussionen auch nicht mehr hören. Einerseits weil die Leut vor allem aus der rechten Ecke einfach kein Niveau haben, zweitens und vor allem aber, weil schon lange nicht mehr über politische Standpunkte diskutiert wird. Der Artikel Die Erde ist eine Scheibe beschreibt das sehr gut. Politiker lügen ihren Fans bei solchen Auftritten eine Welt vor, die einfach nicht existiert. In der Diskussion gehts dann nicht darum, wer die besseren Lösungsansätze für die tatsächlichen Probleme hat. Man diskutiert, wessen Lüge weniger unverschämt ist.

Beispiel Klimawandel: Da gibt es Populistem, die entziehen sich der Diskussion, indem sie die offensichtlichen Fakten leugnen und die Tatsache des Klimawandels an sich in Abrede stellen. Und auf einmal dreht sich die Diskussion nicht mehr darum, wie man die Erde retten kann, sondern darum, ob sie überhaupt in Gefahr ist.

Oder Mindestsicherung: Statt grundsätzlich über berechtigte Fragen wie einen Mindestabstand zwischen Arbeitseinkommen und Sozialtransfer zu diskutieren, werden aus dem rechten Lager immer wieder falsche Zahlen in den Ring geworfen: Da bekommen angeblich Pensionisten weniger als Mindestsicherungsbezieher, da erhält angeblich jeder Mindestsicherungsbezieher über € 800,- (was seltsam ist, weil die durchschnittliche Auszahlung pro Kopf nicht einmal € 400,- beträgt) … Lügen, alles Lügen. Und nur darüber diskutieren Politiker bei öffentlichen Auftritten, obwohl die Fakten ja nachrecherchierbar sind. Es ist für mich unverständlich, warum sich manche Wähler v.a. der FPÖ so konsequent anlügen lassen.

Und weil die politische Kultur so tief gesunken ist, seh ich mir auch keine TV-Diskussionen an. Genau deshalb aber kommt es zu immer seltsameren Auswüchsen: Menschen, die grundsätzlich an Politik interessiert wären, rennen wie die kopflosen Hühner irgendwelchen Heilsbringern und Spinnern nach, weil sie nicht mehr in der Lage sind, einfache Fakten nachzulesen bzw. zu überprüfen.

 
bonanzaMARGOT antwortete am :
Gut, dass ich kein Mädchen bin – lach! Von den 68ern habe ich in der Hauptsache meinen Musikgeschmack, und darum bin ich froh. Als ich Anfang der Siebziger ins Teenageralter kam, interessierte ich mich nicht für Politik, sondern für alles andere – z.B. für Mädchen. Und in der Schule waren die meisten Pauker leider Langweiler ihres Fachs.
Mein erstes politisches Interesse erwachte etwa zeitgleich mit den Grünen (die ich heute nicht mehr wähle). Dem Raubbau an der Natur durch die Industriegesellschaft musste Einhalt geboten werden. Leider wurden die Umgehungsstraßen, KKWs und Flughäfen trotzdem gebaut.
Die 68er werden im Nachhinein überpolitisiert. Es gab nur einige hochpolitische Gruppierungen – alles drum herum waren ganz normale Typen, die einfach gegen das sogenannte Establishment aufbegehrten und ein geiles, abenteuerliches Leben führen wollten. Man kann doch nicht alle jungen (oder alten) Leute in einen Sack stecken. Auch heute gibt es mehr oder weniger interessierte und engagierte junge Leute in politischen und gesellschaftlichen Dingen. Die Masse freilich ist materialistisch und kapitalistisch eingestellt. Darin stimme ich dir zu. Hinzu kommt eine gewisse Dumpfbackigkeit, welche vielleicht der Übersättigung und dem übermäßigen Medienkonsum geschuldet ist. Aber wie konnte es so kommen? Wo sind die 68er? Wo sind die Grünen? Wo sind die Renegaten der Gesellschaft? Die Wenigsten blieben ihrer Gesinnung treu. Mir wird heute noch kotz-übel, wenn ich daran denke, dass dieselben langhaarigen coolen Freaks, zu denen ich als Teenager aufschaute, einige Jahre später in der Kneipe angepasst bei Peter Maffay Musik zockten.
Und die Grünen verloren in meinen Augen zunehmend an Charakter, als sich die sogenannten Realos gegen die Fundis durchsetzten. Auch Joschka Fischer fand ich mal ziemlich cool – und schaue ihn dir heute an! Wir alle sind eben nur Menschen, und Geld verdirbt bekanntlich den Charakter. Wobei diese machtgeilen Typen meist sowieso Wendehälse sind.
Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Wir müssen damit leben, wie die Welt heute ist. Die 68er hatten ihre Zeit. Ich glaube an die junge Generation. Unter ihnen gibt es viele blitzgescheite. Einige von ihnen haben sogar Ideale… hin zu einer besseren, gerechteren und menschlicheren Welt... 
bonanzaMARGOT meinte am :
nochmals, weil die burkas immer noch da sind
im großen und ganzen ist mir die verschleierung anderer wurscht. motarradfahrer mit helm sind auch "verschleiert". das ganze wird doch nur wegen der ganzen moslem-debatte hochgeschaukelt. religiöse symbole darf jeder mit sich rumtragen. es ist im einzelfall zu diskutieren, ob es an orten wie schulen oder behörden sinnvoll ist.
es gibt keine leitkultur, die anderes oder fremdartiges einfach verbieten kann. wir sollten uns nach dem richten, was in der verfassung geschrieben steht. was besseres haben wir nicht.
alle haben sich gewissermaßen dementsprechend einzufügen. ein burkaverbot hilft, meiner meinung nach, niemandem.