Nokias Erben III: Zwei Jahre später
Es ist irgendwie interessant, zwei Jahre später nachzusehen, ob die damaligen Einschätzungen einer Überprüfung in der Realität auch standhalten. Der Zeitpunkt ist ideal: Seit dieser Woche sind erstmals Telefone mit allen vier damals verglichenen Betriebssystemen regulär zu kaufen - wenn auch teilweise mit regionalen Einschränkungen.
Von den Marktchancen her hielt Ahonen Tizen für eine sichere Bank und sagte dem Samsung-Betriebssystem bis zu 5% Marktanteil bis Ende 2014 voraus. Bei Jolla und Firefox OS wollte er sich nicht so recht festlegen, sah die Sache aber eher schwierig. Daß Ubuntu auf Smartphones ein Erfolg werden könnte, schloß Ahonen eher aus.
2015 wissen wir: Tizen ist so gut wie nicht existent. Trotz der beeindruckenden Liste an Firmenlogos auf der Homepage der Tizen Association scheint nur mehr Samsung ein bißchen Interesse an dem Projekt zu haben. Das erste Tizen-Telefon kam auch erst im Jänner 2015 auf den Markt - und das nur in Indien. Keine Rede also von 5% Marktanteil
. Genauer gesagt auch keine Rede von einem Smartphone-Betriebssystem: Das schwachbrüstige Samsung Z1 wird für umgerechnet 77 Euro verkauft.
Ebenfalls nicht wirklich existent ist Ubuntu: Auch in diesem Fall hat es bis 2015 gedauert, bis ein kommerzielles Produkt verfügbar war. Der spanische Hersteller BQ hat sich erbarmt und eine Ubuntu-Version seines Aquaris E4.5 gebaut. So richtig verkauft wird es erst seit dieser Woche, zuvor gab es nur sogenannte „Flash Sales“ mit geringen Stückzahlen via Twitter. Die Pressereaktionen bei der Vorstellung waren verhalten: Canonical hatte über Jahre hinweg eine Erwartungshaltung aufgebaut, der das Mittelklasse-Handy trotz einiger interessanter Ansätze nicht entspricht. (Die nächste Chance kommt angeblich in Form des Meizu MX4, das ebenfalls mit Ubuntu ausgestattet werden soll.)
Anders sieht es bei Jolla aus: Die Finnen hatten schon 2013 ein echtes Smartphone auf dem Markt, haben Verträge mit Carriern in Europa, Afrika und Asien und mittlerweile ein Netz von Vertriebspartnern, mit dem sie die drei Kontinente recht gut abdecken. Auch wenn Ahonens Vorhersage zutrifft, daß mit Saifish OS keine nennenswerten Marktanteile zu gewinnen sind … zumindest ist da ein Produkt, das funktioniert, regulär zu kaufen ist und auch seine Kinderkrankheiten bereits hinter sich hat. Außerdem ist Jolla kurz davor, mit dem Tablet eine weitere Geräteklasse anzusprechen. Das alles ist deutlich mehr, als Samsung und Canonical mit ihren jeweiligen Lösungen derzeit bieten können.
Bleibt zum Schluß die Überraschung in diesem Feld: Firefox OS. Von Ahonen vor zwei Jahren eher skeptisch beurteilt, ist es das einzige der vier hier bestprochenen Betriebssysteme, das seit Mitte 2013 auf unterschiedlichsten Modellen verschiedenster Hersteller läuft und so gesehen tatsächlich Erfolg hat. Neben kleineren Firmen haben große Unternehmen wie Alcatel, ZTE, Huawei und LG das Betriebssystem von Mozilla auf ihre Hardware gepackt. Auch die Carrier haben mitgespielt und die entsprechenden Geräte als Vertragshandys günstig unters Volk gebracht. „Günstig“ ist anscheinend überhaupt das Stichwort: Kaum ein Gerät kostet mehr als € 100,-, Funktionsumfang und Bedienung erinnern mehr an die verblichene Asha-Serie von Nokia als an Smartphones der Gegenwart. Im Rahmen des eben zu Ende gegangenen Mobile World Congress 2015 wurde ein brandneues Modell mit den Worten präsentiert: … and it has all the sort of features you've come to expect in a smartphone: dialler, SMS, contacts application, Firefox browser …
Damit ist die Zielgruppe von Firefox OS wahrscheinlich ausreichend beschrieben.
Positiv ist: Alle vier Anfang 2013 besprochenen (mehr oder weniger) „freien“ Betriebssysteme sind noch im Rennen. Ich hätte persönlich durchaus damit gerechnet, daß dem einen oder anderen Projekt im Lauf dieser zwei Jahre der Atem ausgeht. Das bedeutet: Nach dem Dämpfer, den die Idee vom freien Smartphone-Betriebssystem durch das Ende von Nokia erfahren hat, ist die Marktlage heute besser als je zuvor. Wer sich für Handy-Betriebssysteme abseits der goldenen Käfige von Apple und Google interessiert, hat überraschend viel Auswahl.
Unerwartet: Gerade die von den größten Unternehmen getragene Alternative, Tizen, ist gegenüber den ursprünglichen Ankündigungen hoffnungslos im Rückstand und hat bisher keine der Erwartungen erfüllt.
Was heißt das in Bezug auf die beiden Artikel aus 2013? Tomi Ahonen hat sich jedenfalls geirrt. Tizen, das er als Nummer eins gesehen hat, ist weit von einer tatsächlichen Marktrelevanz entfernt. Dafür haben ausgerechnet Sailfish OS und vor allem Firefox, bei denen Ahonen eher skeptisch war, sich ihre Marktnischen geschaffen.
Meine eigene Einschätzung hat gehalten. Ich habe damals ja weniger die Marktchancen beurteilt sondern die Frage, inwieweit die vier Konkurrenten meine Ansprüche an ein Smartphone-Betriebssystem erfüllen. 2013 wie heute gilt: Ubuntu und Sailfish OS sind tatsächlich entsprechend leistungsfähig, Tizen ist zu eingeschränkt und Firefox OS ist überhaupt eher in der Geräteklasse der Feature-Phones unterwegs. (Und während ich das hier tippe überlege ich mir gerade: Sollte ich nicht die Verfügbarkeit eines Ubuntu-Smartphones nutzen, um Sailfish OS und Ubuntu auch in der Praxis gegeneinander antreten zu lassen? *gg*)