GPL Wars
Wenig erstaunlich, daß die Kernel-Entwickler im Schatten von Linus Torvalds kein gutes Haar am aktuellen zweiten Entwurf lassen. Er würde die Freiheit der Benutzer Einschränken, Freie Software durch eine zusätzliche Lizenz „balkanisieren“ und schließlich die Entscheidung von Unternehmen für Freie Software erschweren. Wenig erstaunlich deshalb, weil schon Linus Torvalds selbst kurz nach der Veröffentlichung des Erstentwurfs in wildester Form gegen die neue Arbeit der Free Software Foundation (FSF) gewettert hatte: Die GPLv3 würde Entwickler zwingen, ihre privaten Schlüssel zu veröffentlichen, meinte er damals noch unter anderem. (Außer ihm hat niemand diesen Schluß aus der GPLv3 gezogen.)
Was allerdings durchaus erstaunt ist die Tatsache, mit welcher Vehemenz sich die Kernel-Entwickler als (soviel ich weiß) einziges Projekt gegen die GPLv3 stemmen. Schließlich sind sie überhaupt nicht betroffen: Einerseits hat Linus Torvalds den Kernel unter eine modifizierte GPLv2 gestellt, die jede Änderung der Lizenz auch auf eine Version 3 ausdrücklich ausschließt. Außerdem liegen, und das ist bei Projekten dieser Größenordnung ungewöhnlich, alle Rechte beim jeweiligen Autor der Programmzeilen. Mit anderen Worten: Wer auch immer jemals ein Stückchen Code zum Kernel beigetragen hat, das heute noch Verwendung findet, müßte der Neulizenzierung unter GPLv3 zustimmen. Allein das Aufspüren dieser Programmierer ist ein Ding der Unmöglichkeit, der Kernel wird wohl also unabhängig von allen Diskussionen immer GPLv2-lizensiert bleiben. (Das ist übrigens eine bisher kaum beachtete Schwachstelle: Gerichte in aller Welt beginnen gerade erst, sich mit der GPL auseinanderzusetzen. Sollte sich eine Judikatur entwickeln, die nicht im Sinne der Kernel-Entwickler ist, sind sie in Torvalds Korsett gefangen und müssen mit allen Konsequenzen leben.)
Bleibt die Frage, warum gerade die Kernel-Entwickler unter Torvalds Führung so energisch gegen die GPLv3 kämpfen, obwohl es sie eigentlich kalt lassen könnte. Eine durchaus plausible Antwort: Die Kernel-Entwicklung liegt heute zu einem großen Teil in der Hand eben jener Unternehmen, die die von der GPL garantierten (und von der GPLv3 verstärkt geschützten) Freiheiten eher als lästiges Anhängsel eines praktischen Geschäftsmodells empfinden. Es wäre nicht unvernünftig, in einer solchen Situation den ewigen Sunnyboy Linus Torvalds mit markanten Aussagen gegen die GPLv3 in die Öffentlichkeit zu schicken, um schon während des öffentlichen Diskussionsprozesses schlechte Stimmung zu verbreiten. Ich persönlich würde es Torvalds zutrauen; mir war der Knabe nie geheuer.
Wer sich für eine Verständliche Darstellung der Änderungen zwischen GPLv2 und GPLv3 interessiert, dem sei eine Rede von Richard M. Stallman vom 23.8.2006 ans Herz gelegt. Sie enthält nicht nur in sehr bildhafter Form die Begründung für die Änderungen, sondern hilft durch die mitprotokollierten Publikumsfragen und Stallmans Antworten auch, Details zu verstehen.