Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

Maemo 7? Nokias „Meltemi“

Das Timing ist von einer ausgesuchten Bösartigkeit: Am 27.9. kündigt Nokia den Beginn der Auslieferung seines ersten und einzigen MeeGo-kompatiblen Modells an. Nur wenige Stunden später läßt Intel ausrichten: MeeGo-Kompatibilität ist eh lieb, aber irrelevant; wir Spielen jetzt „Tizen“ mit Samsung. Worauf Nokia, ebenfalls nicht müde, irgendwelche „gut unterrichtete Kreise“ beim Wall Street Journal anrufen läßt, die erstens anonym bleiben wollen und zweitens folgende Geschichte zum Besten geben:

Das Projekt Meltemi, das Nokia bereits im April in einem Nebensatz erwähnt hat, ist angeblich ebenfalls ein auf GNU/Linux basierendes Beriebssystem für Handys. Es wird aber (im Gegensatz zu Maemo/MeeGo/…) nicht als Smartphone-OS positioniert, sondern soll die Nachfolge der S40-Featurephone-Plattform antreten. Daher ist das Programm auch unter Mary McDowell angesiedelt, die von früheren Nokia-Kollegen mit dem entzückenden Spitznamen Mary McMental geadelt wurde.

Ätsch also, liebe Ex-Lover bei Intel. Wir haben wieder unser eigenes GNU/Linux bei Nokia.

Wie nun? Schon wieder ein neues Betriebssystem? Was soll jetzt mit Meltemi klappen, was man nicht auch mit MeeGo fertig gebracht hätte? Kann das überhaupt realistisch sein oder sind die Boys and Girls vom Wall Street Journal einem Telefonscherz aufgesessen?

Noch glaube ich an einen stark an einen Telefonscherz oder eine Fehlinterpretation. Andererseits: Meltemi wurde tatsächlich im April 2011 in einem Register-Artikel erwähnt. Daß irgendwo bei Nokia ein Projekt dieses Namens existiert, halte ich für sicher. Im Artikel vom April gings um Personalabbau und darum, daß frühere MeeGo/Symbian-Entwickler auch Chancen im Meltemi-Team haben werden. In diesem Zusammenhang schien mir (und anderen) klar, daß Meltemi der interne Codename für die Windows Phone Entwicklung bei Nokia war. Man transferiert die Entwickler vom alten System ins neue; von Symbian/MeeGo zu Windows Phone, zu Meltemi. So hätte mans verstehen können. Dazu paßt aber nicht, daß Meltemi nun angeblich bei Mary McDowell hängt. Die hat mit Windows Phone nix am Hut.

Weitere Hinweise für oder gegen ein „GNU/Linux for the masses“ unter dem Codenamen Meltemi? Ganz stark für den Bericht des Wall Street Journal spricht: Nokia hat offiziell bestätigt, daß die Geräte für die „nächste Milliarde“ mit dem Entwicklerframework Qt ausgestattet sein sollen. Dabei hat man die Bezeichnung „S40“ auffällig nicht verwendet, obwohl S40 jetzt das Betriebssystem für diese Geräte ist. Zwar benötigt Qt keinesfalls einen Linux-Kernel, sondern läuft auch sehr fröhlich unter Windows, Symbian oder OSX, wäre also sicher auch irgendwie auf S40 zu portieren … Andersrum wird aber viel eher ein Schuh draus: Wenn man schon mal plant, auf einem GNU/Linux System aufzusetzen, ist das bewährte Qt jedenfalls das Toolkit der Wahl. Tatsächlich spricht die Ankündigung von „Qt für die nächste Milliarde“ dafür, daß die aktuellen Meltemi-Gerüchte nicht ganz substanzlos sind.

In etwa in die gleiche Kerbe schlagen jüngste Aussagen von Marko Ahtisaari, der nicht müde wird zu betonen: Das ganze Swipe-UI, wie es am N9 vorgestellt wurde, wird in Zukunft auch auf anderen Nokia-Handys zu finden sein. Nicht auf den High End Geräten mit Windows Phone, sondern im Feature-Phone Segment. Das war eine fixe und offizielle Ankündigung seinerseits. Natürlich gilt auch hier: Unter einem Betriebssystem muß kein Linux-Kernel stecken, damit eine Oberfläche wie Swipe nachgebaut werden kann. Aber es wäre doch voraussichtlich deutlich wirtschaftlicher, vorhandenes Know-How aus der N9-Entwicklung zu nutzen, anstatt ganz von vorn anzufangen. Auch das spricht für Meltemi als GNU/Linux-Projekt.

Vor allem aber fällt mir ein Artikel ein, den Quim Gil am 26. Juni geschrieben hat - zu einem Zeitpunkt also, zu dem irgendein Projekt Meltemi längst existierte. Quim Gil ist ja seit Maemo-Zeiten in den GNU/Linux-Büros von Nokia tätig. Die legendären Internet Tablets, das N900, das N9, all das hat er aus der Perspektive eines Nokia-Angestellten erlebt. Anläßlich der Präsentation des N9 und als Reaktion auf die Frustration der Konsumenten darüber, daß Nokia ein so vielversprechendes System wie MeeGo nicht weiter verfolgt, schrieb er:

One problem in this discussion is that a lot of focus is being put in the word “MeeGo”. […] Now, let’s have a look under the hood to see what parts of it really matter […]:

Linux Kernel: We are talking about the mainline Kernel. Needless to say this project will continue to live and evolve. Nokia may keep contributing to this project and using it for R&D and future products. […]

Qt: […] The project is in good shape with a promising future […]. Nokia just announced that Qt will have a central role in its ‘next billion’ strategy.

WebKit: Another key OSS project where Nokia is a veteran contributor. […] Both WebKit upstream and the team(s) working on it at Nokia have a bright and busy future.

swipe UX: Stephen Elop has said that it will live forward and evolve in future Nokia products.

[…]

[…] look back at the four essential pieces above and keep in mind that Nokia is investing in all of them. Even if working on them is really fun, you may guess that Nokia is not paying the teams for the fun of it. It is sensible to expect more to come in a form or another.

De facto sagt er also: Hängt Euch nicht auf MeeGo als Markennamen auf. Nokia arbeitet weiter an Webkit, Qt, dem Linux Kernel und dem Swipe User Interface - und es investiert in diese Technologien nicht aus Spaß, sondern um damit Produkte auf den Markt zu bringen. - Meint er damit so etwas wie Meltemi? Ein kleines bißchen erinnert man sich auch an Stephen Flops Aussage, daß die Entwicklungen und Erfahrungen aus dem MeeGo-Projekt für future disruptions weiter verwendet werden …

Warum aber Meltemi? Warum nicht wirklich mit MeeGo weiter machen? Vielleicht gibt uns die Tatsache, daß es über Meltemi bisher nur spärliche Gerüchte gibt, einen Hinweis: Es kann sein, daß das neue Nokia das offene Entwicklungsmodell nicht mehr verfolgen möchte, das MeeGo ausgezeichnet hat. Denkbar ist also, daß der Unterschied zu Maemo/MeeGo weniger ein technischer, sondern ein taktischer, firmenpolitischer ist; geheim, hinter verschlossenen Türen und nur im Haus entwickeln, so wie Google es nun mit Android macht. Denkbar, daß man deshalb aus der Intel-Partnerschaft ausgestiegen ist, weil man sich nicht mehr in die Karten sehen lassen wollte.

Selbst wenn Meltemi aber ein GNU/Linux-OS ist: Wirklich entscheidend für mich sind nicht Kernel und Low-Level-Technologien, sondern die grundsätzliche Offenheit des Systems, das Entwicklungsmodell, die Lizenzen. Ich traue Mr. Flop den Weitblick nicht zu, auf ein offenes System zu setzen. Meine Vermutung: Wenn überhaupt, dann kocht da ein zweites Android. Etwas, was die vorhandenen Ressourcen freier Software aufsaugt, ohne je etwas zurück zu geben. Der einzig positive Aspekt dabei: GNU/Linux lebt innerhalb von Nokia weiter. Es gilt ja, einen „Plan B“ zu entwickeln für die Zeit nach Stephen Flop, für den (natürlich höchst unwahrscheinlich *LOL*) Fall, daß weiterhin kein Konsument ein Windows Phone will. Bisher hatte das eifrig weiterentwickelte Symbian beste Chancen, als Phoenix aus der Asche zu steigen. Mit Meltemi hätten die Finnen ein zweites Eisen im Feuer, aus dem sich wahrscheinlich schnell wieder ein „Maemo 7“ schmieden ließe.

 
schlosser meinte am :
Hmmmm...
...die Finnen sind halt immer für eine Überraschung gut.
Ich hab auch erst gestern einen Artikel über 'Meltemi' gelesen (dir auch gemailt...) und war positiv überrascht. Man darf halt nicht 'the next billion' vergessen, und da macht sich ein Betriebssystem für die S40er sicher nicht schlecht und ist auch notwendig. Bin sehr gespannt, was da noch kommen wird.

Aber jetzt mal freue ich mich aufs N9er. (Anfangs hieß es ja von Nokia-Österreich: 'Es geht sich noch gut fürs Weihnachtsgeschäft aus...' , jetzt wird es ein hübsches Präsent unter/neben dem Halloween-Kürbis! *gg*
*VORFREUDE HERRSCHT!*
:)) 
ossi1967 antwortete am :
Kein Wort!

Kein Wort hast Du mir von Meltemi gemehlt, junger Padawan! Du hast mir diese Tizen-Gschichten geschickt, aber nix Meltemi.

Übrigens heißt es jetzt im Gerüchtewald, Meltemi könnte mittelfristig Symbian ersetzen. In der ursprünglichen Konzeption wäre ja Symbian für die preisgünstigen Feature-Phones vorgesehen gewesen, MeeGo für die High-End-Smartphones. Flop hat beide Systeme gekippt und MeeGo durch Windows Phone ersetzt. Da ist jetzt durchaus die Überlegung möglich, daß Meltemi (was immer es ist) das neue Symbian wird - von der strategischen Ausrichtung her.

 
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