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Die Nokia N9-Version für Entwicklungsländer

Auto mit Pinne statt Lenkrad Interessant: Auf der Copenhagen Design Week hält Marko Ahtisaari einen hervorragenden Vortrag über die Motive und Ideen hinter dem Design des Nokia N9. Das gut 35minütige Video ist hier bei Vimeo zu sehen.

Ich fands ganz allgemein und überhaupt interessant - obwohl ich Worte wie „Design“ und „Experience“ nicht mehr hören kann und im Zusammenhang mit einem Telefon unpassend finde. (Und obwohl ich Marko Ahtisaari noch nicht verziehen habe, daß er aus dem Nachfolger des Alleskönners N900 ein Gerät gemacht hat, das in einigen Punkten auf das Niveau von iPhone und Android herabsinkt.) Es sind einfach allgemeine Betrachtungen über vorherrschende UI-Konzepte und über das Durchbrechen von einschränkenden Erwartungshaltungen, die den Vortrag interessant machen. (Ich kann es nicht oft genug hören, wenn er betont: „Die Medien vermitteln das Bild, als wäre am Smartphone-Sektor schon alles erfunden. Das stimmt nicht, wir stehen ganz am Anfang.“ Dann bringt er immer das Beispiel der Autos, die zu Beginn mit einer Pinne gesteuert wurden, bis sich irgendwann das „User Interface“ des Lenkrads durchsetzte. Wir sind, sagt Ahtisaari, bei Smartphones noch in der Zeit vor dem Lenkrad.)

Ganz besonders spannend sind aber die Punkte, die Ahtisaari so nebenbei und eigentlich unabhängig von der Designfrage ausgeplaudert hat: Es wird, sagt er, künftig bei Nokia zwei Designprinzipien geben. Natürlich einerseits das Windows Phone Konzept, dem er diplomatisch eine „schöne Grafik“ bescheinigt. Andererseits aber weiterhin (und offenbar völlig unabhängig von MeeGo und dem N9) die am N9 erstmals vorgestellte Swipe-Oberfläche. Die unausgesprochene Frage, wie die beiden nebeneinander Platz haben können, beantwortet er gleich mit dazu: Er sei, so sagt er, besonders interessiert daran, diese Konzepte auf die Telefone für die von Nokia gerne als Next Billion bezeichneten Konsumenten in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu bringen. Genau dort würde Swipe im Lauf der Jahre auch landen. Sagt er.

Das klingt zunächst unglaublich und auch unrealistisch. Swipe ist das N9-Feature, der Teil des Telefons, der einen Verkaufspreis von bis zu € 799,- rechtfertigen soll. Swipe also demnächst auf einem Modell um € 50,-, das in Indien und Pakistan über die Ladentische geht? Auch wenns jetzt in der Form unerwartet kommt, die erste Hälfte dieser Geschichte hat Nokia schon erzählt: Am 21.6.2011 gab Marco Argenti auf der Nokia Connection bekannt, daß das Entwicklerframework Qt in Zukunft auch auf die billigen Featurephones portiert werden soll (siehe dieser Blog-Eintrag). Qt, das ist der Teil des Betriebssystems, den Nokias Symbian-Smartphones und das GNU/Linux-basierende N9 gemeinsam haben. Qt, das ist das Werkzeug, mit dem die ganze Swipe-Oberfläche des N9 gestaltet wurde. Mit Qt auf billigen Massengeräten erscheint die Idee, auch Elemente von Swipe mit in dieses Preissegment zu bringen, plötzlich gar nicht mehr so weit her geholt. Ahtisaari erklärt aber auch, warum das teure N9 als erstes mit diesem Konzept ausgestattet werden mußte: Den Medien wäre ein billiges Swipe-Phone keine Zeile wert gewesen. As simple as that.

Für den N9-begeisterten Konsumenten heißt das: Das N9 war nicht das Letzte seiner Art. Es war vielleicht das letzte MeeGo-Phone von Nokia, aber das betrifft nur das Innere des Betriebssystems, das der durchschnittliche Benutzer ohnehin kaum wahrnimmt. Ein Kunde, der die Bedienung des N9 schätzen gelernt hat, wird später ähnliche Nachfolgeprodukte und irgendwann sogar zu deutlich günsigeren Preisen bekommen. Nicht schlecht. Und: Die Arbeit an neuen Mustern für die Bedienung von Smartphones geht weiter. Das N9 und Swipe sind ein Anfang. Die mit NFC gewonnene neue Freiheit des Aktivierens von Lautsprechern oder Kopfhörern durch einfaches Antippen ist ein weiterer Schritt. Marko Ahtisaari, zumindest das muß ich ihm lassen, hat offenbar noch einiges vor. Er macht nicht den Eindruck eines Menschen, der auf das N9 als sein Lebenswerk zurückblickt. ;)

 
schlosser meinte am :
Eine interessante Sichtweise.
Ich hab ja bis jetzt noch nicht wirklich gecheckt, dass 'Swipe':
1) über QT zustandekommt
2) auch auf die 'lowprice' Geräte von Nokia übertragbar ist. (aber warum eigentlich nicht...vielleicht weil ich da immer nur an die T9-Tastaturhandys gedacht hab. ;-)

Coole Sache. Ich bin ja schon wirklich gespannt wie ein Regenschirm, wie sich dieses geile neue Feature so in der Praxis schlägt. Selbstredend hätte ich ja lieber das N950, aber ich denke, hier bin ich nicht allein. *g*

'Swype' und 'Swipe' hängen aber nicht irgendwie zsamm, oder? Wisch hin, wisch her... :))

Wer ist dieser Marko Ahtisaari eigentlich? 
ossi1967 antwortete am :
Marko Ahtisaari

Er ist Senior Vice President of Design bei Nokia und ist organisatorisch direkt unter Mr. Flop angesiedelt. Wenn ichs richtig verstanden hab ist er fürs Design aller Produkte zuständig (bis hin zur Verpackung), hat sich aber persönlich in den letzten Monaten vorrangig ums N9 gekümmert. (Interessante Biographie.)

Bzgl. „Low-End“: Da wurde ja in letzter Zeit schon viel experimentiert. Das C3-02 mit Touchscreen, das C3 mit QWERTZ wie bei der E-Serie … Es müssen nicht alle Featurephones so aussehen wie ein Emporia. *gg*

Was definitiv gefehlt hat für Dinge wie Qt oder gar Swipe war die Hardware: Rechenleistung, Arbeitsspeicher, solche Dinge. Mittlerweile gibt es aber auch schon bei den S40-Geräten Ausnahmen mit 1GHz-Prozessor. Offenbar wird die Hardware langsam so billig, daß das machbar ist. Und dann … Trotzdem wird grad der Preisverfall in solchen Größenordnungen wohl nicht über Nacht und nicht ohne Kompromisse funktionieren, denk ich mal.

Swipe und Swype hängen nicht zusammen, nein. Umso mehr wundert mich die Namensgebung.

 
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