Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

Brexit: Wer will eigentlich raus?

Das Affentheater, das sich derzeit im Vereinigten Königreich (und in der Rest-EU) rund um den Brexit abspielt, ist an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten. Ich finds fantastisch, wie offensichtlich hier plötzlich die Interessenslagen werden.

Zur Ausgangslage: Wir haben ein Referendum, das bei einer Wahlbeteiligung von 72% einen Sieg der EU-Gegner mit 52% brachte. Das sind 37% der Wahlberechtigten. Für den EU-Austritt waren vor allem die Alten (*räusper* also die Altersgruppe 50+), die Ungebildeten und die Einkommensschwachen. Wichtig: Das Referendum ist in keiner Weise rechtlich bindend, weder für das Parlament noch für die Regierung. Es entfaltet keine Wirkung. Allerdings hat Premier David Cameron ausdrücklich versprochen, das Ergebnis der Abstimmung zu achten und sofort umzusetzen. Es war ein klares Bild in den Köpfen aller Briten: Stimmen sie für den Brexit, bringt Cameron den Brief nach Brüssel noch am nächsten Morgen zur Post. Insofern ist das Brexit-Votum zwar nicht rechtlich, aber politisch bindend. Könnte man glauben, denn:

Gleich am Tag nach der Abstimmung meldete sich Titanic-Kapitän Cameron zu Wort und kündigte an, dieses zu brechen. Er selbst, so erklärte er, werde das Ergebnis des Referendums nicht wie versprochen umsetzen. Das soll seinem Nachfolger überlassen bleiben, womit er beim Thema war: Er tritt zurück. Das aber auch nicht gleich, sondern irgendwann. Den Oktober visiert er mal an, aber wer weiß das schon so genau.

Wer Camerons Nachfolger als Premierminister wird, ist offen. Sehr gute Chancen rechnet sich Boris Johnson aus. Der parteiinterne Machtkampf zwischen den zwei früheren Weggefährten hat die Brexit-Kampagne überhaupt erst befeuert. Der frühere EU-Befürworter Johnson ist aus taktischen Gründen in das Lager der EU-Gegener gewechselt, um Cameron aus der Downing Street zu vertreiben. Das zumindest ist ihm jetzt gelungen. Was den von ihm selbst beworbenen EU-Austritt betrifft, gibt sich Johnson aber plötzlich reichlich zugeknöpft. Es bestehe kein Grund, am status quo etwas zu ändern, sagte er am Tag nach dem Referendum. Das Austrittsschreiben nach Artikel 50 der Lissabon-Verträge sollte man jedenfalls noch nicht abschicken. Ähnlich äußerten sich mittlerweile eine Reihe von Brexit-Befürwortern, die als Cameron-Nachfolger im Gespräch sind. Faktum ist: Irgendjemand muß den Brief abschicken. Wenns Cameron nicht tut und seine möglichen Nachfolger sich damit die Finger auch nicht schmutzig machen wollen - was passiert dann?

Zum Schreien komisch: Die prominentesten Vertreter des Brexit-Lagers verarschen ihre Anhänger mit einem breiten Grinser im Gesicht. Nigel Farage zum Beispiel hat in einem TV-Interview erklärt: Ja, natürlich hat man zwar im Brexit-Lager damit geworben, daß im Falle eines EU-Austritts 350 Millionen Pfund wöchentlich an zusätzlichem Budget für das staatliche Gesundheitssystem NHS frei würden. Allerdings ist das leider falsch. Schön, wenn es die Menschen trotzdem gegen die EU eingenommen hat. Nächstes Beispiel: Der Parlamentsabgeordnete und Brexit-Befürworter Daniel Hannan. Er gibt nach geschlagener Schlacht zu: Das Thema mit der Einwanderung aus der EU war wohl für viele Menschen wichtig, wenn nicht sogar entscheidend. Allerdings werden alle enttäuscht sein, die hier einen Zusammenhang mit einem Austritt aus der EU sehen. Auch nach dem Brexit, sagt Hannan nun offen, wird die Immigration weitergehen.

Vor diesem Hintergrund fühlen sich die Wähler verschaukelt. Nicht nur hat Cameron den versprochenen Austritt aus der EU nicht auf Schiene gebracht, schlimmer noch: Die Brexit-Befürworter selbst haben ihre Argumente als Lügen enttarnt, die meisten von ihnen wollen nun selbst den „roten Knopf“ nicht betätigen. Innerhalb weniger Tage hat eine Petition zur Wiederholung des Referendums 3 Millionen Unterschriften gesammelt. (Ab 100.000 Unterschriften muß eine solche Petition im Parlament behandelt werden.)

Zusammengefaßt: Der Brexit findet in den Schlagzeilen statt. Tatsächlich tut sich auf absehbare Zeit gar nichts. Zumindest nicht im Inselreich.

Anders in Brüssel und an den anderen Schaltstellen der EU:

Dort ist ein wahrer Wettkampf darüber ausgebrochen, wer die lästigen Briten am schnellsten und am unhöflichsten zum Austritt drängen kann. Kein Wort wird darüber verloren, daß man doch vielleicht noch … und eventuell nochmal … und das Referendum war doch nicht bindend … Nein: Am besten noch gestern möchten die EU-Institutionen das Schreiben haben, mit dem der ohnehin langwierige Austrittsprozess in Gang gesetzt wird. Denen kann es gar nicht schnell genug gehen.

Das alles vermittelt nicht das Eindruck, als ob es das Vereinigte Königreich ist, das eine ungeliebte EU verlassen möchte. Ganz im Gegenteil: Auf den Inseln wird gezögert und gezaudert. Ein Austrittsschreiben, das spätestens seit Freitag in Brüssel liegen sollte, wird sicher nicht vor Oktober überhaupt erst formuliert - falls man es denn schreibt. Stattdessen zeichnen die Ereignisse das klare Bild einer EU, die sich endlich von London trennen, quasi aus dem Vereinigten Königreich austreten möchte. Rausschmeißen kann man die Briten nicht, das ist in den Verträgen nicht vorgesehen. Daher klammert man sich jetzt umso verzweifelter an die Hoffnung, daß der verbliebene öffentliche Druck unmittelbar nach der Abstimmung den Prozess nach Artikel 50 doch noch erzwingen kann. In vier Monaten, wenn Cameron weg ist und die Erinnerung an die Brexit-Kampagne verblaßt, kann es zu spät sein. Da erinnert sich nicht mal mehr die Daily Mail, daß es ein Referendum gegeben hat.

 
Hans-Georg (Gast) meinte am :
Es geht um die Macht
Die Briten sind jetzt am Zuge und müssten die Scheidung einreichen, allein schon deshalb, damit alle wissen, woran sie sind. Die Briten spielen da im Moment eine Machtposition aus. Vielleicht hoffen sie, auf weitere Zugeständnisse um sie zu halten? Das sollte man ihnen verwehren, dann wird die Macht hoffentlich mit der EU sein. 
ossi1967 antwortete am :
Ratlosigkeit und Verhandlungstaktik

Bei den meisten ist es tatsächlich eher Ratlosigkeit, denk ich. Die ganze Brexit-Kampagne war ja ein rein innenpolitisch motivierter Machtkampf, mit dem Cameron die wenigen EU-Gegner innerhalb seiner Partei ruhig stellen wollte. Selbst die Wähler, die für den Austritt gestimmt haben, geben jetzt im Nachhinein zu: Sie wollten ja „nur“ der Regierung eins auswischen. Daß sie jetzt tatsächlich aus der EU raus müssen, hätten sie nie für möglich gehalten und haben sie auch nicht gewollt. (Sollte man solche Leute nicht für immer von allen Wahlen fernhalten?)

Jetzt sitzt die ganze Pro-Brexit-Mafia in London auf dem Pulverfaß, das sie selbst hereingerollt haben … und verständlicherweise traut sich niemand, die Zündschnur anzuzünden.

Zu einem kleinen Teil wirds schon auch Taktik bzw. Machtpoker sein. Allerdings sehe ich nur eine einzige Situation, aus der die Briten Kapital schlagen könnten:

Grundsätzlich ist es ja so, daß ab der offiziellen Bekanntgabe des Austritts durch den Premierminister eine Frist von zwei Jahren zu laufen beginnt. Innerhalb dieser zwei Jahre müssen alle mit dem Austritt verbundenen Fragen geklärt werden: Bleibt das Vereinigte Königreich im gemeinsamen Markt? Behalten die Londoner Banken mit ihren Produkten Zugang zum europäischen Festland? Dürfen Briten weiterhin in der EU arbeiten? Kann man vielleicht sogar ähnliche Verträge mit der EU abschließen wie die Schweiz? Wenn das nicht in zwei Jahren unter Dach und Fach ist, ist das Land einfach draußen - so als ob es nie Mitglied gewesen wäre. Keine Sonderregelungen, keine Vereinbarungen, kein gemeinsamer Markt. Was immer die Briten dann noch wollen: Sie müssen an die Tür klopfen wie ein Fremder und ganz von vorne anfangen.

Diese Frist ist, vorsichtig formuliert, sehr sportlich. Um eine Vorstellung zu bekommen: Wie Grönland in den 1980ern aus der damaligen EG ausgetreten ist, haben die Verhandlungen zwei Jahre gedauert. Dabei war die Integrationsgrad der EG im Vergleich zur EU geringer. Außerdem hat Grönland nur 55.000 Einwohner und de facto nur einen Industriezweig: Fisch. Daß alles so schnell gehen muß, weil die Briten sonst automatisch alles verlieren, spielt der EU in die Hände. Sie kann die Verhandlungen diktieren und sagen: Entweder ihr stimmt zu - oder ihr habt am Ende gar nichts mehr.

Ein Gedankenspiel einiger englischer Politiker ist nun, inoffizielle Austrittsverhandlungen schon vor Bekanntgabe des Austritts zu beginnen und einen EU-Austritt nach Artikel 50 erst dann einzureichen, wenn diese Verhandlungen zu einem für das Vereinigte Königreich befriedigenden Abschluß kommen. Damit wäre der Zeitdruck völlig weg. Ich frag mich nur, wer auf EU-Seite darauf eingehen sollte … und warum.

 
Hans-Georg (Gast) antwortete am :
Artikel 50
Das Ding kann eh nur vom Parlament beschlossen werden. Und wenn die, die da sitzen, meinen, beschließen sie gar nichts und die Briten bleiben drin. 
Deep_Blue meinte am :
Spannend
Das Thema ist wirklich spannend.

Die Briten lassen allen Ernstes das Volk über so ein wichtiges Thema wie EU-Mitgliedschaft abstimmen und diese Abstimmung ist dann rechtlich nicht verbindlich. :-)

Dieser politische Schachzug der Eliten ist wieder einmal mehr als genial.

Das Abstimmungsverhalten zwischen Jung und Alt ist leicht erklärt, wobei ich mich frage, woher wollen die das wissen, die sind ja schon bei der Vorhersage des Ergebnisses falsch gelegen.
Also falls es so sein sollte, die Junge bekommen ab dem Kindergarten die Multikulti - Pro EU Gehirnwäsche.
Da die Gehirnlappen erst mit 26 vollkommen ausgebildet sind und dann erst das eigenständige Denken beginnt, kein Wunder.

Die "Alten", also meine Generation, weiß halt, wie leiwand es ohne die Diktatur der EU war, deshalb dieses Abstimmungsverhalten.

Mein Tipp, es wird so wie in Irland so lange abgestimmt werden, bis der Brexit kein Thema mehr ist und sich alle wieder lieb haben.

Der Faschismus der EU kann nicht durch Abstimmungen des Mobs aufgehalten werden.
Dafür steht für die Eliten zu viel am Spiel.

England täuscht den Bürger mit einer nicht verbindlichen Abstimmung.
In Österreich wird eine Abstimmung über einen EU Verbleib nicht einmal in Erwägung gezogen.

England spielt Schmierentheater, Österreich setzt die Bilderberger-Richtlinien beinhart durch.

Bürger, es ist egal, du bist in beiden Fällen der Beschissene. 
ossi1967 antwortete am :
"Eliten" ist jetzt neu, oder?

Was sind denn die Eliten aus der Sicht der Rechtspopulisten? Sind das die, die lesen und rechnen können? Oder die, die sich ohne Sozialleistungen selbst versorgen können? Oder nur jene, die einen über die Pflichtschule hinausgehenden Abschluß haben?

Wenn Du behauptest, daß England (wieso nur England?) die Bürger mit einer nicht verbindlichen Volksabstimmung getäuscht hat, dann können wir zumindest feststellen: Du bist ganz sicher nicht Teil der Bildungselite. Ein Brite weiß ja, wie Referenden in seinem Land funktionieren. Getäuscht wurden die Leute nur von den Brexit-Befürwortern (Einwanderungsstop, NHS-Budget).

Das Abstimmungsverhalten entlang diverser sozialer Gruppen wurde nicht nur durch Umfragen erforscht, sondern auch durch die Untersuchung der Wahlbezirke validiert. Wahlbezirke mit hohem Durchschnittsalter stimmten eher pro Brexit, solche mit niedrigem Durchschnittsalter dagegen. Wahlbezirke mit niedriger Bildung stimmten pro Brexit, solche mit hoher Bildung dagegen. So einfach kann man diese Dinge untersuchen. Danke, ich bring Dir gern was bei.

Was genau vermißt Du eigentlich aus der Zeit vor der EU? Was war denn so leiwand? Die hohen Telefonrechnungen? Die eingeschränkte Auswahl an Unterhaltungselektronik? Die fehlende Rechtssicherheit bei Bestellungen aus dem Ausland? Die Zölle? Die 500.000 weniger Beschäftigten? Die um zwei Drittel geringeren Exportwerte? Die Grenzkontrollen? Die hohe Inflation? …?

Apropos Inflation, hier ein Stück Bildung für Alkoholkranke: Dein geliebtes Krügel Bier ist in den 17 Jahren vor dem EU-Beitritt (für diesen Zeitraum habe ich Daten gefunden) im Schnitt um knappe 9 Cent pro Jahr teurer geworden. Seit dem EU-Beitritt wird es nur mehr um 6 Cent pro Jahr teurer. Besonders auffällig ist der Rückgang seit der Euro-Einführung: Da beträgt die Krügel-Inflation nur mehr 5 Cent pro Jahr, hat sich gegenüber der Schilling-Zeit fast halbiert. Wer gleich kistenweise säuft, dem geht es noch besser: Eine Kiste Stiegl Goldbräu hat vor dem EU-Beitritt ca. € 12,80 gekostet. Heute kostet sie € 13,80. Das entspricht einer Bier-Inflationsrate von nur 0,4% bei einer deutlich höheren Steigerung der Löhne seither.

Schon ein Wahnsinn, womit die bösen, faschistischen Bilderberger in Brüssel ihre Wähler unterdrücken. Selbst durch die weltweite Finanzkrise ab 2008 sind wir ohne spübare Auswirkungen gesegelt, während europäische Länder außerhalb der EU eine Inflationsrate von 15% und einen Einbruch der Währung von 30% hinnehmen mußten.

 
Deep_Blue antwortete am :
Eliten
Du weißt nicht, wer die Eliten dieser Welt sind ?
Armes Hascherl.

Na komm ich helfe dir auf die Sprünge:

Rockefeller
Goldmann Sachs
Warren Buffet
Carlos Slim Helu
Zuckerberg
etc. etc.

Weltweit wird über die Bilderberger agiert, im europäischen Raum wurde die EU geschaffen um mit CETA, TTIP, etc. die Menschen noch mehr auszubeuten.

Ich weiß, alles nur krude Verschwörungstheorien aber schon komisch:
Mario Draghi ehemals Goldmann Sachs
Mario Monti ehemals
Mark Carny ehemals
Heutiger Vorsitzender Peter Sutherland ehemals EU-Kommisar
Alexander Dibelius Goldmann Deutschland ist Berater von Merkl
und und und

Natürlich alles nur Zufälle :-)

So, jetzt kommen wir zum Bier.
Mit 4,80 pro Krügel habe ich natürlich die Gastronomie gemeint, dazu folgendes:

Sind beispielsweise die Bierpreise im Handel in den letzten 20 Jahren um knapp 40 Prozent gestiegen, wurden diese in der Gastronomie im Schnitt um 58 Prozent angehoben.
Bis 2005 wurden Bier und alkoholfreie Getränke mit etwa plus 19 Prozent moderat teurer. Seit 2005 haben die Gasthäuser mit rund 32 Prozent ordentlich draufgeschlagen.
Bericht AK 2015: http://www.salzburg24.at/ak-warenkorb-analyse-lebensmittelpreise-extrem-gestiegen/4342940

Und jetzt zu dem Bla Bla mit den Löhnen etc.:

Auf die Kaufkraft eines Arbeiters wirkte sich der EU-Beitritt tendenziell eher negativ aus, geht aus Berechnungen des Wifo hervor. Die Löhne stiegen offensichtlich nicht so schnell wie die Preise. So musste ein Industriearbeiter im Herbst 2014 für typische Haushaltsprodukte im Schnitt durchwegs länger arbeiten als noch im Jahr 2000.

News Bericht aus 2014: http://www.news.at/a/20-jahre-eu-geringere-inflation

Man kann sich alles schön reden, schon klar :-) 
ossi1967 antwortete am :
Ach Deep, Du bist so lustig.

Da zitierst Du wutschnaubend einen Artikel über die entsetzliche Preissteigerung von 58% in den letzten 20 Jahren … und vergißt zwei Kleinigkeiten:

Erstens ist der zentrale Satz des Artikels einer, den Du bequemerweise überlesen hast: Vom EU-Beitritt als Preistreiber oder dem Teuro zu sprechen, stimmt so nicht. Zwischen 1995 und 2005 sind die Lebensmittelpreise im Schnitt sogar leicht gesunken. Erst ab 2005 dreht sich die Preisspirale deutlich über der Teuerung stark nach oben.

Zweitens hast Du vergessen dazuzuschreiben, warum Du diese Prozentwerte aus dem Artikel überhaupt kopierst. Was wolltest Du damit erreichen? Wolltest Du mich damit widerlegen? Du hast nur 1:1 das wiederholt, was ich vorin geschrieben habe - nur merkst Du's selber nicht. Die 58% Preissteigerung während der letzten 20 Jahre ergeben exakt die 6 Cent pro Krügerl, die ich oben angeführt habe. Und damit wir auch das Prozent-Bild für unsere Freunde außerhalb der Bildungselite verständlich machen: Der wesentliche Punkt sind nicht die 58% nach dem EU-Beitritt, sondern der Vergleich mit der Zeit davor, die für Dich ja der Garten Eden ist. Du willst ja wieder zurück, damals war ja alles besser. Also, ich hab zwar nur Daten für 17 Jahre, nicht für 20, aber allein in den 17 Jahren vor dem EU-Beitritt ist der Preis fürs Krügel im Wirtshaus um 201% gestiegen. (Und ja, natürlich hab ich immer vom Gasthaus gesprochen, wenn ich Krügelpreise angegeben hab.)

Ich halts für vertrottelt genug, den Preis für 0,5 Liter Bier als Argument für oder gegen eine politische Integration Europas zu verwenden. Als nächstes reden wir über die Libido von Goldfischen. Nur: Wenn Du Dich schon auf ein so niedriges Niveau begibst, dann ist es doch ziemlich peinlich für Dich, wenn Deine Argumentation sich ins Gegenteil verkehrt. Du willst raus aus der EU, weil der Bierpreis Deiner Meinung nach so stark gestiegen ist … Dabei ist der Bierpreis viel, viel stärker gestiegen, wie wir noch nicht in der EU waren. Du weißt es nur nicht mehr und plapperst den Schwachsinn nach, der auf rechtsnationalen Facebook-Seiten geteilt wird. Was also willst Du jetzt? Wenn Du einen niedrigen Bierpreis willst, mußt Du für die EU eintreten.

Genauso hanebüchen ist der aus dem News-Artikel herausgepickte Kaufkraft-Vergleich. Der betrachtet die Entwicklung nur bei den Industriearbeitern (ca. 10% der Bevölkerung) und nur zwischen 2000 und 2014. Was sagt uns das über die EU-Mitgliedschaft, die 1995 begonnen hat? Wie vergleichen wir das mit der Zeit vor der EU-Mitgliedschaft? Wie ging es in dieser Zeit den anderen 90% der Österreicher? Wäre es nicht naheliegender zu sagen: In den Zeitraum 2000-2014 fallen sowohl die Schüssel-Regierungen mit der FPÖ (2000-2007) als auch die schwerste Weltwirtschaftskrise seit 1929 (2007-heute). In den 1930er Jahren hat diese Wirtschaftkrise zu Arbeitslosenquoten zwischen 20% und 30% geführt und schließlich zu Faschismus und Krieg. Heute, durch die Zusammenarbeit in der EU, konnten wir die Auswirkungen bereits 10 Jahre lang abfedern. Nein, es geht uns nicht so gut wie noch 2005, aber viel besser als den Menschen damals 1930. Im Vergleich zu 1930 haben die Leute noch nicht einmal kapiert, daß es überhaupt eine Weltwirtschaftskrise gibt. Stattdessen schimpfen sie stumpfsinnig auf die EU, die sie vor dieser Krise schützt. (Den Faschismus und Nationalismus der 1930er haben wir trotzem. Wenn der trotz aller Bemühungen gewinnt, ist der Krieg auch nicht mehr weit.)

Und was Goldmann Sachs und Zuckerberg betrifft: Wenn das unkontrollierte Großkapital ernsthaft Deine Sorge wäre, dann müßtest Du links wählen. Stattdessen unterstützt Du eine Partei, die sich im Gegenteil für die Vermehrung genau dieses Großkapitals einsetzt (Ablehnung von Vermögenssteuern, dubiose Ideen von Flat-Tax, kriminelle Privatisierungen, Senkung der Alterspensionen, Kürzung der Sozialleistungen für den kleinen Mann, …). Obwohl ich der Kritik am Großkapital vollinhaltlich zustimme, sind es bei Dir doch nur leere Floskeln. Politisch stehst Du auf der Seite von Goldmann Sachs - und sei es nur dadurch, daß Du Dich für deren Interessen instrumentalisieren läßt.

 
Davide (Gast) antwortete am :
Sensationelle Antwort
..und großartiger Artikel!

Ich meine nur eines: natürlich war das Leben früher für den Kollegen "leiwander".
Er war jung, er war Polizist, die Bierchen klammerten sich nicht direkt an seine Hüften, sondern vielleicht auch anderes....

Jetzt ist das alles nicht mehr so.
Da muss irgendeine Verschwörung dahinterstecken. 
ossi1967 antwortete am :
@Davide: Öxit Now!

So gesehen kämpf ich jetzt mit dem feurigen und charismatischen Robert Marschall für den „Öxit“. Ich will meine Bikinifigur (75kg) von vor 1995 wieder zurück! Sofort! *LOL*

 
Deep_Blue antwortete am :
Sorry Jungs
Ich gehe jetzt in die Sommerpause, keine Zeit für euer Geschwurbel.
Habe meinen Lesern deinen Blog empfohlen, falls sie sich in der Zwischenzeit ein wenig langweilen möchten.

Ok, ich halte nur kurz fest.
Durch den EU-Beitritt sind die Preise nicht gestiegen und die Reallöhne nicht gesunken.
Die Arbeitslosenzahlen sind nicht von 300.000 auf 500.000 angestiegen.
Durch die Öffnung der Grenzen ist die Kriminalität gesunken und nicht bedrohlich angestiegen.
Die EU hat die Flüchtlingsproblematik voll im Griff, niemand muss sich Sorgen machen.

Burschen, ihr solltet weniger kiffen.

Na dann, viel Spass mit CETA.
Da werdet ihr doch sicher voll dahinter stehen, als überzeugte Europäer. 
Davide (Gast) antwortete am :
...das wird das Problem sicher lösen!!!
...dann wird auch garantiert das Nutellaeis nur mehr 7 Groschen kosten und plötzlich kalorienfrei sein. Ach wie wird das schön... :D

Und der Marschall, dass muss jetzt schon mal gesagt werden, ist schon ein Sahneschnittchen... :)
So wie der Immanuel Nagel, den würd nicht mal ICH von der Bettkante stossen.... (stell dir den mal im getigerten G-String vor...) Ich muss aufhörn, ich werd schon ganz wuschig.... :D