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ESC 2016: Die Charts und der vierte Sieger

Frans beim Finale Der Eurovision Song Contest 2016 war vom Ergebnis her deutlich anders als seine Vorgänger. Manche sagen, er hatte drei Sieger: Australien als Jury-Liebling, Russland als Sieger des Publikums und schließlich die Ukraine als kleinster gemeinsamer Nenner.

Seit heute weiß ich: Es sind vier Sieger. Wie schon 2014 und 2015 habe ich mir die European iTunes Song Charts angesehen und die Platzierungen der ESC-Teilnehmer herausgesucht. Große Überraschung Nummer 1: Im Gegensatz zu den Jahren davor liegt keiner der ESC-Songs auf dem ersten Platz. Große Überraschung Nummer 2: Die beste Platzierung kann weder Australien noch Russland noch die Ukraine verbuchen. Es ist der Beitrag aus Schweden („If I Were Sorry“), den die Europäer am häufigsten downloaden. Damit ist Frans der vierte und eigentliche Sieger des ungewöhnlichen Song Contest 2016. (Telefonanrufe hin, Jurys her: Was am Schluß zählt, ist der kommerzielle Erfolg.)

Platz Land Interpret
Song
5 Schweden Frans
„If I Were Sorry“
7 Ukraine Jamala
„1944“
8 Australien Dami Im
„Sound Of Silence“
13 Russland Sergei Lasarew
„You Are The Only One“
18 Frankreich Amir
„J'ai cherché“
29 Spanien Barei
„Say Yay!“
31 Polen Michał Szpak
„Color Of Your Life“
32 Österreich Zoë
„Loin d'ici“
33 Belgien Laura Tesoro
„What's The Pressure“
34 Bulgarien Poli Genova
„If Love Was A Crime“
44 Italien Francesca Michielin
„No Degree Of Separation“
48 Niederlande Douwe Bob
„Slow Down“
55 Zypern Minus One
„Alter Ego“
67 Vereinigtes Königreich Joe and Jake
„You're Not Alone“
75 Ungarn Freddie
„Pioneer“
84 Litauen Donny Montell
„I've Been Waiting for This Night“
95 Deutschland Jamie-Lee
„Ghost“
110 Israel Hovi Star
„Made Of Stars“
191 Armenien Iveta Mukuchyan
„LoveWave“
212 Tschechien Gabriela Gunčíková
„I Stand“

(Auffällig die schlechten Verkaufszahlen für den armenischen Beitrag, der doch im Televoting so weit vorne lag.)

Überraschend gut schlägt sich Jamalas „1944“, von dem ich geglaubt habe, daß es überhaupt niemand kauft. Auch hier das gleiche Bild wie im Televoting: Es sind die osteuropäischen Staaten, denen sie ihren Charterfolg verdankt. In Russland liegt sie auf Platz 2 der Download-Charts, in einigen westeuropäischen Staaten schafft sie es nicht einmal in die besten 50. (In England: Platz 63; in Italien: Platz 54; in Irland: Platz 45; …)

Einen sehr respektablen 32. Platz gibt's für Zoës „Loin d'ici“. Vor allem in Estland, Weißrussland und Schweden wird der Song gern gekauft, aber auch die Niederländer laden ihn auffallend oft herunter.

So wie Conchita den Song Contest 2015 für einen erneuten Charterfolg nutzen konnte, läßt „Heroes“ auch für Måns Zelmerlöw wieder die Kassen klingeln: Der Song ist 94 Wochen nach seinem Einstieg in die Download-Charts wieder auf Platz 39. Seine neue Single „Fire In The Rain“ steigt auf Platz 65 neu ein. Mal sehen, ob das noch bergauf geht.

Auch außerhalb Europas können die ESC-Teilnehmer Punkten. Die Reihenfolge ist in etwa die gleiche: Schweden liegt mit „If I Were Sorry“ auf Platz 15, Australien mit „Sound of Silence“ auf 17 und die Ukraine mit dem Siegerlied „1944“ immerhin auf Platz 20 der weltweit am häufigsten heruntergeladenen Songs. (Zoë aus Österreich hats im weltweiten Ranking auf Platz 52 geschafft.)

 
Hase II (Gast) meinte am :
Jaulmala
Also, hab mir jetzt dieses bescheuerte 1944 nochmals angehört … und kein Wunder, dass da bei der großen ESC Party in der Globe Arena plötzlich die Stimmung weg war ;-) Das Gejeiere ist ja wirklich kaum auszuhalten. Und ich frage mich auch, WER so ein Lied kauft? Zählen da auch die Gesamt-Compilations?

Das Siegerlied mag ja manche dazu hinreißen, das jetzt politisch auszuschlachten. Ich bin mir da nicht so sicher, ob die Leute, die für Jamala gestimmt haben, jetzt wirklich so politisch sind. Vielmehr beschleicht mich beim ESC mehr und mehr das Gefühl, dass es so etwas wie eine "Mitleid-Wertung" gibt. Bei Conchita war zwar auch das Lied ganz gut, aber so richtig Unterstützung bekam sie ja erst, als sie von anderen Teilnehmern gedissed wurde. Und da haben dann die ersten begonnen, sich sozusagen schützend vor Conchita zu stellen. Und als dann noch Politiker ihren Senf dazugaben, haben wir Leute einen richtigen Schutzwall um sie gebildet, was dann im Sieg endete. Wäre das im Falle von Jamala eine rein politische Angelegenheit (UKR gegen RUS), dann hätte der Nackedei nicht ebenfalls so viele Punkte bekommen, oder? Dann hätte ja RUS komplett abstinken müssen, wenn es insgesamt darum gegangen wäre, ein politisches Statement zu setzen. Die Tatsache, dass bei dem geilen Russen im Publikum dieses Jahr nicht gebuht wurde - wohingegen die letztjährige russ. Teilnehmerin ziemlich fies ausgebuht wurde - liegt wohl daran, dass das (überwiegend schwule) Publikum vorher schon die nackerten Bilder vom Sergey im Kopf und darob viel zu feuchte Händchen und Höschen zum Buhrufen hatte, sei nur am Rande erwähnt. Also war es aus meiner Sicht eine "Die Ukrainer sind alle so arm"-Nummer. Diese Masche hat ja auch schon beim Malm gezogen … wie du selbst schon geschrieben hast, tut er dir ja auch so wahnsinnig leid … :-))

Ich hätte mir Belgien als Sieger gewünscht, das war so ein nettes Mitwipp-Liedchen :-) 
ossi1967 antwortete am :
Ach, Belgien...

Fast hätt ich das kleine Hüpfmädl wieder vergessen. Die lag ja auch bei mir so im Februar/März noch weit vorne. Irgendwann nach dem zweiten oder dritten Mal anhören wollt ich dann aber nicht mehr. Es ist so eine seltsame Kombination: Ein Lied, das man einerseits sehr schnell satt hat - gleichzeitig aber eines, das so gar nicht im Ohr hängen bleiben will. Es macht Spaß, solang die Kleine auf der Bühne ihre Show abzieht, ist dann aber sofort wieder vergessen. (Oder kannst Du's jetzt pfeifen, ohne auf YouTube zu schummeln?)

Bzgl. „1944“ glaub ich immer noch, daß die nichtmusikalischen Erklärungsversuche zu kurz greifen. Armenien ist 2015 in Wien ja mit fast exakt dem gleichen Strickmuster angetreten: Ein mitleidheischender Song über den Genozid an den Armeniern, etwas sperrig (wenn auch nicht ganz so wie das heurige Siegerlied), ganz klar mit aktuellem Bezug in Hinblick auf die Türkei (der Text enthielt die Zeile Face every shadow you deny) … Und dann hats trotz der europaweit verstreuten und stimmfreudigen armenischen Diaspora gerade mal für Platz 16 gereicht.

Jamala hingegen hat tatsächlich seit der Veröffentlichung ihres Songs eine gewisse Fangruppe auf ihrer Seite gehabt. Marco Schreuder, der für dasfaschblatt.at aus Stockholm berichtet hat, ist ganz stolz darauf, daß er schon im Februar rein aus Bauchgefühl getwittert hat: Die hat Siegeschancen, toller Song. Ich glaub auch nicht, daß ausgerechnet das russische TV-Publikum (bzw. die russischen Musikkonsumenten) bzgl. einer ukrainischen Nummer so etwas wie eine Mitleids-Wertung abgeben.

Viel eher glaube ich, daß da ein Musikgeschmack angesprochen wurde, der (siehe Televoting) dem durchschnittlichen Westeuropäer fremd ist. Deswegen suchen wir jetzt Erklärungen für etwas, was wir nicht verstehen. Diese Erklärungen geben aber bei Licht betrachtet nicht wirklich ein stimmiges Bild.

Was die Frage nach der Zählweise der Download-Charts betrifft: Ich hab mich auch schon gefragt, inwieweit da die quasi „automatischen Downloads“ aus den Verkäufen des Gesamtalbums mitzählen. Die Seite gibt darüber keinen Aufschluß, aber: Das Album lag, wie ich das letzte Mal gschaut hab, irgendwo unter den Top 3. Bei den Einzelsongs gibts aber welche, die es nichtmal unter die besten 250 geschafft haben, die ausgewertet werden. Ich geh aufgrund des schlechten Ergebnisses dieser einzelnen Songs davon aus, daß das Album als solches nicht mitgezählt wird. Und selbst wenn: Zwischen einem Platz 251 (der bestmögliche denkbare Platz in den Charts für z.B. Kroatien oder Georgien) und einem Platz 7 (Ukraine) liegen ja doch Welten. Da müssen mehr als nur ein paar dutzend Leut zusätzlich zu den Albumverkäufen gezielt diesen einen Song gekauft haben.

Wir werdens nie verstehen. Dabei hatte sie nichtmal drums played bei gorgeous looking topless men! :)