Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

ESC 2016, das Finale: Love, Love, Peace, Peace

Love Love Peace Peace Daß da etwas ganz Großes auf uns zukommt, das hatten wir ja von der Generalprobe am Freitag schon mitbekommen. Am Samstag Abend wußten wir dann, was gemeint war: Nein, es war nicht der laut betrommelte Auftritt von Justin Timberlake. (Ganz im Gegenteil: Wär der in der Abstimmung mit drin gewesen, ich hätt ihm keinen Top-10-Platz zugewiesen.) Der Höhepunkt der Show war zweifellos „Love Love Peace Peace“, die von Måns Zelmerlöw und Petra Mede gesungene Anleitung für den perfekten ESC-Siegersong. (Unbedingt ansehen! Kurze Auftritte vergangener ESC-Größen sind da genauso mit drin wie ein uns Österreichern sehr bekanntes burning fake piano.) Genauso genial: Der anschließende Kurzauftritt von Lynda Woodruff. Wir haben Tränen gegackert. Un-glaub-lich.

Zu den Songs hab ich ja im Vorfeld bzw. während der Semifinalabende schon alles gesagt. Die kennt mittlerweile jeder. Die eigentliche Sensation war die Abstimmung, und zwar gleich im doppelten Sinn:

Erstens hat der neue Abstimmungsmodus wirklich gehalten, was die EBU versprochen hat. Erst mit der vorletzten Punktevergabe wurde klar, daß Australien den Song Contest nicht gewinnen wird. (Der Song von Down Under wurde von den Fachjurys nach oben gepusht, obwohl er absolut keine Ohrwurmqualitäten hat.) Und erst die Verlesung der letzten Punkte brachte Klarheit, daß nicht Russland, sondern die Ukraine als Sieger des Abends hervorgehen würde. Mein Herz hatte während der ganzen Abstimmung geschlagen wie die Trommeln aus „Love Love Peace Peace“ vor lauter Angst, daß tatsächlich die Australierin das Rennen machen könnte. Aufregend! Aufregend!

Zweitens haben wir eine Premiere erlebt: Zum ersten Mal, seit 2009 die 50:50-Aufteilung der Punktevergabe zwischen Publikum und Fachjury eingeführt wurde, haben wir einen Sieger, der weder beim Publikum noch bei den Jurys am ersten Platz lag. Zur Erinnerung: Es hat bisher erst ein einziges Jahr gegeben, bei dem der Gesamtsieger nicht in beiden Wertungen an der Spitze war. Das war 2015, als das Publikum Italien, die Jurys aber Schweden bevorzugten. Zumindest war der Gesamtsieger damals wenigstens in einer der beiden Wertungen vorne. Heuer hat der ESC zum ersten Mal einen Sieger, der keine der beiden Abstimmungen für sich entschieden hat - und deshalb, wie manche schon böse unken, gar kein richtiger Sieger ist.

Um den Ausgang zu verdeutlichen, hier wie üblich eine kleine Tabelle. Ich hab sie auf die ersten zehn Plätze beschränkt. :)

Rang Reihung Jury Reihung Televoting Gesamt
1AustralienRusslandUkraine
2UkraineUkraineAustralien
3FrankeichPolenRussland
4MaltaAustralienBulgarien
5RusslandBulgarienSchweden
6BelgienSchwedenFrankeich
7BulgarienArmenienArmenien
8IsraelÖsterreichPolen
9SchwedenFrankeichLitauen
10ArmenienLitauenBelgien

Ich gebs zu: Ich steh dem Sieger etwas ratlos gegenüber. Nicht deshalb, weil mir das Lied nicht gefällt. Ganz im Gegenteil. Ich mag es. Ich kann mir nur nicht vorstellen, daß es nun in allen europäischen Formatradios gespielt wird. Das paßt einfach nicht. Würden die Leute, deren Anrufe Jamala auf Platz 2 des Televotings gehoben haben, den Song auch kaufen? Schafft er es in die Charts? Und wenn nicht: Was war dann die Motivation für den Anruf?

Wie üblich ohne auch nur für einen Moment zu recherchieren stellen obergscheite Journalisten die These in den Raum, der gegen Russland gerichtete Text des Liedes habe die Menschen vor allem in Westeuropa dazu bewegt, für „1944“ zu stimmen.

Gegen diese These hilft eine kleine Prise Realität. Hier die grafische Darstellung des Anrufverhaltens. Je roter desto null, je dunkelblauer desto zwölf:

Die Länder also, aus denen Jamala wenige oder gar keine Punkte bekam, liegen in Westeuropa. Ihren größten Fankreis hat sie östlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs, sogar aus Russland gabs 10 Punkte. Bei den Jury-Stimmen verhält es sich ähnlich - mit dem Unterschied, daß die Putin-Jury im Gegensatz zum russischen TV-Publikum tatsächlich nur 0 Punkte an die Ukraine vergeben durfte.

Ich hab keine wirkliche Erklärung für die Popularität des sperrigen Songs bei einem Wettbewerb, den in den letzten Jahren eingängige Ohrwürmer wie „Heroes“, „Rise Like a Phoenix“, „Euphoria“, „Satellite“ oder „Fairytale“ gewonnen haben. Vielleicht werd ich ja auch einfach nur alt. :)

Wie auch immer: Australien hat nicht gewonnen (juhu!), Russland hat die Publikumswertung für sich entschieden (juhu!), das Siegerlied gefällt mir zumindest halbwegs (auch wenn es mich noch mehr erstaunt) und - am allerwichtigsten - es war ein unglaublich spannender, lustiger und unterhaltsamer Abend.

Note to self fürs nächste Mal: Wirklich weniger Brötchen kaufen. ;)