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Marc Dillon und die Migrationsdebatte

Marc Dillon spricht im TV über die Migrationskrise Schon seltsam, wie die Dinge zusammenfinden im Leben. Marc Dillon hatte seine Auftritte in meinem Blog bisher immer nur dann, wenns um Jolla und das Sailfish OS ging. In der Rubrik „Politik und Gesellschaft“, die aktuell durch die Migrationsdebatte bestimmt wird, kam sein Name bisher nicht vor.

Jetzt verbindet er mit einem TV-Interview diese beiden großen Themenblöcke meines Blogs:

Gerade eben bin ich auf ein Gespräch aufmerksam gemacht worden, das er gestern in einer Talkshow des finnischen Senders YLE geführt hat. (Komplett auf Englisch übrigens, was ein bißchen was über das finnische Bildungssystem aussagt. Könnte sich jemand vorstellen, daß der ORF eine Folge von „Im Zentrum“ komplett auf Englisch sendet, weil einer der Gäste nicht so gern Deutsch spricht im Fernsehen?) Es ging darin zwar um finnische Innenpolitik, aber das Thema ist 1:1 auf Österreich umlegbar: „Die Gastfreundlichkeit Finnlands hat sich geändert“, hieß der Sendungstitel grob übersetzt. Marc erzählt aus seiner Perspektive als Ausländer, der in Finnland mit Menschen aus aller Welt zusammengearbeitet hat; als Ausländer, der ein Unternehmen mit 120 Arbeitsplätzen aufgebaut hat; als Ausländer, der jetzt wieder für eine andere Firma in Finnland einen Produktionsbetrieb schaffen möchte und daran scheitert, weil die Arbeitskräfte fehlen.

Er erzählt, wie er in den letzten Monaten zunehmend mit Feindseligkeit und Ablehnung konfrontiert wird, wenn er in der Straßenbahn englisch redet - was früher niemanden gestört hat. Dabei, das ist ihm bewußt, hat er ja helle Haut und blonde Haare. Wie geht es denen, die mit dunkler Hautfarbe in der Straßenbahn sitzen? Er spricht (und damit ist er genau in meinem Thema drin) den am Reißbrett konstruierten Haß an, den Politiker derzeit schaffen, um ihn dann in billige Wählerstimmer umzumünzen. Den Haß der Mehrheit (eh klar, mit einer Minderheit lassen sich keine Wahlen gewinnen) auf irgendeine x-beliebige Minderheit, die sich irgendwie abgrenzen läßt: durch ihre Religion, ihre sexuelle Orientierung, ihre Herkunft, ganz egal. Er macht sich Sorgen über die künstlich herbeigeführte gesellschaftliche Spaltung, über Menschen, die ihre Meinung nie hinterfragen, die nur lesen, was sie lesen wollen.

Er erzählt fast schwärmerisch davon, daß „die anderen“ - Ausländer wie er selbst - ja immer schon da waren, bei Nokia einen der großartigsten Technologiekonzerne der Welt am Laufen gehalten haben, daß fast jeder Pizzabäcker am Eck irgendwann als Einwanderer ins Land gekommen ist, um ein besseres Leben zu finden … und daß dieser Pizzabäcker, wie alle anderen, Teil des besseren Lebens für Finnland insgesamt geworden ist, weil er Arbeitsplätze schafft, Waren finnischen Firmen bezieht, Steuern und Abgaben zahlt. Weil er da ist in einem Land, das aufgrund der rückläufigen Bevölkerungszahl ohne Immigration kein Wirtschaftswachstum mehr stemmen könnte.

Es zahlt sich aus, dieses 20minütige Gespräch zu sehen. Marc hat seine Leidenschaft behalten, er spricht mit einer Überzeugung, die berührt … eben weil er nicht nur Beobachter, sondern Betroffener ist. Ich hab gar nicht mitbekommen, daß er offenbar in Finnland einfach öffentlich den Mund aufmacht zu diesen Themen. Die Tante vom Fernsehen hat sowas erwähnt und ihn auch auf das T-Shirt angesprochen, das er trägt. (War da eine Regenbogenfahne drauf?)

Also, klickst Du hier, solange YLE es online zur Verfügung stellt:

Yle Debatt - Jakso 1: Marc Dillon: Det välkomnande Finland har förändrats.

 
Hans-Georg (Gast) meinte am :
trotzdem
Das Ding ist doch, dass die Menschen, die es angeht, solche Sendungen vermutlich leider nicht sehen werden. Das ist denen doch viel zu hoch, soviel Bildung haben die doch gar nicht, wenn sie denn überhaupt englisch können. Wie du schon schreibst: Die lesen - und hören - nur das, was sie lesen bzw. hören wollen. Und trotzdem muss man genau das machen, was Marc Dillon macht, was du machst, was ich mache - und andere Blogger auch: Den Mund aufmachen bzw. zu schreiben, dass das alles so nicht richtig ist, was da um uns rum passiert, dass die Rechten so großen Zulauf bekommen haben.
Jeder sollte mit den Möglichkeiten, die er hat, immer wieder den Finger in die Wunde legen! 
ossi1967 antwortete am :
@Hans-Georg: Stimmt

Ein Wähler der finnischen PS tut sich sicher keine Sendung am Kanal der schwedischsprachigen Minderheit an, in der er einem Ausländer beim Englischreden zuhören muß. Da läuft doch sicher auf einem anderen Kanal ein Film mit Vin Diesel, der weniger dialoglastig ist.

Was mich so wütend und traurig macht an der Sache ist ja eben, daß es überhaupt nichts bringt, den Mund aufzumachen. Diese Menschen braten in ihrem eigenen Saft. Sie haben Zugang zu so vielen Daten, Fakten, Analysen und Meinungen wie noch nie in der Geschichte der Menschheit … und sie nutzen nur den schmalen Ausschnitt, der zu 100% ihr Weltbild unterstützt. Leider haben die Entwicklungen im Internet diesen Trend noch verstärkt: Es wird immer leichter, sich selbst nicht hinterfragen zu müssen. :(

 
Wolfgang (Gast) meinte am :
Das Wort zum Sonntag.
Hab mir heute das Interview angesehen und jede Minute davon genossen.
Scheiss mi an... warum gibt es bitteschön nicht solche Menschen als Politiker?
Es ist einfach sehr erfrischend, wenn jemand seine Meinung öffentlich kundtut, sie fundiert begründet und man sich dann denkt: 'Ja, warum eigentlich nicht?'
*Dieses* Erlebnis hatte ich bei politischen Diskussionen schon lang nicht mehr... :-(
Danke für die Info, Ossi. :-* 
ossi1967 antwortete am :
@Wolfgang:

Solche Menschen gibt es in der Politik. Die stehen nur immer in der zweiten, ja meist sogar in der dritten Reihe. Man muß schon sehr bewußt suchen, wenn man ihre Aussagen lesen will (zu hören gibt es sie kaum jemals), oder man stolpert wirklich aus purem Zufall drüber. (So wie ich über das Dillon-Interview.)

Was es nicht gibt ist eine mediale Bühne für solche Politiker. Schau Dir doch diese finnische Sendung an: Der Typ redet 20 Minuten lang praktisch ungestört vor sich hin. Die Studioatmosphäre ist ruhig, fast meditativ. Es gibt keine lauten Zuspielfilmchen, keine hochinteraktiven Fragen über Facebook. Vor allem aber: Die Gastgeberin ist genau das, eine vollendete Gastgeberin, keine lästige Oberlehrerin, die ihren Schüler unbedingt bloßstellen will. Sie hilft Dillon vorsichtig, in der Formulierung seiner Gedanken weiterzukommen, aber sie unterbricht ihn nicht, korrigiert ihn nicht, stellt sich nicht über ihn.

Ich wüßte nicht, welche Sendung ich in Österreich sehen müßte, um ein ähnliches Gespräch zu erleben. Wir haben so ein paar Archetypen der politischen Diskussion im Fernsehen:

  • Die Konfrontation: Da werden ein paar Leute eingeladen, die möglichst nicht einer Meinung sind. Die müssen einander dann zum Gaudium des Publikums möglichst laut und möglichst oft widersprechen. Die einzige Regel lautet: Geh nicht unter, stiehl den anderen Redezeit, um deinen Anhängern die vorbereiteten Botschaften zu verkünden. (Die kennen sie zwar alle, du bist aber nur ein Held, wenn du sie nochmal alle runterrasselst.) Solche Sendungen halt ich nicht mehr aus. Das ist schlimmer als Fußball.
  • Das ZiB2-Interview: Zwar sitzt da dann nur einer, der theoretisch ungestört erzählen könnte, was ihn bewegt … Allerdings wird der nicht von einem „Gastgeber“ eingeladen, sondern von einem investigativen Journalisten mit zu großem Selbstdarstellungsdrang. „Beantworten Sie meine Frage!“, „Ich führe das Interview!“, „Aber glauben Sie wirklich, daß …“. Das ist unterhaltsam, aber am nächsten Tag spricht ganz Österreich nur darüber, was Armin Wolf (oder einer seiner Kollegen) gesagt hat. Niemand hat irgendetwas über den Interviewpartner und seine Gedankenwelt erfahren.
  • Die endlos-Fragerunde: Pressestunde, Sommergespräche usw. Die Pressestunde leidet darunter, daß zu viele Themen durchgepeitscht werden und gleich zwei Journalisten in Summe mehr reden als der Politiker. Die Sommergespräche hätten am ehesten noch das Zeug zu einem echten Gespräch, sind in Wahrheit aber auch zu sehr Interview, zu sehr dauerndes „Unter Druck setzen“ des Gastes.

Mehr fällt mir da jetzt nicht ein. Kein einziges TV-Format hat die Qualität von „Faymann, das Thema ist Migration, du hast 20 Minuten Zeit, sag was.“ (Im konkreten Fall: gottseidank.) Weil das so ist, haben wir in der ersten Reihe auch nur Politiker stehen, die in diesem Sumpf blühen können. Den ständig inhaltsleer daherbrüllenden Strache, den phrasendreschenden Faymann, die dauerdozierende Glawischnig-Piesczek, den nur ganz leicht psychotischen Strolz, immer irgendwen anderen von der ÖVP, … Die brauchts. Jemand wie Dillon würd bei „Im Zentrum“ nie über die Einleitung hinaus kommen und wär bei der ZiB2 schon längst vom Wetterbericht verdrängt, bevor er noch die ersten Gedanken geordnet hätt. Wir wollen Menschen wie Dillon in der Politik, weil wir glauben, ihnen vertrauen zu können. Im Endeffekt aber wählen wir Menschen wie Faymann und Strache, weil sie die knackigere Show bieten und nicht so viel Zeit stehlen zwischen Krimi und Nachtprogramm. Deshalb bleiben die Politiker, die so erfrischend anders wären, immer nur Hinterbänkler.

 
Wolfgang (Gast) antwortete am :
Uhh.
"Im Endeffekt aber wählen wir Menschen wie Faymann und Strache, weil sie die knackigere Show bieten und nicht so viel Zeit stehlen zwischen Krimi und Nachtprogramm. Deshalb bleiben die Politiker, die so erfrischend anders wären, immer nur Hinterbänkler."

Die Aussage tut weh.
Trifft es aber (leider) gut auf den Punkt.

'Steter Tropfen höhlt den Stein', sagt so ein althergebrachtes Sprichwort.
Vielleicht hilft's ja.