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Köln: FPÖ 2015 für Straflosigkeit

Ein interessanter Aspekt der Silvesternacht in Köln ist, daß sie auch (und wieder einmal) den rechten Rand entlarvt. Wo andere politische Kräfte feste Grundsätze haben, gibt es bei FPÖ und Co. nur Populismus, plötzliche Richtungswechsel - und einen auffallenden Mangel an Erinnerungsvermögen der „besorgten Bürger“, der wahrscheinlich dem Wodka geschuldet ist. Ginge es nämlich nach dem, wofür die FPÖ noch vor gut einem halben Jahr öffentlich gekämpft hat, müßten die Sex-Täter von Köln großteils straffrei bleiben. Genau das könnte jetzt in Deutschland passieren:

Dummerweise hat sich nämlich die Ausforschung zumindest einiger Täter einfacher gestaltet, als die Öffentlichkeit es zunächst vermutet hatte. Nun diskutieren diejenigen, die sich mit solchen Verfahren auskennen, die Mühen der Ebene. Man wird ja bei Gericht nicht verurteilt, weil man wahrscheinlich in einer Gruppe gestanden ist, deren andere Mitglieder etwas getan haben, was die Zeitungen aufregt. Zum einen muß hinreichend bewiesen werden, daß der von der Polizei eingesammelte Verdächtige auch tatsächlich der Täter ist, den das Opfer erkannt zu haben glaubt. Soweit ist das gerichtlicher Alltag. Zum anderen aber muß überhaupt strafbar sein, was die Opfer als Angriff empfunden und worüber sich hunderttausende Facebook-User empört haben. Und in diesem zweiten Punkt wirds nun spannend:

Soweit es zu Diebstahl gekommen ist - kein Problem. Einige Vergewaltigungen wurden angezeigt - auch die sind mit Sicherheit strafrechtlich relevant. Wer an Köln denkt, hat aber nicht die gestohlene Handtasche im Kopf, sondern die sexuelle Erniedrigung. Frauen schilderten einen Spießrutenlauf durch eine Menge, aus der heraus sie an den Brüsten, Schenkeln, am Gesäß und auch unter dem Rock begrapscht wurden. Und hier melden sich nun Stimmen zu Wort, die sagen: Eigentlich wissen wir nicht so genau, was das im deutschen Strafrecht ist. In einem Interview mit der Zeit sagt der Kölner Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas zu diesem Thema:

Ein Greifen an die bekleidete Brust oder in den Intimbereich kann den Tatbestand der sexuellen Nötigung erfüllen. Voraussetzung ist allerdings, so definiert es das Gesetz, dass diese Handlung „von einiger Erheblichkeit“ ist. Wann diese Grenze überschritten wird, ist immer eine Wertungsfrage und abhängig vom Einzelfall. Gerichte haben schon entschieden, dass eine Berührung des Vaginalbereichs oder der Brust über der Kleidung nicht darunter fällt.

Offenbar steht Gazeas mit dieser Einschätzung des Sexualstrafrechts nicht allein. Auch die deutsche Bundesregierung hat als unmittelbare Reaktion auf die Silvesternacht eine Verschärfung des Sexualstrafrechts angekündigt. Die Herrschaften werden wissen, warum … Für die Täter von Köln ändert das nichts, das Strafgesetz kann ja nicht rückwirkend verschärft werden.

Durchaus möglich also (nach deutscher Rechtslage), daß ein Täter der Silvesterübergriffe straffrei bleibt, sofern ihm „nur“ das Grapschen, nicht aber ein Diebstahl oder ein schwereres Sexualdelikt nachgewiesen werden können.

Und nun der Schwenk auf Österreich, die FPÖ und ihre Anhänger:

Die Rechtslage ist bei uns nämlich anders - wenn auch erst seit genau dieser Silvesternacht. Der neue §218 Abs.1a StGB (vulgo „Grapsch-Paragraph“) bestraft genau diese Art von Übergriffen. Er war im ersten Halbjahr 2015 Anlaß erbitterter Wortgefechte zwischen den Reichshälften … Auf der einen Seite die, die immer schon den Schutz der Frau vor sexuellen Übergriffen vertreten haben. Auf der anderen Seite jene, denen dieser Schutz egal ist, die dieses Thema seit Jahrzehnten ins Lächerliche zu ziehen versuchen, aber genau mit 1.1.2016 einen 180°-Schwenk hingelegt haben. Erst durch die Resonanz, die Köln auf Facebook gefunden hat, haben FPÖ und Co. erkannt, daß man auch aus dem Bild der von Ausländern geschundenen deutschen Frau politisches Kapital schlagen kann. (Es glaubt ja niemand ernsthaft, daß der rechte Mob die gleiche Begeisterung für Frauenrechte an den Tag legt, wenn die Freiwillige Feuerwehr von Unterhinterneusiedl im Dorfwirtshaus den Kellnerinnen unter den Rock greift.)

Äußerungen aus der politischen Diskusssion von damals:

FPÖ-Chef Strache in der ORF Pressestunde: Auch mir ist schon sexuelle Belästigung passiert. […] In der Regel sagt man dann sehr klar und deutlich, dass man das nicht wünscht. Dann hat man in der Regel auch eine Ruhe. Ein neues Gesetz brauche es nicht. (Erinnert das jemanden an „eine Armlänge“?)

MMag. Dr. Wilfried Grießer, FPÖ-Kandidat zur Mödlinger Gemeinderatswahl 2015, in seiner Stellungnahme zum Strafrechtsänderungsgesetz 2015, durch das der oben erwähnte „Grapsch-Paragraph“ eingeführt wurde: Auf daß der Mann sich als Mann setzt, muß er die Frau zum Ding bzw. zur „Ware“ herabsetzen, um jene Libido zu generieren, die die Frau auch fordert und genießt. Mitunter lieben es Frauen nachgerade, von einem ,wildgewordenen’ Penis „überfallen“ zu werden; und hierzu die Zustimmung einzuholen, weil die Frau als das personale Wesen genommen ist, wäre genau der Verlust dieses Reizes. (Die FPÖ legt aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen immer wieder Wert auf die Feststellung, daß Dr. Grießer kein Mitglied der Partei ist. Was sie nicht daran gehindert hat, ihn für sich kandidieren zu lassen.)

Entsprechend machohaft waren die Wortmeldungen aus dem rechten Lager dann auch im Internet. Im besten Fall wurde das Thema als unnötige Zeitverschwendung belächelt (Während die einen über Po-Grapschen […] nachdenken, hat sich die FPÖ schon immer der Themen angenommen, welche die Bürger wirklich bewegen), viel öfter aber offen gegen den Schutz der Frauen Stimmung gemacht. Der eine wollte seine langjährige Frau durch eine solche Grapschattacke kennengelernt haben; für den anderen war der lässige Griff auf Busen und Po im Vorbeigehen Teil unserer (v.a. ländlichen) Kultur; für die meisten waren die Befürworter der Strafrechtsreform ohnehin nur häßliche Zicken, die neidig waren, weil sie selbst nicht angerührt wurden.

Wenig überraschend wurde der Schutz vor dem Grapschen dann am 8.7.2015 auch ohne die Stimmen der FPÖ beschlossen.

Durchaus überraschend ist, wie sehr die gleiche FPÖ und die gleichen rechtsextremen Spinner sich jetzt, nur ein halbes Jahr später, buchstäblich über Nacht zu Schutzheiligen begrapschter Busen entwickelt haben. Für mich gibt es dafür nur die zu Beginn aufgeführten Erklärungen: Der Wodka hat jede Erinnerung an die 6 Monate zurückliegenden eigenen Wortmeldungen vernichtet; mangels politischer Überzeugung gibt es bei denen, die sich noch erinnern können, keinen Grund, die damalige Linie beizubehalten; außerdem springt man aus blankem Populismus auf jedes Thema auf, das billige Quote bringt - ganz egal, was inhaltlich eigentlich dahinter steht. Merkt eh keiner.

Nicht vergessen also: Wenn ein Täter von Köln straffrei bleibt, weil das deutsche Gericht in seinem „Unter den Rock grapschen“ keine für den Tatbestand der sexuellen Nötigung ausreichende Intensität erkennt, dann geschieht das aufgrund einer Gesetzeslücke, für deren Fortbestand die FPÖ sich 2015 auch in Österreich eingesetzt hat.