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Les Misérables in Linz: Wow!

Les Misérables in Linz
Wollt ihr, daß der Sieg gelingt?
Seid ihr bereit und steht uns bei?
Hinter den Barrikaden winkt
uns eine Welt, gerecht und frei!
Hört ihr, wie das Volk erklingt?
Hört ihr den fernen Trommelschlag?
Es ist die Zukunft, die er bringt,
und der neue Tag.
Der neue Tag!

Wer hätts gedacht? Das Linzer Landestheater hat mit dem (zumindest für mich noch neuen) Musiktheater nicht nur einen wuchtigen Bau in die Landschaft gesetzt, sondern eine ebenso wuchtige (und des Stücks daher würdige) Inszenierung von „Les Misérables“ auf die Bühne gebracht, die wir uns gestern Abend gegönnt haben. (Ein 2minütiges Video zur Aufführung gibt es hier auf YouTube.)

Zu erwarten wars ja durchaus, daß die Produktion nicht ganz so übel ist: Die Kritiken waren euphorisch, die Vorstellungen binnen kürzester Zeit so gut wie ausverkauft. Vier Zusatztermine im Juni 2015 wurden gerade erst eingeschoben. Daß sie mir aber so gut gefällt, hatte ich doch nicht erwartet. Mittlerweile bin ich ja anspruchsvoll, was französische Massensterben betrifft. ;)

Was machts also im Detail aus? Vorneweg: Es ist das erste Mal seit 1990, daß ich Les Misérables wieder in der deutschen Fassung erlebe. Zwar kenne ich den englischen Text in- und auswendig und könnte bei jeder Szene mitsingen, trotzdem macht die Sprache einen Unterschied. (Und es kommen die Erinnerungen ans Raimund-Theater hoch … Meine Güte! Damals hab ich noch studiert!) Sehr schöne Entscheidung des Landestheaters.

Zweiter großer Faktor: das Bühnenbild. Eine ebenso dramatische wie vielseitig verwendbare Kombination trist-schwarzer Blöcke steht in Kontrast zur Farbgebung der dezenten Projektionen im Hintergrund oder am Bühnenboden. Auch überraschende Effekte wie bei Javerts Selbstmord oder beim Ende der Barrikadenschlacht lassen sich dadurch erzielen. Sehr fein. Sehr, sehr fein.

Für die Besetzung hat die Landesbühne alles aufgeboten, was ihr zur Verfügung steht: das fixe Musical- und Opernensemble, der Opernchor, aber auch extra für die Großproduktion eingeladene Sänger ergeben einen Mix, der sich durchaus sehen lassen kann. Absoluter Star des Abends und mit Kreischkonzerten von den billigen Plätzen belohnt (unsere teureren waren mit Gästen der Altersklasse 60+ gefüllt, die mit Bussen aus dem Mühlviertel angekarrt worden waren): Christian Alexander Müller als Jean Valjean. So geht „Bring Him Home“, Mr. Jackman. In your face! Ebenso genial: Konstantin Zander, der abwechselnd als Marius und - für uns gestern - als Javert zu sehen ist. (Dem Applausometer nach wird er der neue Liebling des Linzer Musical-Publikums.) Allein diese beiden sind absolute Glücksgriffe bei der Besetzung. Aber auch Alen Hodzovic (Marius), Barbara Obermeier (Cosette) und Ariana Schirasi-Fard (Eponine) holen alles aus ihren Rollen heraus und lassen die Tränen kullern.

Einzige Schwachstelle des Abends: Caroline Vasicek übernahm die Rolle der Fantine von Kristin Hölck und haucht nicht nur ihr Leben sehr rasch aus (was grundsätzlich ja so vorgesehen ist), sondern auch lange Töne.

Die Inszenierung von Matthias Davids macht keine überflüssigen Experimente, bereitet aber in vielen Szenen Freude durch liebenswerte Details. So wird das erste Duett Cosette/Marius entschmalzt, indem die Liebenden sich genauso verhalten, wie man es von Jugendlichen in ihrer Situation erwartet: auf sympathische Weise unbeholfen. Das ringt dem Publikum das gleiche Lächeln ab, das auch der Anblick spielender Welpen hervorruft. Trotzdem bleibt die Szene gefühlvoll und romantisch. Ein deutliches Plus gegenüber der Londoner Fassung oder der Verfilmung.

Ebenso wunderbar gelöst sind die Kampfszenen an den Barrikaden, in denen einige wenige durchchoreographierte Bewegungen die Übermacht der Gegner wuchtiger vermitteln, als Lichteffekte und Rauchschwaden es in London konnten.

Die größte Idee der Inszenierung und ein Gänsehaut-Moment, der mich absolut unvorbereitet getroffen hat: Im Epilog läßt Matthias Davids einen Teil des Chors im Zuschauerraum singen, zur Bühne gewandt. Einst erreichen wir den Garten, den das Unrecht uns verwehrt. Wir marschieren hinter Pflugschar'n und zerbrechen stolz das Schwert … - Das kann Theater. *fahneschwenk* (Die Rohrbacher neben uns haben die Idee dabei wohl nicht verstanden.)

Apropos Theater:

Das Linzer Musiktheater, das ich ja noch nie von innen gesehen hatte, ist wunderschön und großzügig geworden. Bequeme Sessel mit ausreichend Beinfreiheit, ein Info-Touchscreen vor jedem einzelnen Platz, … ach ja, der Touch-Screen: Jeder, der mich kennt, kann sich vorstellen, daß ich mich ausführlich damit beschäftigt habe. Das Ding spuckt nicht nur diverse Informationen zu Stück, Besetzung und Theater aus, es liefert nicht nur auf Wunsch die Liedtexte während der Vorstellung (wahlweise Deutsch, Englisch, Tschechisch), nein, es ermöglicht auch die Bestellung von Getränken für die Pause noch vor Beginn der Vorstellung. Genial! Wir sind völlig stressfrei zu Tisch 4 geschlendert, wo unsere Safterlen schon auf uns gewartet haben, während der Rest der 1.200 Besucher sich am Buffet angestellt hat. I so love Technik! :)

Ein rundherum gelungener Abend. Douze durchgerotzte Taschentücher.

Wie gesagt: Wer die Elenden in Linz noch sehen möchte, muß schnell zuschlagen und lange warten. Die ursprüngliche Aufführungsserie ist de facto ausverkauft, nur an wenigen Tagen gibt es noch 1-3 verstreute Einzelplätze. Die vier Zusatzaufführungen im Juni sind ebenfalls bereits gut gebucht.

 
Hans-Georg (Gast) meinte am :
Neid!
He, ich bin schon ein wenig neidisch. Es ist, wenn gut gemacht, ein Muscial, welches unter die Haut geht. Wir haben's mal in Berlin im Theater des Westens gesehen.
Die Idee mit den Touchscreens ist genial. Allerdings kann man hier in nahezu jedem Theater den Pausendrink bereits von der Vorstellung an der Theke bestellen, was wir auch immer machen um dem Andrang in der Pause zu entgehen. 
ossi1967 antwortete am :
Berlin

Die Berliner Inszenierung war ja auch schon nicht mehr nur eine Kopie aus London, oder?

Pausendrink vorher direkt bei der Buffettante bestellen? Das ist so... so... so untechnisch. *LOL*

 
Kysira (Gast) meinte am :
Der arme Minirat!
Weiß er jetzt wieder viel über die Architektur des besagten Theaters?

Die Babsi Obermeier hat auch bei TdV mitgespielt und hat mir immer gefallen - die Caroline Vasicek hat mich Leiber bei JCS als Maria Magdalena auch nicht so überzeugt. 
ossi1967 antwortete am :
Oh ja

Er hat nachher total geschwärmt, was das für ein großzügiger und schöner Bau ist, modern und trotzdem gemütlich. Er ist ja auch a bisserl weiter hinten gsessen als ich (es gab keine Nebeneinanderplätze mehr, wie ich im August die Karten gekauft hab), deshalb hatte er einen noch besseren Überblick über den Saal. :)

Die Obermeier war mir neu, aber die Vasicek kannte ich auch schon vom Namen her. Ich weiß nur nicht mehr, wo ich sie gesehen hab. Könnt in Elisabeth und/oder in Mozart gewesen sein. Gemerkt hab ich sie mir nicht wegen ihrer Gesangsleistung, sondern weil (frag Deinen Mann) ein Kollege von mir so heißt. *gg*

 
Deep_Blue meinte am :
Verdammte Erkältung
Tja, ich rotze zur Zeit auch Taschentücher durch, unangenehm :-) 
schlosser meinte am :
Mary Poppins in Wien - oder doch Franzosen in Linz?
Eine appetitmachende Schilderung das war. Doch: BITTE! Du darfst doch nicht so Dinge wie den Überraschungseffekt mit Chor aus den Zuschauerrängen vorwegnehmen! Wo bleibt denn da bitte der 'OOOH!!'-Moment für Menschen, die sich's später noch anschauen wollen?? ;-)

In Wien spielen's ja gerade die Mary. Bis Juni 2015 (ob sich das sitzefüllend ausgeht? I *do* doubt that!)

Scheint ein toller Abend gewesen zu sein... lucky you! :-))

@kysira: Die Architektur im Allgemeinen - im Besonderen sind's die Anzahl der Notausgänge, die Anzahl der Glühbirnen und die baupolizeilich vorgeschriebenen Feuerwehrmänner, die herumstehen. *LOL*) 
ossi1967 antwortete am :
Poppins? Ach nö.

Die Poppins reizt mich so gar nicht. Das ist nicht meins. Zu wenige Tote.

Aber bevor man sich mit solchen Entscheidungen herumquält, sollte man einfach beides ansehen. *LOL*

Und was den Überraschungseffekt betrifft: Ich kenne zumindest drei Leser_innen dieses Blogs, denen bei revolutionären Zuschauerchören vor Schreck das Blut in den Adern gefrieren tät, sodaß irgendwelche vorschriftsmäßig anwesenden Sanitäter sie aus Theater karren müßten. Da isses wohl besser, man bereitet sie schonend vor. :)