Oskar Welzl: Weblog zur Homepage

Evita! Evita! Evita! (Felix Martin! Felix Martin!)

Haben wirs also geschafft: Evita im Ronacher. Und was für ein Glück das war, daß wir doch noch den Arsch hochbekommen haben! Ich mein: Evita, das hat man ja schon gesehen. Im Theater hier, in der Tourneeproduktion da, im Kino, im Fernsehen … sogar während meines USA-Aufenthalts hab ich Evita in Traverse City erlebt. Da meint man dann immer, daß nächste Woche auch noch reicht - und irgendwann wärs dann zu spät. Was, wie angedeutet, in diesem Fall extrem schade gewesen wäre.

Fangen wir zunächst nicht mit dem unumstrittenen Star des Abends an. Widmen wir uns stattdessen der Besetzung. Der erste Blick im Foyer gilt ja immer dem kleinen Zettelchen mit „Heute Abend spielen“. Drew Sarich als Che - jawoll! Wegen dem geht man ja hin. Marjan Shaki als Evita? Ooooch. Echt jetzt? Kann die denn das? Ist die nicht zu jung? Naja, mal sehen. Und als Perón - neeeee, nö? Felix Martin! Der Marius aus Les Misérables! Der Felix Martin, den ich in einer eher bizarren Phase meines Lebens mal im Café Sperl kennengelernt habe. Kinder, wie schnell die Jugend verfliegt: Gerade war er noch fahnenschwingender Revoluzzer und mit seiner ersten Liebe auf den Barrikaden von Paris, heute schon steht er als über 50jähriger Oberst an der Spitze eines populistischen Gewaltregimes. :)

Wie hat sich das Trio geschlagen? Ein Glücksgriff. Absolut genial. Eine tiefe Verbeugung vor Marjan Shaki, die ich gleich um mehrere Größenordnungen unterschätzt habe. Wie gesagt, sie ist nicht die erste Evita, die ich sterben sehe … aber kaum eine hat je so eine gute Figur gemacht dabei, schauspielerisch und stimmlich. Evita muß eine harte Partie sein, fast jede Sängerin gerät irgendwann im Lauf des Stücks an Töne, um die sie sich herumschwindeln muß. Nicht so Marjan Shaki. Es gab, wenn ichs richtig im Kopf hab, zwei Momente, in denen sie sich zwischen „laut“ und „hoch“ entscheiden mußte, obwohl Lloyd Webber eigentlich beides wollte. Sie hat das Richtige getan: Den Ton sauber ausgehalten, ohne zu schreien. Zwei kleine Kompromisse in einer Aufführung, die ihr stimmlich, schauspielerisch und auch tänzerisch einiges abverlangt haben. Doch, auf die nächste Produktion mit ihr freue ich mich sehr.

Zu Drew Sarich kann man nichts mehr sagen. Er hat seinen Platz im Herzen der Wiener Musical-Fans verdient. Die Rolle des Che ist ihm auf den Leib geschrieben. Conny, wenn Du auf meinem Platz gesessen wärst, hättest Du nur die Hand ausstrecken brauchen. Um ein Haar hätte er mir sogar sein Rohr in die Hand gedrückt, hat die Sache dann aber doch zwei Reihen vor uns erledigt. Wer weiß, wenn Du da gewesen wärst …? ;)

Felix Martin wiederzusehen hat mich wirklich gefreut. Er ist eine perfekte Besetzung für Perón und ringt der im Grunde wenig sympathischen Figur Nuancen ab, die ihn wohltuend von der flachen Schablone in anderen Inszenierungen unterscheiden.

Wer ist jetzt der Star des Abends? Sarich? Shaki? Martin? Keiner von ihnen. Der Star des Abends heißt ohne Zweifel Vincent Paterson. Er hat für Madonna, Michael Jackson und andere Stars Videoclips und Tourneen choreographiert und zeichnet für Evita in Wien als Regisseur und Choreograph verantwortlich. Der kann was, aber hallo! Die Inszenierung ist kräftig, schwungvoll, voll knalliger Farben, an den richtigen Stellen trübe und grau … Noch nie habe ich das Stück so wild erlebt. Allein „Wach auf, Argentinien“ ist das ganze Eintrittsgeld wert. :)

Vor allem der zweite Akt ist eine atemlos komponierte emotionale Hochschaubahn, die das Publikum fester und fester in einen Schraubstock zwingt. Völlig undenkbar in anderen Inszenierungen: Es gab nach der Pause praktisch keinen Applaus mehr, nicht einmal nach „Wein nicht um mich, Argentinien“. Das Publikum hat in seiner Fassungs- und Sprachlosigkeit die Kraft der Inszenierung verstärkt und fast körperlich spürbar im Theater festgehalten. Der beklemmendste Moment war der Übergang vom „Walzer für Evita und Che“ zu „Schau in mein Herz“. Man hat im ausverkauften Theater keinen Atemzug gehört.

Erst mit dem Schlußapplaus löste sich die Spannung, wischten sich die alten Männer aus dem Kärntner Reisebus verschämt die Tränen unter den Brillen weg. Ausatmen.

Evita ist ein altes Musical, dessen Geschichte bis ins Jahr 1976 zurück reicht. Trotzdem ist das Stück auf beängstigende Weise aktuell und wird auch so empfunden: Nationalismus, Populismus, Politik als Show, Ausländerfeindlichkeit, der Einsatz von Gewalt und Drohungen gegen politische Gegner unter dem Deckmantel einer Demokratie, Machtbesessenheit … Das alles könnte auch heute spielen. Die Menschen haben sich nicht geändert und fallen immer noch auf die gleichen dummen Tricks herein. Wach auf, Argentinien … aber nicht nur Argentinien.

 
Wolfi (Gast) meinte am :
Oh! Eviiiit-aaaah!!!
Oh, das war aber ein wunderbarer Bericht von Eurem Kültürabend gestern! Seeehr nett zu lesen und man hat mitfühlen können, wie es Euch getaugt hat! Soo nice!! :-)
(Etwas Kültür tut Deinem Blog gut! *ggg*)

Ich mag das Musical ja auch sehr. Ich fand auch den Film mit Madonn gut (jajaja, ich weiß... Madonna. *g*)

Und weil er so nett und euphorisch positiv war, ist mir gleich eingefallen, daß meine Frau Mama ja auch so ein Fan ist. Und hab gleich mal vier Tickets gefixt. :-))

Danke für den netten musicalischen Einstieg in den Samstag.
A schähns Wochnend wünsch ma enk! :-)

Kussi. 
ossi1967 antwortete am :
Na dann: İyi eğlenceler! :)

Auf daß Ihr einen Abend mit schöner Besetzung erwischet. (Die Evita wird ja, soweit ich überrissen hab, diesen Herbst von drei Damen hintereinand gesungen. Und wahrscheinlich springt noch wer ein, wenn die planmäßige Dame unpäßlich ist. Möge Euch die Besetzungscouch gnädig sein. *LOL*)

Mehr Kültüröh? Na mal sehen, was sich machen läßt. ;)

 
Wolfi (Gast) antwortete am :
Ja, stimmt.
Hab ich gelesen.
Die junge (von der Du so beigeistert warst) is nimmer am Sterben. Aber der Südländer sollt' dabei sein. Und Dein Ex Kaffffffféhaus-G'spusi. *gg* Schau ma mal. :-)) 
ossi1967 antwortete am :
Die rheinische Verlaufsform

Die rheinische Verlaufsform (am Sterben sein) ist mir gerade wieder als Lernhilfe untergekommen:

6.1 KONTINUIERLICHE GEGENWART

Erklärung: Eine Handlung, die gerade in diesem Moment ausgeführt wird, etwas das gerade getan wird. Wir umschreiben das gerne mit der Rheinländischen Verlaufsform "am machen / am tun sein" …

Bildung mit dem Suffix -(i)yor.

Also: Sie ist am Sterben - „Ölüyor“.

Der Südländer? Du meinst den Drew? Das is a Ami. Ein Mittlerer-Westen-Typ, so wie Penny. :)

 
Wolfi (Gast) antwortete am :
"easy-turkish.com"...
...sweeeeeeeet! :-)
Sogar mit Tafelschrift. *lol*

Mit dem Progressiv bin ich noch per Sie... das kommt erst.
Vorab wird mal comicgelesen. Ach, richtig sollte es lauten: Ich bin am Comic lesen. ;-)

A Ami isser? Da schau an. Hätte ich optisch in den bosnisch/kroatisch/mazedonischen Raum eingegliedert. :) Aha, wie Penny. Dann kann er ja schauspielern. *LOOL* 
ossi1967 antwortete am :
Comics am lesen

Ganz richtig heißt es natürlich „Ich bin Comics am lesen“. Sonst versteht Disch dat Carmen nischt. :)

Stimmt, Drew hat was Balkaneskes am sich. Was dem mittelwestlichen Geburtsort ja nicht widerspricht: Von irgendwo sind die ja alle eingwandert anno dunnemal.

 
Hans-Georg (Gast) meinte am :
der kann auch Boxer
Ach der Drew, den haben wir in Hamburg als Rocky Balboa auf der Bühne gesehen. Hat sich gut geschlagen! 
ossi1967 antwortete am :
Tatsächlich - er Rockyte

Das ist völlig an mir vorbei gegangen, daß er auch Rocky war. Ich hab von dem Musical mal ein paar Ausschnitte im Fernsehen gesehen - aber da muß ich abgelenkt gewesen sein, ich kann mich nicht erinnern, ihn erkannt zu haben.

Also zumindest auf den Bildern sieht er ganz schön boxrig aus... :)

 
Hase II (Gast) meinte am :
Toll war's, wirklich!
Gestern haben wir es auch gesehen. Der Hase I hat ja ganz feine Sitzplätze für die Oldies und uns reserviert. Mit Tischlein deck dich und Bedienung. Sowas ist durchaus nett. Ich habe mich aber gefragt, ob die das jetzt so machen, weil es irgendwie sonst nicht voll zu kriegen ist, das Theater? Also elegant die zu geringe Auslastung mit einem VIP-Bereich kaschieren? Hm … Die VBW leben ja ohnehin hauptsächlich von den Schülergruppen, die aus den Bundesländern zur Wienwoche anreisen. Aber das ist eine andere Geschichte *g*

Toll war es in der Tat. Wir hatten als Evita die Bettina Mönch. Gut besetzt, wiewohl in den hohen Tönen schon fast ein bisschen zu schrill. Das kriegt dann schnell so einen Kopfton, den wir von hysterischen Bobo-Mamas oder kreischenden Pädagoginnen kennen. Das wo dir jeder laute Ton wie eine Kreissäge den Kopf zerfetzt. Da musste man mitunter sogar die Wangenknochen hochziehen, um die Ohrgänge schalltechnisch zu entlasten. Vielleicht lag das aber auch nur an der Technik. Wenn die die Höhen zu viel verstärken, dann kann das schon so klingen. Da können dann die Sänger recht wenig dafür … Der Che war wirklich eine Top-Besetzung. Da gibt's ja überhaupt nichts zu meckern. Er hat aber schon ein bisschen Anlauf gebraucht, bis er reingekommen ist. Naja, es waren doch im Parkett einige Plätze nicht besetzt. Und so etwas kann die Motivation schon bremsen. Sollte sie zwar bei einem Profi nicht, aber das kommt schon mal vor. Dazu kommt ja, dass wenn man ein Stück recht lange spielt, mitunter die Spielfreude etwas leidet. Darum ist es wohl besser, man schaut sich so ein Stück recht früh am Anfang an. Den Felix Martin fand ich persönlich jetzt nicht so toll. Aber da hab ich wohl zu wenig Ahnung vom Stück selbst, weil ich die feinen Nuancen nicht so rausgehört habe wie du. Aber du hast das Stück ja schon öfters gesehen und da bedeutend mehr Vergleichsmöglichkeiten. Dass er die Rolle gestern eher flach gehalten hat, hat man auch an der Reaktion des Publikums gemerkt. Der Applaus war bei ihm eher verhalten. Das Stück selbst ist wirklich schwungvoll und mitreißend. Auch die traurigen Szenen sind sehr rührend. Ich fand das Bühnenbild fantastisch. Das hoch oben liegende Schlafzimmer, mit den Treppen. Ganz großes Kino … und am geilsten fand ich diese ikonische Hochstilisierung zur schwebenden Madonna im goldenen Rahmen. Herrlich … wenn's denn die Leut nur kapieren täten!!! Politik ist die neue Religion … und damit sind wir wohl bauchlandend in der Wirklichkeit wieder angekommen … schön war der Abend. Bitte mehr solche Empfehlungen :-)) 
ossi1967 antwortete am :
@Hase II

Tja, zum Herrn Martin fehlt Dir halt der künstlerische Zugang. Du hast ihn ja nicht kennengelernt vor - naja, sagma 25 Jahren. Da fehlen Dir einfach inwendig die Saiten, die seine Stimme zum Klingen bringen kann. *LOL*

Das mit den VIP-Plätzen wundert mich auch. Wie wir dort waren hab ich mir noch gedacht, wer sich denn sowas antut und sich dort vorn hinsetzt. (Zumindest das hättma jetzt geklärt. *frechgrins*) Ich fahr ja mit der ⅔-Regel recht gut: Entweder am Ende des zweiten Drittels (Theater) oder am Beginn des letzten Drittels (Kino). Weit genug von der Bühne weg, um alles im Blickfeld zu haben und nicht hin und her schauen zu müssen. Nahe genug dran, um alles zu sehen. Hoch genug, um eventuelle Effekte am Bühnenboden erkennen zu können, ohne dafür in den ersten Rang ausweichen zu müssen. Weit genug weg für einen ausgewogenen Klang. Einziger Nachteil: In der Regel sind das im Theater die letzten zwei Reihen in der teuersten Kategorie. Nur ein bißchen weiter hinten und man könnt sich a paar Cent sparen. Aber das wär dann schon der Kino-Anfang-Vom-Letzten-Drittel. Das geht nicht.

Wo war ich? Ach ja, die VIP-Tische. Tja. Keine Ahnung. Angeblich sind die letzten Produktionen der VBW ja ziemlich untergegangen finanziell. Wird schon ein Fischen nach Goldstücken gewesen sein. Ich frag mich halt, ob die paar Tischerl da vorn das Kraut fett machen bei den Kosten so einer Produktion.

Die Madonna im Rahmen … Ja, von der war der Herr Minirat auch angetan. Wobei dem seine Sympathien ja sowieso eher bei Perón und seiner Eva liegen als bei diesem aufrührerischen Che. Staatsmacht ist schließlich Staatsmacht, wurscht wie. Da muß ma solidarisch sein. ;)